Todesurteil Corona: Wie die Menschen in Hongkong ihre Hamster retten wollen

Hongkong bekämpft Corona mit strengen Maßnahmen. Nun ist Omikron in der Stadt. Seitdem werden Hamster und andere Nagetiere getötet. Bürger wehren sich.

Hongkong: Ein Mitarbeiter des Ministeriums für Landwirtschaft, Fischerei und Naturschutz geht an einer Tierhandlung vorbei, die geschlossen wurde, nachdem einige Hamster positiv auf das Coronavirus getestet worden waren.
Hongkong: Ein Mitarbeiter des Ministeriums für Landwirtschaft, Fischerei und Naturschutz geht an einer Tierhandlung vorbei, die geschlossen wurde, nachdem einige Hamster positiv auf das Coronavirus getestet worden waren.AP/Kin Cheung

Hongkong - Für Hongkonger Hamster sind schwere Zeiten angebrochen. Omikron ist da! Ein wenig überraschend ist das durchaus, da Hongkong einer Festung gleicht und hier derart restriktive Regeln gelten, dass es monatelang keinen einzigen Fall gab.

Einreisende – von denen es ohnehin wenige gibt, am Hongkonger Flughafen herrscht Endzeitstimmung – werden nach ihrer Ankunft sofort isoliert und abgeschottet, getestet und bei negativem Testergebnis für 21 Tage in ihr Quarantänehotel gekarrt. Dort sitzen sie dann drei Wochen auf ihrem Bett und posten auf Social Media, wie sie sich die Zeit vertreiben. Jeden dritten Tag erscheint ein Team im Schutzanzug an ihrer Zimmertür und testet erneut.

Wer das Pech hat, an irgendeinem Punkt dieser Prozedur positiv zu testen, kommt in das Penny’s Bay Quarantine Centre, einem von der Regierung geführten Quarantänelager, das in einem abgelegenen Winkel der Insel Lantau in Hunderten temporär errichteten Containern etwa 3500 Menschen fasst. Es ist nur eines von fünf Quarantänezentren der Regierung, aber es ist das größte und mit Abstand das mit dem schlechtesten Ruf. Schreckliche Schauermärchen erzählt man sich über Penny’s Bay, dass selbst ein Hochsicherheitsgefängnis verglichen mit dieser Einrichtung wie ein Fünfsternehotel erscheinen mag.

Angst vor dem Quarantänelager

Aus Angst vor Penny’s Bay drängen viele Hongkonger aus den Wolkenkratzern der Innenstadt in die dünner besiedelten Randgebiete, um der Gefahr zu entgehen, als „close contact“ eingestuft und ins Quarantänelager geschickt zu werden. Denn sobald ein Fall identifiziert ist, werden ganze Häuserblocks abgeriegelt und ihre Bewohner werden durchgetestet und dürfen erst nach negativem Testergebnis ihre Wohnungen wieder verlassen. Die Nachverfolgung der Kontakte wird hier auch rückwirkend mit solcher Akribie betrieben, dass ein einziger Fall Hunderte ins Quarantänelager befördern kann und zuletzt Nachrichten die Runde machten, in Penny’s Bay sei Chaos ausgebrochen und man sei teilweise nicht einmal mehr mit der Verteilung der Mahlzeiten hinterhergekommen.

Aber was hat das alles mit Hamstern und Omikron zu tun?

Nachdem ein Flugbegleiter der Airline Cathay Pacific am Weihnachtstag den geltenden Quarantäneregeln nicht nachgekommen und mit seiner Familie essen gegangen war, gibt es nun auch hier wieder lokale Infektionen, und zwar mit Omikron, aber auch mit Delta, was auf verschiedene Übertragungsketten hindeutet. Am Anfang waren es drei Fälle, inzwischen sind es täglich um die zehn. Die Reaktion auf diese Ausbrüche nimmt mittlerweile allerdings skurrile Züge an.

Elf positiv getestete Hamster

Zunächst wurden umgehend alle Sportstätten, Fitnessstudios, Spielplätze, Museen und Vergnügungsparks geschlossen, Restaurants dürfen ab 18 Uhr nicht mehr bedienen, nur zwei Personen dürfen an einem Tisch sitzen (Und wenn es die eigenen Kinder sind: Sie sitzen am Nachbarstisch!), Konzerte und sonstige Veranstaltungen sind abgesagt. Die Schließung von Grundschulen und Kindergärten folgte drei Tage später.

Der jüngste Fall der „Wir kennen kein Pardon – Strategie“ löst nun im Internet Spott und Empörung aus. Ein Mitarbeiter einer Tierhandlung hatte sich infiziert, worauf sämtliches Personal und zahlreiche Kunden in Quarantäne geschickt und getestet wurden. Die Tierhandlung wurde ebenfalls gründlich untersucht, wobei sich herausstellte, dass elf Hamster coronapositiv waren. Wie es den Hamstern damit ging, wurde nicht näher eruiert.

Daraufhin wurde angeordnet, alle in Tierhandlungen lebenden Hamster zu töten. 2000 Hamster und andere Kleintiere, alle eingeführt am 22. Dezember 2021 und 7. Januar 2022, sind Ziel dieser Maßnahme. Zusätzlich wurden die privaten Halter der kleinen Nagetiere aufgefordert, ihre possierlichen Haustiere auszuhändigen, damit ihnen das gleiche Schicksal widerfahre, nachdem man sie getestet habe. Die Einfuhr von Hamstern ist gestoppt.

Im Netz reden plötzlich alle über Hamster, es kursieren ergreifende Geschichten zwischen Widerstand und Angst. Eine kämpferische Hamsterbesitzerin wirft der Regierung einen Genozid an Hamstern vor und sagt, sie werde ihren Hamster nicht hergeben. Erst wenn sich auch die ranghohen Teilnehmer einer Geburtstagsparty, auf der es zu Infektionen gekommen war, eliminieren ließen, denke sie darüber nach, ihn auszuliefern. Ja, auch Hongkong hat seine Partyaffäre!

Auch Meerschweinchen und Kaninchen betroffen

Ein anderer um sein Haustier besorgter Besitzer war zum Tierarzt gelaufen, um herauszufinden, was denn nun mit seinem Hamster geschehe. Bei seiner Rückkehr musste er dann allerdings mit Schrecken feststellen, dass seine Familie in seiner Abwesenheit bereits für Tatsachen gesorgt und den Hamster in den Müllschlucker geworfen hatte. Obwohl er alle Mülltüten durchsuchte, konnte er ihn nicht finden.

Das Mitgefühl für die Minifellknäule ist groß, auf Social-Media-Kanälen haben sich zahlreiche Unterstützer versammelt. Etwa dreißig ausgesetzte Hamster wurden bereits auf Straßen gefunden und gerettet, während der Windmühlenkampf gegen die kleinen Nagetiere in die nächste Runde geht. Inzwischen sind auch Meerschweinchen und Kaninchen unter den positiv getesteten Tieren.

Obwohl auch von offizieller Seite zugegeben wird, dass es seit Beginn der Pandemie bisher keinen Nachweis einer Übertragung von infizierten Haustieren auf Menschen gibt, dass die Tiere sich untereinander zwar anstecken können, aber in der Regel nicht schwer erkranken und ohne Behandlung wieder gesund werden, wird die mörderische Kampagne damit gerechtfertigt, die öffentliche Gesundheit zu schützen. Es könnte ja der weltweit erste Fall sein, bei dem sich ein Mensch bei einem Hamster angesteckt hat.

Wenn es nicht so traurig wäre, müsste man über den hochgerüsteten Kampf gegen die winzigen Fellbällchen lachen. Die große Welle der Unterstützung, die sie hervorrufen, ist aber nicht verwunderlich, ist ihr Opfer doch Ausdruck einer zunehmend fehlgeleiteten Bekämpfungsstrategie, die jegliches Augenmaß verloren hat.

Die Autorin lebt in Hongkong. Sie hat keinen Hamster.

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