Ukraine: Timoschenko fehlt beim Prozess
Ohne die erkrankte Julia Timoschenko hat in der Ukraine der zweite Prozess gegen die inhaftierte Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko begonnen. Die Oppositionsführerin weigerte sich, an dem Verfahren wegen Steuerhinterziehung und Veruntreuung in der ostukrainischen Stadt Charkow teilzunehmen. Im Falle einer erneuten Verurteilung drohen ihr bis zu zwölf weitere Jahre Haft. Vor dem Gerichtsgebäude demonstrierten insgesamt rund 4000 Anhänger und Gegner Timoschenkos, wie die Polizei der Ex-Sowjetrepublik nach Medienangaben mitteilte.
In einer Mitteilung an das Gericht begründete Timoschenko ihr Fernbleiben am Mittwoch mit ihrer schweren Erkrankung. Am gleichen Tag schloss der ukrainische Justizminister Alexandr Lawrinowitsch praktisch aus, dass Timoschenko im Ausland behandelt werden kann.
Es widerspreche den ukrainischen Gesetzen, dass Strafgefangene aus welchen Gründen auch immer die Staatsgrenzen überschreiten dürfen, zitiert die Zeitung Ukrainskaja Prawda den Minister. „Dafür wäre eine Amnestie oder eine andere Entscheidung eines Gerichts nötig“, sagte er. Eine Möglichkeit zur Änderung der Gesetze sehe er nicht. „Es ist schwierig, sich das vorzustellen“, sagte er nach Angaben der Zeitung. „Aber theoretisch möglich ist alles, sogar ein Flug zum Saturn.“
Unmittelbar vor Beginn des neuen Prozesses am Donnerstag warf die zuständige Gefängnisärztin in Charkow ihren Kollegen von der Berliner Charité Verstöße gegen die medizinische Ethik aus politischen Gründen vor. „Einerseits behaupten sie, eine Therapie sei dringend erforderlich. Andererseits verschieben sie ihre Entscheidungen bewusst um vier bis fünf Tage, um sich mit irgendjemandem zu beraten. Als Ärztin fällt es mir schwer, diese Position zu verstehen“, sagte Tatjana Demtschenko, die Timoschenko im Straflager 54 betreut.
Charité-Ärzte: "Timoschenko ist schwer krank"
Die Charité bezeichnete die Vorwürfe als absurd. „Bei der medizinischen Stellungnahme zum Gesundheitszustand Frau Timoschenkos spielen ausschließlich medizinische Gesichtspunkte eine Rolle“, hieß es auf Nachfrage. „Der Vorwurf, hier aus politischen Gründen bestimmte Empfehlungen abzugeben wird entschieden zurückgewiesen.“
Auch eine Abstimmung mit politischen Gremien gebe es selbstverständlich nicht. Charité-Chef Karl Einhäupl und der Orthopäde Norbert Haas hatten die inhaftierte Oppositionspolitikerin am vergangenen Freitag besucht und die medizinischen Einrichtungen vor Ort inspiziert. Danach hatten sie gesagt, Timoschenko sei sehr krank und nicht verhandlungsfähig. Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung Markus Löning sagte der Frankfurter Rundschau, auch anderen früheren Politikern würden im Gefängnis gesundheitliche Vorsorge und Behandlung vorenthalten.
Menschenrechtsbeauftragter kritisiert "Resowjetisierung"
Löning hatte erst kürzlich den früheren Innenminister Juri Luzenko in einem ukrainischen Gefängnis besuchen dürfen. Er sei an Hepatitis erkrankt und ein halbes Jahr lang nicht adäquat behandelt worden, sagte Löning. „Die Justiz wird missbraucht und die Ärzte lassen sich missbrauchen, um politische Gegner zu bekämpfen“, kritisiert er. Es sei bitter, diesen Prozess der Resowjetisierung des Systems zu beobachten.
Die Verfahren gegen etliche frühere Regierungsmitglieder seien ein politischer Rachefeldzug von Präsident Viktor Janukowitsch, sagte auch der Grünen-Europaabgeordnete Werner Schulz. „Der Wahlfälscher Janukowitsch revanchiert sich brutal an den Leuten, die ihn mit der Orangen Revolution 2004 daran gehindert haben, bereits damals die Macht zu ergreifen.“ Der Präsident gerate immer mehr in Panik. (mit dpa)