Ungewöhnliche Entscheidung: Suspendierung von Amtsarzt mitten in Corona-Pandemie
Die Suspendierung von Neuköllns Amtsarzt Nicolai Savaskan wirft Fragen auf. Der Bezirk muss nun einen neuen obersten Corona-Bekämpfer finden. Doch die sind rar.

Die Suspendierung des Neuköllner Amtsarztes Nicolai Savaskan durch das Bezirksamt wirft Fragen auf. Am Montag war bekannt geworden, dass Savaskan mit sofortiger Wirkung von seinen Aufgaben entbunden wurde. Es wurde ein Hausverbot verhängt. Noch gibt es nur eine dürre Aussage des Bezirks, wonach man zu Personaleinzelangelegenheiten keine Stellungnahme abgebe. Was das Bedürfnis nach einer Antwort auf diese Frage verstärkt: Ist die personalpolitische Maßnahme plausibel? Savaskan war wie alle zwölf Berliner Amtsärzte besonders aktiv in der Bekämpfung der Corona-Pandemie. Kurzfristig einen Nachfolger zu finden, dürfte schwierig werden.
Die Vorgänge in Neukölln sorgen beim Verband der Amtsärzte Berlin-Brandenburg für Kritik. Das Vorstandsmitglied Patrick Larscheid sagte am Dienstag im rbb24 Inforadio, vor der Suspendierung habe es im Bezirk schon länger Streit gegeben. „Dabei hätte es ganz viele Personen und Institutionen gegeben, die vermittelnd hätten eingreifen können“, so Larscheid in dem Radiointerview.
Man hätte nach seinen Worten etwa den Berufsverband ansprechen können. Auch Gesundheitssenatorin Ulrike Gote (Grüne) hätte womöglich als neutrale Ansprechpartnerin zur Verfügung gestanden – wenn man sie denn gefragt hätte. Vielmehr sehe man nun „mit Entsetzen“, dass es keinerlei Schlichtungsversuche gegeben habe, so der Mediziner.
Nach Recherchen der Berliner Zeitung wirft Gesundheitsstadträtin Mirjam Blumenthal (SPD) dem Amtsarzt Verstöße gegen seine Amtspflichten vor. Um rein fachliche Themen geht es dabei offenbar nicht.
So soll es Kritik an seinem Führungsstil gegeben haben. Savaskan soll Dienstanweisungen missachtet haben, auch Mobbingvorwürfe sollen gefallen sein. Wie es heißt, soll sich der Amtsarzt seinerseits auch über Blumenthal beschwert haben.
Außerdem gibt es Gerüchte um Unregelmäßigkeiten bei Abrechnungen. Details dazu sind nicht bekannt. Doch selbst wenn dem Amtsarzt Vorhaltungen gemacht werden sollten, könnte es dabei nur geringe Summen gehen. Amtsärzte haben nur beschränkten Zugriff auf Budgets. In Neukölln konnte Savaskan nur über Summen im dreistelligen Euro-Bereich verfügen.
Auch Gudrun Widders, Amtsärztin von Spandau und Vizechefin des Landesverbands Berlin-Brandenburg des Bundesverbandes der Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes, bedauert die Eskalation in Neukölln sehr und zeigte sich darüber erschrocken. „So eine Suspendierung ist sehr ungewöhnlich“, sagte Widders im Gespräch mit der Berliner Zeitung.
Als ausgeschlossen gilt allgemein, dass Savaskan nur deswegen abgestraft wurde, weil er wenige Tage vor Bekanntwerden seiner Kaltstellung öffentlich mehr Personal für den Corona-Krisenstab des Gesundheitsamtes gefordert hatte. Er hatte darauf verwiesen, dass für den Herbst mit einem neuen Aufflammen der Pandemie zu rechnen sei. Das dürfe als Begründung für eine Suspendierung niemals ausreichen, heißt es. Alles in allem sei diese in Zeiten der Pandemie ein höchst ungewöhnlicher Vorgang. Es handele sich offensichtlich um eine „Geschichte unter Personen“.
Um fachliche Themen ging es bei der Suspendierung offenbar nicht
Das sieht Savaskans Amtskollege Larscheid ganz ähnlich. Der Reinickendorfer Amtsarzt, der sich öffentlich noch freimütiger äußert als Savaskan, erinnert daran, wie viel in Neukölln auf dem Spiel gestanden habe. „Das Funktionieren eines Gesundheitsamtes für einen der größten Bezirke Berlins – und wenn wir es von der Einwohnerzahl her sehen, ist es eine der größten Städte Deutschlands.“
Larscheid sagte, potenzielle Nachfolger für den Posten „stehen weder Schlange, noch sehen wir sie überhaupt“. Im Gegenteil: „Ich kann Ihnen sagen, es wird noch weitere personelle Veränderungen im Bezirk geben, weil sich natürlich Kollegen auch gesagt haben: Das tun wir uns nicht an“, sagte er im Radiointerview. Mediziner mit dreijähriger zusätzlicher Facharztausbildung für den Öffentlichen Gesundheitsdienst sind gesucht. In Neukölln hat die Besetzung des Postens zwei Jahre gedauert – bis Savaskan kam.