Türkei verhängt strikte Ausgangssperre

Nach langer Untätigkeit verschärft die Regierung die Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus.

Ankara-Weil die Türkei erst spät und zögerlich Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Krise ergriff, verzeichnet das Land inzwischen einen der schnellsten Zuwächse an Infizierten und Toten weltweit. In den internationalen „Corona-Rankings“ der Infektions- und Todeszahlen steht die Türkei auf Platz 9 und hat damit die Schweiz überholt.

Der menschenleere Taksim-Platz in Istanbul.
Der menschenleere Taksim-Platz in Istanbul.dpa/Yasin Akgul

Lesen Sie hier unseren Corona-Newsblog

Anzeige | Zum Weiterlesen scrollen

Am Wochenende verschärfte Ankara nun erneut die Maßnahmen im Kampf gegen das Virus. Seit Sonnabend müssen nicht nur ältere, sondern auch junge Menschen eine strikte Ausgangssperre einhalten, alle größeren Städte wurden von der Polizei abgeriegelt.

Ausnahme für Saisonarbeiter in der Landwirtschaft

Während es Erdogan nach Meldung des ersten nachgewiesenen türkischen Corona-Falls am 11. März zwei Wochen lang fast die Sprache verschlagen hatte, ist er nun wieder täglich im Fernsehen zu sehen. Am Freitag hatte er eine weitreichende Ausgangssperre für Menschen unter 20 Jahren verkündet, Ausnahmen gelten allerdings für rund 800.000 nachweisbar Beschäftigte und Saisonarbeiter in der Landwirtschaft.

Für über 65-Jährige und chronisch Kranke war bereits zuvor ein Ausgangsverbot angeordnet worden. Insgesamt betrifft das Ausgehverbot laut der oppositionellen Zeitung Sözcü rund 33 Millionen der 83 Millionen Einwohner des Landes.

Lesen Sie hier: Erdogans Corona-Politik:
Viel zu wenig, viel zu spät

Gesichtsmaske ist Pflicht

Zudem verfügte Erdogan eine Totalsperre für die 31 größten Städte. Dort ist es für die kommenden zwei Wochen untersagt, mit Fahrzeugen hinein- oder hinauszufahren. Ausnahmen sind nur in dringenden Fällen möglich. Seit Sonnabend ist darüber hinaus das Tragen einer Gesichtsmaske in Geschäften und auf Märkten Pflicht. Bei Verstößen drohen Geldstrafen von umgerechnet bis zu 500 Euro.

Einwohner Istanbuls berichteten in Telefongesprächen mit der Berliner Zeitung, inzwischen würden sich viele Bürger an die Vorschriften halten, die Haupteinkaufsstraßen seien „gespenstisch leer“. In der 16-Millionen-Metropole wurden zudem in drei Metrostationen spezielle Kameras installiert, um Fahrgäste mit hohem Fieber zu erkennen und abzuweisen. Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln sind nur noch mit Mundschutz erlaubt; um neun Uhr abends stoppen alle Züge.

Lesen Sie hier: Migranten verlassen türkisch-griechische Grenze

Epizentrum ist Istanbul

Mittlerweile stieg die Zahl der bestätigten Corona-Infizierten auf 27.069, wie das Gesundheitsministerium am Sonntag mitteilte. Innerhalb eines Tages seien 73 Menschen im Zusammenhang mit Covid-19 gestorben, was die Todesfälle auf 574 erhöht habe. 1311 Patienten mit Symptomen würden auf Intensivstationen behandelt.

Bisher seien 181.445 Tests durchgeführt worden. Epizentrum der Infektionen ist Istanbul mit mehr als der Hälfte der Krankheitsfälle.
In einer repräsentativen Umfrage sagten 78 Prozent der Beschäftigten im medizinischen Sektor, dass ihnen Gesichtsmasken und andere Schutzkleidung fehlten. Die Türkei produziere inzwischen eine Million Gesichtsmasken und 5000 medizinische Schutzanzüge pro Woche, erklärte hingegen das Verteidigungsministerium.

Kriselnde Wirtschaft

Nachdem die Regierung die Gefahr zunächst heruntergespielt hatte, wurden seit der zweiten Märzwoche eine Reihe von Vorsichtsmaßnahmen getroffen, darunter die Einstellung aller internationaler Flüge mit Ausnahme von Katar und fast sämtlicher nationaler Flüge, die Schließung von Schulen, Restaurants und Cafés sowie die Aussetzung von Massengebeten und Sportveranstaltungen. In mehreren Städten wurden am Sonntag Schutzmasken kostenfrei verteilt.

Der immer dringlicheren Forderung der oppositionellen Bürgermeister von Istanbul, Ankara und Izmir nach noch strengeren Ausgangsbeschränkungen hat Erdogan bislang allerdings nicht nachgegeben, um die ohnehin kriselnde Wirtschaft nicht völlig abzuwürgen.