Unser Star für Baku: Teddybären-Augen allein reichen nicht

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Vor zwei Jahren eroberte eine Abiturientin mit kleiner Stimme, aber großer Ausstrahlung die Herzen der Nation im Sturm. Ein bisschen Pathos sei an dieser Stelle gestattet, wenn aus gegebenen Anlass noch einmal an Lena Meyer-Landrut erinnert wird, die 2010 „Unser Star für Oslo“ wurde, also jene Castingshow gewann, die heute „Unser Star für Baku“ heißt.

Ja, die gibt es wirklich noch, auch wenn es kaum jemand bemerkt. Die Einschaltquoten sind dermaßen schlecht, dass es selbst dem quotengeplagten Thomas Gottschalk schwer fällt, sie zu unterbieten. Vor dem heutigen Finale in der ARD versuchen unsere Autoren zu erklären, warum das Desinteresse an „Unser Star für Baku“ so ausgeprägt ist.

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Sarah Mühlberger, Autorin: An dieser Stelle möchte ich mich ganz herzlich bedanken: „Unser Star für Baku“ hat wieder Ordnung in mein Leben gebracht. Der angestaubte, monatedicke Papierstapel auf meinem Schreibtisch: sortiert, gelocht, weggeheftet. Die ewigen Singles in der Sockenschublade sind aussortiert, manche Paare haben nach Jahren wieder zusammengefunden. Schön war auch der Moment, als ich den Wäscheständer in die Kammer gestellt habe, weil es einfach nichts mehr zu waschen, trocknen oder wegzubügeln gab.

Für solche Projekte braucht man Disziplin – oder ein Nebenbei-Format wie „Unser Star für Baku“. Man konnte jederzeit hinsehen, musste aber nicht. Es lief ein bisschen Musik, meistens nett, aber weder so schlecht noch so gut, dass sie Aufmerksamkeit einforderte. In den vergangenen Wochen habe ich mehr Folgen geguckt, als ich verpasst habe; es könnte aber auch genau andersherum sein, in jedem Fall habe ich so einiges erledigt und trotzdem nichts verpasst.

Wenn die Jury in vielen Worten wenig sagte oder wenn sich die Kandidaten hinter der Bühne von den Moderatoren umarmen lassen mussten, konnte man getrost den Raum verlassen oder Anrufe entgegennehmen. Alles Wichtige wurde ohnehin ständig wiederholt und zusammengefasst, weswegen ich unabhängig von der Anzahl meiner Nebenbei-Projekte am nächsten Tag hätte mitreden können – wozu es dann aber nie kam, weil nie jemand über „Unser Star für Baku“ sprach.

Elmar Kraushaar, Eurovisionsexperte: Wo beginnen? Bei den Juroren, deren Sprachschatz nach sieben Sendungen noch immer nicht den eines Kindergartenkindes überschreitet? Bei der Blitztabelle, die dem Zuschauer ordentlich Geld aus der Tasche zieht und ihn abhält vom Geschehen auf der Bühne? Bei den durchgängig mediokren Talenten im Rennen, die die Mär von den zigtausend Bewerbern in der Casting-Box als PR-Gag entlarven? Nein, „Unser Star für Baku“ ist ein einziges Desaster und lässt sich durch nichts mehr schönreden. In der Fülle von Castingshows, die die Programmplätze belegen, scheint die Toleranzgrenze längst überschritten. Wer soll sich noch all die Namen merken, die Gesichter, die Stimmen?

Außerdem liegt der Lena-Coup von 2010 wie eine bleierne Last über der ganzen Veranstaltung. Man will es wieder wissen, genau so! Entsprechend setzen die Juroren und das Publikum von Beginn an konsequent auf einen Kandidaten, Roman Lob. Der sei, so das hysterische Urteil, besonders authentisch. Mit dem Label „authentisch“ wurde auch dereinst Lena in den Pophimmel katapultiert. Jetzt also soll eine männliche Lena Deutschland wieder ganz nach oben bringen in Europa.

Ein glücklicher Zufall wie Lenas Entdeckung vor zwei Jahren kann aber nicht in Serie gehen. Jedem neuerlichen Experiment zeigt das Publikum die kalte Schulter.

Lesen Sie auch die Analysen von Silke Janovsky und Klaudia Wick.