US-Wahl: In Swing-States wie Florida sind die Wähler unberechenbar

ORLANDO/TAMPA -  Wayne Liebnitzky steht in der prallen Sonne, wischt sich den Schweiß aus der Stirn und macht nebenher Faxen. „Gucken Sie mal“, sagt er und zieht behände eine Visitenkarte aus der Tasche. Sie ist beinahe so dick wie ein Bierdeckel, und das hat seinen Grund: „Die können Sie verwenden, wenn das Tischbein im Restaurant wackelt. Und dann können Sie sagen: Hey, das Dinner gestern Abend ging auf Wayne. Und mich kostet diese Werbung keinen Cent.“ Jetzt kichert Liebnitzky über seinen eigenen Scherz. Der hochgewachsene Mann von 59 Jahren steht im Wahlkampf. Er ist Republikaner, und er will am 8. November ein Mandat für das Repräsentantenhaus in Washington erringen. Da muss der eine oder andere Witz doch möglich sein.

Der Ingenieur Liebnitzky, der früher bei der US-Marine diente, ist ein fröhlicher, freundlicher Mensch. Er sagt, dass es auch in einem Wahlkampf immer respektvoll zugehen müsse, so gut das eben gehe. „Ich will mich nicht mit meinem Konkurrenten um des Streites willen streiten.“ Liebnitzky hofft, dass sich seine freundliche Art auszahlt und dass ihn die Wähler von Kissimmee in Florida demnächst nach Washington schicken.

Er nimmt die schwarze Baseball-Mütze mit Veteranensymbol ab, streicht sich über sein graues Haar und sagt mit einem verschmitzten Lächeln im Gesicht: „Ich bin nicht so reich wie Donald Trump, aber ich habe die bessere Frisur.“ Wieder lacht der Mann hell auf. Er ist Republikaner, aber mit dem bizarren Gebaren Trumps will er nichts zu tun haben.

Friedlich und gelassen läuft der Wahlkampf in Kissimmee. Hier geht es auch, wenn man so will, nur um ein Abgeordnetenmandat. Eine Autostunde weiter im Westen ist es mit der Ruhe jäh vorbei. Dort dreht es sich um die ungleich wichtigere Frage, wer demnächst Präsident der USA sein wird. Wie so oft in der Vergangenheit könnten die Wählerinnen und Wähler dieser Region über Sieg oder Niederlage der Präsidentschaftskandidaten entscheiden.

Wie unter einem Brennglas

Die US-Autobahn Nummer 4 führt von Daytona Beach am Atlantik an Orlando vorbei bis nach Tampa am Golf von Mexiko. Im sogenannten I-4-Korridor lässt sich die Vielfalt des US-amerikanischen Wahlvolks wie unter einem Brennglas betrachten. Auf einer Strecke von gerade einmal 230 Kilometern leben Weiße, Schwarze, Latinos, Reiche, Arme, Mittelstand, Unterschicht, Demokraten und Republikaner eng nebeneinander.

Swing States werden im amerikanischen Politjargon jene Bundesstaaten genannt, deren Wähler unberechenbar sind, weil sie sich nicht auf den Kandidaten einer Partei festlegen lassen. Weil sie mal so, mal so wählen. Florida ist ein Swing State, und der I-4-Korridor ist gewissermaßen der Swing State innerhalb des Swing States. Wer ins Weiße Haus will, darf die Auffahrt auf die Autobahn Nummer 4 nicht verpassen. Entsprechend hektisch bemühen sich Hillary Clinton und Donald Trump in den letzten Tagen vor der Wahl am 8. November um die Gunst der Wählerinnen und Wähler.

In Tampa sind an diesem Tag die Wütenden versammelt. Donald Trump hält Hof. Tausende seiner Anhänger lassen sich im Freilufttheater auf dem Messegelände von dem Populisten aus New York in Wallung bringen. Es ist wie immer. Trump schimpft auf Hillary Clinton. Er sagt, sie könne es nicht. Er nennt sie korrupt und kriminell. Er brüllt, seine Anhänger brüllen zurück.

Hillary wird als Teil des Systems gesehen

An der Treppe, die zu den Sitzplätzen hinaufführt, steht Cassie Syska. Sie ist eine 46 Jahre alte Frau mit rundlichem Gesicht. Eigentlich, erzählt sie, sei sie eine Anhängerin des Clinton-Konkurrenten Bernie Sanders gewesen. „Der hatte wenigstens eine Idee, was er machen will. Hillary Clinton ist viel zu sehr Teil des Systems.“ Aber Sanders ist in den Vorwahlen der Demokratin Clinton unterlegen, und Syska hat jetzt das Problem, dass sie nicht so recht weiß, wen sie wählen soll.

Am Ende werde es vielleicht doch auf Trump hinauslaufen, sagt sie: „Der wird sich wenigstens darum kümmern, dass die Schulden weniger werden.“ Vielleicht werde sie aber auch gar nicht zur Wahl gehen.

Cassie Syska und ihre Freundin Sharlene Friday halten ein Schild mit der Aufschrift „Frauen für Trump“ hoch. Dass inzwischen mehr als zehn Frauen Trump vorwerfen, er habe sie sexuell belästigt, ist für Syska gar kein Problem. John F. Kennedy habe auch jede Woche eine andere Geliebte gehabt, sagt sie. Und das Video, in dem Trump damit prahlt, dass er jede Frau haben kann, weil er ein Star ist? Syska verzieht die Lippen und sagt: „Man darf einen Menschen nicht immer nur nach seiner Vergangenheit beurteilen. Menschen verändern sich.“ Sie wisse, wovon sie rede: „Ich bin mit elf Jahren von zu Hause weggelaufen und war viele Jahre lang Stripperin.“ Erst seit kurzer Zeit habe sie einen Job in einer Telemarketing-Firma.