Trost in der Krise: Wenn der Pfarrer im Autoscooter predigt

Seit 2010 ist Conrad Herold als Seelsorger auf Festplätzen und Märkten unterwegs. In diesem Jahr trifft er auf eine Schaustellerbranche, die vom Coronavirus durchgeschüttelt wird.

Conrad Herold beim Gottesdienst im Autoscooter auf dem Messeplatz „Max Wille“ in Magdeburg.
Conrad Herold beim Gottesdienst im Autoscooter auf dem Messeplatz „Max Wille“ in Magdeburg.Peter Gercke/dpa-Zentralbild/dpa

Magdeburg/Erfurt-Auf das Geld für die Taufe oder für die Beerdigung verzichtet Pfarrer Conrad Herold derzeit schon mal. Könne man später bezahlen. „Sie glauben gar nicht, wie schnell der Umschlag da wieder weg ist.“ Der 63-Jährige weiß, wie eng es finanziell steht um die Welt der Schausteller, in der er seit zehn Jahren unterwegs ist. Blinkende Lichter, Musik und bunte Fahrgeschäfte täuschen ihn nicht.

Herold ist seit zehn Jahren Sonderseelsorger für Schausteller, Markt- und Zirkusleute auf dem Gebiet der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland. Eine Branche, die immer mit dem Wetter kämpft, Plätze an das Hochwasser verlor, die gute und schlechte Jahre hat, wird vom Coronavirus durchgeschüttelt wie nie.

„Ich bin mittendrin“, sagt der große Mann mit dem üppigen Bart und der kräftigen Stimme. Er steht nach dem Gottesdienst mitten auf der Fläche des Autoscooters Engelbrecht auf dem Magdeburger Messeplatz. Hier wurde er vor zehn Jahren in sein Amt eingeführt. „Ich bin so etwas wie ein Dorfpfarrer, nur dass mein Dorf reist.“ Es war sein erster Gottesdienst in diesem Jahr, berichtet Herold. Und zugleich der letzte, weil damit auch gleich die Saison für dieses Jahr beendet sei. „Ich besuche jetzt die Pop-up-Märkte und bald die Weihnachtsmärkte.“

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Freiwillige sammeln beim Gottesdienst von Zirkus- und Schaustellerpfarrer Conrad Herold für die Kollekte.
Freiwillige sammeln beim Gottesdienst von Zirkus- und Schaustellerpfarrer Conrad Herold für die Kollekte.Peter Gercke/dpa-Zentralbild/dpa

Um die Zirkus- und Schaustellerseelsorge kümmern sich laut der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) bundesweit 13 haupt- und ehrenamtliche Pfarrerinnen und Pfarrer. „Zurzeit sind alle sehr gefragt“, sagt Hannelore Janzhoff von der zuständigen Geschäftsstelle der EKD in Hannover. „Sie versuchen durch Spendenaufrufe, die in Not geratenen Familien zu unterstützen.“ Kleine Zirkusse und Schausteller seien besonders stark von der Corona-Pandemie betroffen. Besonders wichtig seien in dieser schweren Zeit persönliche Besuche und Gespräche.

Was kann er überhaupt ausrichten als Pfarrer auf dem Rummel, Markt oder im Zirkus? Trösten, sagt Herold und fügt gleich hinzu: „Trost ist ja noch keine Hilfe.“ Da sein und zuhören. Das könne er. „Die finanziellen Verwerfungen kann ich nicht lösen.“ Immerhin habe er das Ergebnis von Kollekten verteilen können, da wo es dringend nötig gewesen sei. Die Situation der Schausteller sei sehr unterschiedlich, manche hätten gerade investiert, müssten einen Schuldenberg abtragen. Andere lebten von der Substanz und kämpften, um sich über Wasser zu halten.

Der Autoscooter, in dem Herold das erzählt, gehört Sven Engelbrecht. Der 54-Jährige setzt als Schausteller eine lange Familientradition fort: Pferdekarussell, Kettenkarussell, Walzerbahn, er mit seinem Autoscooter, seine Tochter mit einer großen Schaukel. Die ganze Familie hängt dran, wie bei vielen Kollegen. In dieser Saison hat er seinen Autoscooter gerade erst seit ein paar Wochen aufgebaut. Mit einem kleinen Kinderkarussell hätten sie sich im Sommer über Wasser gehalten, berichtet Engelbrecht. „Das ist schon hart.“ Spendet der Gottesdienst Trost? Manchen vielleicht schon, sagt Engelbrecht.

„Die Leute kommen nur noch mit einem Thema“, sagt Pfarrer Herold. Selbst bei Taufen und Beerdigungen. „Sobald das Kind getauft ist, sprechen wir übers Geschäft.“ Das System der Grundsicherung funktioniere nicht für Schausteller. „Alle meine Leute haben Werte, Auto, Wohnwagen.“ Wenn jemand seinen Transporter zum Ende der Saison verkaufen müsste, bräuchte er in der neuen Saison wieder einen. Außerdem hätten die Schausteller nicht verstanden, warum die Freizeitparks früh wieder öffnen durften, die Jahrmärkte aber nicht. Emotional wird Herold, seine Stimme noch durchdringender, wenn er über die Situation der Schausteller redet. „Ich setze mich für meine Leute ein.“

„Meine Leute“ – diese Formulierung hätte Herold vor zehn Jahren noch nicht gebraucht. Skepsis sei ihm damals entgegengeschlagen. Die Beziehungen sind gewachsen. Hier auf dem Platz in Magdeburg kenne er jeden. Er habe aber schon nach zwei, drei Jahren gemerkt, dass er nicht überall sein kann. Nur die größten Plätze fahre er an, plus Taufen, Hochzeiten, Beerdigungen. Etwa 30.000 Kilometer pro Jahr lege er in normalen Jahren zurück. Und 2020? Herold winkt ab.