„Manifest für Frieden“: Woher wissen bloß alle, was zu tun ist?

Nach fast einem Jahr Krieg in der Ukraine laufen Diskussionen in Deutschland auf ein Entweder-oder hinaus. Unsere Kolumnistin drückt sich vor Debatten.

Talkshow zum Ukraine-Krieg: Alle gegen eine.
Talkshow zum Ukraine-Krieg: Alle gegen eine.Dirk Borm/WDR

Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, keine Talkshows im deutschen Fernsehen mehr zu schauen. Die vorhersehbaren Streits, die Unterbrechungen, die Fragen, die oft auf die kleinste Parteipolitik zielen (Was bedeutet das für die FDP im Saarland?), machen mir schlechte Laune. Neulich bin ich trotzdem wieder an einer Sendung hängen geblieben. Es ging um den Krieg in der Ukraine.

Bald ist der Jahrestag, so komisch das bei einem Krieg klingt. Seit fast einem Jahr greift Russland die gesamte Ukraine an, leben die Menschen mit Luftalarmen, Zerstörung, Tod. Ich kann mir die Trauer, die Verzweiflung der Ukrainer nicht vorstellen, ihre Sehnsucht nach der Heimat, wenn sie geflohen sind. Ich wünsche mir nur für sie, dass es endet, und zwar nicht mit einer russischen Besatzung, sondern mit Frieden und Selbstbestimmung im eigenen Land.

Aber damit komme ich in den Debatten, die in Deutschland geführt werden, nicht weit. Je länger der Krieg dauert, umso mehr drücke ich mich davor, mich zu streiten. Es geht ja weniger um das Ziel, mehr um den Weg. Sollen noch mehr Waffen an die Ukraine geliefert werden, oder soll mehr Druck gemacht werden, damit Russland und die Ukraine verhandeln? Du musst dich entscheiden! So kommt es mir oft vor.

Darum ging es auch in der Talkshow, es war „Hart aber fair“. Eine Frau von der Linkspartei, Amira Mohamed Ali, vertrat die Mehr-Verhandlungen-Position, alle anderen Talkshow-Gäste hielten dagegen. Redaktionen von Talkshows wissen vorher, wer ihrer Gäste welche Position vertreten wird. Kann man sich höchstens eine Person erlauben, die gegen Waffenlieferungen ist? Ich stimmte der Frau von der Linkspartei nicht zu, aber ich fand es merkwürdig, dass sie allein gegen alle anderen andiskutieren musste. Das zog mich schon fast wieder auf ihre Seite, was wahrscheinlich kein Effekt ist, den sich die Redaktion erhofft hatte.

„Manifest für den Frieden“: Was wollen die Unterzeichner?

58 Prozent der Deutschen finden, dass die diplomatischen Bemühungen zur Beendigung des Krieges nicht weit genug gehen, warf der Moderator ein. Ich wüsste nicht, was ich in einer solchen Umfrage angeben sollte, stellte ich fest und schaltete die Sendung aus. Ich habe keine Ahnung, wie weit die diplomatischen Bemühungen schon gehen, weil zu ihrem Wesen ja vermutlich gehört, dass sie eher im Verborgenen stattfinden.

Schon fast 500.000 Menschen haben ein „Manifest für Frieden“ unterzeichnet, das Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht vor einigen Tagen aufgesetzt haben. Mich erinnert der Titel an meine Schulzeit in der DDR. Allein das Wort Manifest. Es fordert, „die Eskalation der Waffenlieferung“ zu stoppen. Das klingt als würde übersehen, von welcher Seite der Krieg bisher vor allem eskaliert worden ist.

Aber ich finde es falsch, sich über die Petition lustig zu machen. Es haben auch Menschen unterschrieben, die ich sehr mag, darunter meine Mutter. Ich frage mich eher, woher sie alle so sicher zu wissen scheinen, was jetzt zu tun ist.

Der Politikwissenschaftler Michael Jankowski aus Oldenburg hat auf Twitter eine interessante Analyse zu der Petition veröffentlicht. Er hat ausgewertet, was Menschen zu ihrer Unterschrift in die Kommentare geschrieben haben. Es waren viele Kommentare, fast 25.000, Jankowski fand darin vier Hauptthemen. Die Menschen äußerten Sorge über eine mögliche Eskalation zum Weltkrieg, sie spielten auf die Rolle der USA an, sie äußerten Verzweiflung über das Leid der Menschen oder drückten ihren Glauben an Diplomatie aus, schrieb er. Jankowski kommt nach Auswertung der Namen auch zu dem Schluss, dass mehr Frauen als Männer unterschrieben haben. Vielleicht wissen auch sie nicht alle, was jetzt zu tun ist, aber eine Unterschrift scheint ihnen besser zu sein als nichts.