Ulrike Guérot bei Markus Lanz: Wer für den Frieden ist, ist jetzt auch Feind

Die Cancel Culture ist aus dem Kulturbereich über Corona in die Kriegsthematik geschlüpft. Neueste Zielscheibe: die Bonner Politikprofessorin Ulrike Guérot.

Ulrike Guérot bei „Markus Lanz“
Ulrike Guérot bei „Markus Lanz“Screenshot/ZDF Mediathek

Die Berliner Zeitung verschreibt sich einer möglichst offenen Debatte. Dies ist ein Gastbeitrag des Publizisten Milosz Matuschek. Haben Sie Feedback? Wollen Sie sich äußern? Schreiben Sie uns! briefe@berliner-zeitung.de

Die Sendung von Markus Lanz vom 2. Juni war ein weiterer Tiefpunkt bei der Erfüllung des Sendeauftrags der Öffentlich-Rechtlichen, nämlich ein diverses Meinungsspektrum zu einem Thema abzubilden. Die Bonner Politikprofessorin und Bestsellerautorin („Wer schweigt, stimmt zu“, Westend) Ulrike Guérot war offenbar nur zu einem Zweck eingeladen worden: nämlich um ein Exempel an ihr zu statuieren.

Ihre Position ist dabei eigentlich harmlos, sie stellt vor allem Fragen: Worum geht es? Was ist überhaupt die Interessenlage? Was ist das Ziel des Krieges? Im Kern forderte sie: Wir müssen zu den Ursprüngen dieses Konflikts vordringen und einen Weg hin zum Frieden bauen. Dann zogen sich die restlichen Diskutanten in ihre Schützengräben zurück und legten los, auf Kommando Lanz: „Wer will zuerst?“

Kein Konflikt fällt vom Himmel

Guérot wurde danach so konsequent niedergebrüllt, unterbrochen und als Randfigur vorgeführt, dass man sich fragen muss, warum man sie überhaupt eingeladen hatte. Es ist seit längerem unübersehbar, dass jede Wortmeldung, die sich auf das „Verstehen“ dieses Konflikts bezieht, bekämpft wird. Denn „verstehen wollen“ ist schon verdächtig. Zu verstehen gibt es hier nichts, nur zu tun. Es geht schließlich um den Sieg über Russland.

Eine Position wie die des Chicagoer Politikwissenschaftlers John Mearsheimer im Economist, dass der Westen womöglich eine Mitschuld an diesem Konflikt hat, darf bei uns keinen Platz haben und wird zum geistigen Sperrgebiet erklärt. Die banale Erkenntnis, dass kein Konflikt vom Himmel fällt, Stichwort Nato-Osterweiterung oder Biowaffenlabore der USA in der Ukraine, ist ketzerisch.

Guérot ist der neueste Punchingball der Nation

Die Zeichen stehen auf Krieg, weil die Interessenlage auf Kriegskurs steht. Natürlich ist der Russland-Ukraine-Konflikt auch ein Stellvertreterkrieg der USA gegen Russland. Die USA haben ein Interesse, den Energie-Konkurrenten Russland möglichst kleinzuhalten. Es wäre nicht das erste Mal, dass die USA Krieg wegen Öl und Gas führen, direkt oder indirekt. In Deutschland konnte man auf der Herdplatte dieses Konflikts weitgehend diskussionsfrei eine zusätzliche Verschuldung von 100 Milliarden für die Bundeswehr durchpeitschen, im besten Orwellsch „Sondervermögen“ genannt.

Das Exempel in Sachen Guérot sieht nun so aus, dass sie in der FAZ als Plagiatorin und Lügnerin mit Nähe zu „Querdenkern“ diffamiert wird, während Studenten der Uni Bonn ihr den Mund verbieten wollen. Folgt bald Druck auf die Universitätsleitung?

Dieses Spiel kennen wir schon aus der Cancel-Culture-Debatte: Druck auf den Arbeitgeber, allseitige Distanzierung, Isolierung, Kontaktschuld. Guérot ist der neue Kimmich, der nächste Punchingball der Nation. Werden dabei nun auch alle wieder brav mitmachen? Konditioniert worden ist die Medienöffentlichkeit jedenfalls auf dieses Spiel. Erst Kulturkampf, dann Krieg gegen das Virus, jetzt Krieg gegen Russland.

Und immer starb zuerst die freie Debatte.

Milosz Matuschek ist Jurist und Publizist. Er ist Autor mehrerer Bücher und Herausgeber des Newsletters www.freischwebende-intelligenz.org, wo auch dieser Beitrag zuerst veröffentlicht wurde. Er ist Co-Produzent des Dokumentarfilms „Pandamned“ von Marijn Poels, der vor kurzem erschienen ist.