Ausgebuhte Linke-Politikerin sagt: „Ich kann Kritik an der Nato nachvollziehen“
Der Ukrainerin Sofia Fellinger platzte auf dem Parteitag der Kragen, als alle Russland-Sanktionen gestrichen werden sollten, doch austreten will sie auch nicht.

Auf dem Parteitag der Linken in Erfurt trat plötzlich eine 19 Jahre alte Deutsch-Ukrainerin ans Mikrofon und machte ihrem Ärger Luft: „Ich bin Sofia und Ukrainerin. Ich finde es so unerträglich, die ganzen Wortbeiträge gehört haben zu müssen. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie viel Leid ich und meine Familie und die Ukraine durchmachen.“ Dafür wurde sie von Delegierten ausgebuht.
Videos von Sofia Fellingers Redebeitrag gingen viral. Ihr Auftritt zeigt das Dilemma der Friedenspartei zwischen Antiimperialismus und Russlandnähe. Wir sprachen mit der Nachwuchspolitikerin über ihre Haltung zu Russland, Ukraine, Nato und ihrer Kollegin aus dem Landesverband, Sahra Wagenknecht.
Frau Fellinger, Sie wurden auf dem Bundesparteitag der Linken vergangenes Wochenende nach einem Redebeitrag zur Ukraine ausgebuht. Sie fanden die Debatte über den Verzicht von Waffenlieferungen an die Ukraine „unerträglich“. Wie fühlen Sie sich jetzt, ein paar Tage später?
Ich habe gemischte Gefühle. Ich bin ein bisschen überfordert von der Situation, weil ich nicht mit so viel Reaktionen gerechnet habe. Überwiegend bekam ich positives Feedback und es haben sich super viele Menschen bei mir gemeldet. Sowohl auf dem Parteitag selbst als auch von Genossen, die nicht teilnehmen konnten. Das sehr positive Feedback hat mich etwas überrascht. Ich wünschte mir nämlich einen echten Diskurs, was die Optionen sind, den Menschen in der Ukraine zu helfen. Jedoch wurde vieles pauschal abgelehnt. Und ich finde, dieses pauschale Ablehnen von Dingen, ohne darüber tatsächlich zu diskutieren, sehr schade.
"Ich finde es so unerträglich" – Auf dem #LinkeBPT meldet sich die ukrainischstämmige Parteivorsitz-Kandidatin Sofia Fellinger mit einer emotionalen persönlichen Erklärung zu Wort. pic.twitter.com/WrPpqHHSZY
— Bericht aus Berlin (@ARD_BaB) June 24, 2022
Werden Sie für sich Konsequenzen aus dem Parteitag ziehen?
Ja. Ich schaue mir die nächsten Monate an, wie die sich so entwickeln. Ich fand den Umgang mit dem Thema schlimm. Ich werde mir demnächst mit weiteren Mitmenschen Gedanken machen, wie wir so umgehen wollen mit der Partei. Ich bin vor allem in der Linksjugend aktiv und da werden wir uns schon überlegen, wie wir da weitermachen. Die nächsten Monate werden für mich entscheidend sein, ob das noch was werden kann in der Linken oder man was anderes überlegen muss.
Die Ukraine vermeldet verstärkt Bombardements in allen Landesteilen. Wie geht es Ihren Familienangehörigen und Freunden in der Ukraine derzeit?
Als ich vom Parteitag nach Hause kam, erzählte mir meine Mutter, dass 60 Kilometer entfernt vom Dorf meiner Familie Bomben Wohnhäuser zerstört haben. Meine Familie lebt verstreut im Westen und im Osten der Ukraine. Eigentlich war der Westen etwas sicherer als der Osten, jedoch waren es am Wochenende nur 60 Kilometer Entfernung zu den Bombardements. Also geht es mir und meiner Familie dementsprechend schlecht, weil wir uns Sorgen machen. Man kann halt nichts machen. Man ist so machtlos.
Auf dem Bundesparteitag stritt Die Linke im Detail über Formulierungen in ihrem Leitantrag zum Ukraine-Krieg. Zwar verurteilt man Russland als Aggressor, lehnt Waffenlieferungen aber weiter ab. Ist dieser Spagat möglich?
Ich finde den Leitantrag zu großen Teilen gut. Was mir fehlt: Die tatsächliche Debatte über Unterstützungsmaßnahmen anstatt des pauschalen Ablehnens von Waffenlieferungen. Oft sind das dann leere Floskeln („Wir möchten Frieden!“) und das wars. Wir hatten zwei Reden von unseren linken Genossinnen aus der Ukraine und Russland. Die russische Genossin meinte, dass Russland ein faschistischer Staat sei. Der einzige Weg, den Krieg zu beenden, wäre, wenn die Ukraine diesen gewinnt, und dafür braucht die Armee Waffen. Die ukrainische Genossin plädierte hingegen dafür, dass wir als deutsche Linke mindestens einen Schuldenschnitt und Sanktionen gegen Russland fordern müssten. In diesem Zusammenhang bin ich super froh, dass dieser Wagenknecht-Antrag nicht durchkam, da pauschal alle Sanktionen gegen Russland gestrichen werden sollten.
Wie Sie eben sagten, traten mehrere Vertreter sozialistischer Schwesterparteien auf. Sie kritisierten Ihre Partei. Ist die deutsche Linke im internationalen Vergleich isoliert?
An vielen Orten ist die Waffenfrage nicht strittig. Ich glaube, es war die dänische Einheitsliste, die sich ganz klar für Waffen positionierte. Wie sonst sollen sich die Ukrainer verteidigen? Das ist in vielen Ländern unter Linken keine Frage. Das ist dann so ein deutsches Ding, diese Einstellung.
Zwischen Ihren persönlichen politischen Vorstellungen und denen der Partei gibt es im Kontext des Krieges große Differenzen. Gleichzeitig war die freundliche Haltung zu Putin und die Ablehnung der Nato nie ein Geheimnis. Hätte man als Ukrainerin nicht spätestens seit 2014 wissen müssen, in was für einer Partei man aktiv ist?
Ich finde es super gut, dass die Linke bei vielen Themen so pluralistisch ist. Leider bei manchen Themen auch super zerstritten. Ein Beispiel: Die Partei war auch damals gegen Waffenlieferungen nach Rojava, was zum Beispiel für den Jugendverband keine Frage war. Natürlich schicken wir den kurdischen Freiheitskämpfern Waffen für eine befreite Gesellschaft gegen den IS. Mir ist also bewusst, dass Waffenlieferungen stets ein strittiges Thema ist.
Sahra Wagenknecht ist die Wortführerin der Nato-Kritiker. Sie gibt dem Bündnis mindestens eine Mitschuld an dem Krieg. Sie kommt aus Ihrem Landesverband. Haben Sie darüber mal gesprochen?
Ich habe sie persönlich noch nie getroffen. Ich meine, beim Landesparteitag war sie nicht da. Ich hatte also keinen Kontakt zu ihr.
Denken Sie auch, dass die Nato eine Verantwortung am Krieg in der Ukraine hat?
Die Nato ist definitiv nicht schuld an dem Krieg, sondern nur Russland. Die Nato ist nicht in die Ukraine einmarschiert. Russland ist in die Ukraine einmarschiert und niemand anderes.
Sollte die Ukraine eine Nato-Mitgliedschaft anstreben?
Da bin ich mir unsicher, weil ich sehr viel Kritik an der Nato nachvollziehen kann. Ich bin der Meinung, wir brauchen eher ein neues, alternatives Sicherheitssystem. An vielen Stellen hat die Nato gezeigt, dass es nicht nur ein gutes Friedensbündnis ist. Daher bin ich mir nicht sicher, ob die Ukraine der Nato beitreten sollte. Was mir fehlt in der Debatte, ist, dass man die Ukraine nicht als eigenes Land ansieht, sondern als eine Marionette von anderen Akteuren. Die Ukraine ist ein souveräner Staat, mit einer speziellen geopolitischen Lage. Vielmehr sollte man sich mit den Menschen solidarisieren und versuchen den Aggressor zu bekämpfen.
Nach allem, was Sie gesagt haben, passt Ihre Einstellung ja nicht mehr ganz zur Linken. Müssten Sie nicht zur SPD oder den Grünen wechseln, oder sehen Sie eine Zukunft in der Partei?
Ein Wechsel ist keine Option für mich. Natürlich streiten wir uns über Themen. Aber Die Linke ist die einzige Partei, die nicht so weitermachen will mit dem Kapitalismus: extreme Armut, steigende Preise, Klimakrise. Die SPD und Grünen sind bei der Bewältigung dieser Probleme leider nicht ernst zu nehmen. Daher sehe ich leider keine andere Option für mich. Ich bin Sozialistin und passe auch wohl in keine andere Partei rein.
Vielen Dank für das Gespräch.