Unglück in Texas: Schock wie bei einem Erdbeben

West/Texas - Der Texas-Ranger hatte Schwierigkeiten zu beschreiben, was da gerade vorgefallen war. Er rang nach Worten und Vergleichen, als er gegen Mitternacht am Mittwoch (Ortszeit) in der Nähe der Kleinstadt West mit Fernsehreportern sprach. „Wie nach einer Atombombe“, so sagte D.L. Wilson, sehe die Verwüstung nach der Explosion in der Düngemittelfabrik aus. „Oder wie nach dem Attentat auf das Verwaltungsgebäude von Oklahoma City vor 18 Jahren.“

Smartphone-Videos von Amateuren machen deutlich, warum der Ranger so unbeholfen nach Superlativen suchte. Einem Mann, der aus scheinbar sicherer Entfernung das Feuer filmte, das der Explosion voranging, wurde von den Füßen gerissen. Seine Tochter, die neben ihm stand, hört man in der Aufnahme wimmern: „Ich kann nichts mehr hören, Papa, bitte, lass uns hier weggehen.“

Noch in einer Entfernung von 80 Kilometern spürten Zeugen den Schock der Explosion, die sich gegen 20 Uhr (Ortszeit) ereignete. Experten sprachen von einem „massiven seismischen Ereignis“ und verglichen die Erschütterung mit einem Erdbeben der Stärke 2,5.

Häuser völlig abgebrannt

Nachdem das Feuer unter Kontrolle war, zeigte sich das Ausmaß der Katastrophe in dem texanischen Ort. Die ersten vier Wohnblocks in unmittelbarer Nähe der Fabrik waren zerstört, von den Häusern waren nur noch Skelette übrig. 2 600 Menschen mussten evakuiert werden, darunter 130 Bewohner eines Altersheims. Die Schätzungen zu den Opferzahlen gingen noch am Morgen danach weit auseinander. Die Dallas Morning News berichtete, dass 160 Menschen in umliegenden Kliniken behandelt würden. Behörden bestätigten 15 Todesopfer, doch die Zahl war auch Stunden nach der Explosion noch lange nicht endgültig. Es wurde darüber spekuliert, dass die Zahl der Toten bis auf 60 oder 70 ansteigen könnte. Viele Menschen in der Kleinstadt West wussten auch am Morgen noch nicht, wo ihre Angehörigen sind.

Die Ursache der Katastrophe war am Donnerstag noch unklar. Die Bundesbehörde für Alkohol, Tabak, Schusswaffen und Sprengmittel (ATF) wurde eingeschaltet und behandelte die Fabrik wie den Tatort eines Verbrechens. Örtliche Behörden betonten jedoch, dass dies Routine sei und dass es bislang keine Hinweise darauf gebe, dass es sich um ein Attentat handele. Augenzeugen sprachen gestern davon, dass es zunächst in der Fabrik nur ein begrenztes Feuer gegeben habe.

Möglicherweise hat es sich um einen gewöhnlichen Brandunfall gehandelt, der dann die Düngerlager zur Explosion brachte. Spekulationen über einen Terroranschlag waren nicht zuletzt deshalb rasch aufgekommen, weil an diesem Freitag vor genau 20 Jahren das FBI nach wochenlanger Belagerung die Ranch der Davidianer-Sekte in Waco gestürmt hatte. Es gab ein Feuergefecht und einen Brand mit 81 Toten.

Keine Anzeichen für ein Terrorakt

Die damalige Schlacht, die nur 20 Meilen von der Düngemittelfabrik in West entfernt stattfand, ist für regierungsfeindliche Milizen im US-Süden zum Symbol ihres Zorns geworden. Unmittelbar nach Waco erlebten diese Gruppen großen Zulauf. Zu Beginn der 2000er-Jahre flachte die „Patriot“-Bewegung wieder ab, doch seit Präsident Barack Obama im Amt ist, erlebt sie eine Renaissance. Die Anzahl der Gruppierungen ist seit 2008 massiv angestiegen.

Auch das Attentat auf den Marathon in Boston wird mit diesen Gruppen in Verbindung gebracht. Es fand am „Patriots Day“ statt, dem Jahrestag des Aufstands der Kolonien gegen die britische Krone. Für die „Patriot“-Gruppen ist der Tag ein Symbol des Widerstands gegen als tyrannisch empfundene Autoritäten wie die US-Bundesregierung und US-Bundesbehörden.

Konkrete Anhaltspunkte für einen Terrorakt in West gibt es allerdings bislang nicht. Wahrscheinlicher erscheint derzeit ein gewöhnlicher Industrieunfall. Das Düngemittel, das in West hergestellt wurde, bestand aus Ammoniumnitrat, einem hochexplosionsgefährlichen Stoff. Die Chemikalie wird häufig auch zum Bombenbau verwendet – so auch beim Terroranschlag von Oslo im Sommer 2011.