Vatileaks-Interview mit Gianluigi Nuzzi: "Man erfährt, wie es im Vatikan zugeht"

Herr Nuzzi, in jüngster Zeit war der Papst erstaunlich klagefreudig. So ist er bis vorige Woche gegen das Satiremagazin „Titanic“ vorgegangen. Was liegt gegen Sie vor?

Nichts, denn ich habe Dokumente veröffentlicht, deren Echtheit von niemandem bestritten wird. Sie sind wie Schmirgelpapier, weil die Inhalte peinlich und schmerzhaft sind. Aber das ist in Italien ebenso wenig ein Straftatbestand wie die Verbreitung von Fotokopien.

Als eine Ihrer Quellen hat der Vatikan den früheren Kammerdiener des Papstes, Paolo Gabriele, enttarnt. Trifft dieses Ermittlungsergebnis zu?

Ich sage kein Sterbenswort über meine Informanten. Aber da Paolo Gabriele selbst mich als Empfänger von Dokumenten – genauer gesagt – Fotokopien von Dokumenten - benannt hat, entbindet mich das hier zumindest teilweise vom absoluten Quellenschutz. Generell gibt es zwei Ebenen des Interesses. Zum einen die Frage: Wer sind Nuzzis Quellen? Zum anderen die Frage: Warum hat sich ein Mann wie Gabriele - ein gläubiger Katholik, ein absoluter „Papist“, der den Heiligen Vater verehrt und ihn jahrelang wie ein Schatten begleitet hat - zu solchem Tun entschlossen?

Ja, warum? Der Vatikan spricht von einer gestörten Persönlichkeit.

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Im Süden Italiens wurden Frauen, die ein uneheliches Kind bekamen, bis in die 1960er Jahre in die Psychiatrie gesteckt. Nur lassen sich Probleme schlecht mit psychiatrischen Gutachten lösen. Also, mich hinterlässt die Version vom „Verrückten“ ziemlich perplex. Soll das etwa heißen, der Papst hat sich jahrelang mit einem Spinner umgeben, und niemand hat es bemerkt?

Beschwert es Sie als Autor, dass einer Ihrer Informanten hinter Schloss und Riegel gewandert ist?

Ich stelle verwundert fest, dass der Mann monatelang eingesperrt worden ist. Solch eine Härte in einem Staat, in dem sonst stets alles bloß symbolisch geschieht! War das notwendig? Rechtsstaatlich angemessen? Wäre das in Deutschland denkbar bei einem Vergehen wie Diebstahl?

Kaum.

Sehen Sie! Aber jenseits solcher Verfahrensfragen war es womöglich eine moralische Pflicht, all diese Dokumente zu veröffentlichen.

Mit der Folge, eingesperrt zu werden? Würde Paolo Gabriele diese Sicht teilen?

Entschuldigen Sie mal, wir sind doch alle volljährig. Gabriele hat mir diese Papiere bestimmt nicht gegeben, damit ich Papierflieger daraus bastele. Ich habe ihn gefragt, wie er sich fühlt. Er hat mir gesagt, er sei vollkommen mit sich im Reinen, und er habe im vollen Bewusstsein möglicher Konsequenzen gehandelt, weil er es als Gläubiger für seine Pflicht gehalten habe.

Gibt es eine Verschwörung im Vatikan?

Gegen wen?

Das frage ich Sie! Gegen den Papst? Gegen seinen Kardinalstaatssekretär? Gegen Saubermänner in der Vatikanbank? Das Sammelsurium Ihrer Dokumente ergibt kein klares Bild, das ist das Problem.

Ganz genau! Wenn die Dokumente aber keinen eindeutigen Adressaten erkennen lassen, gegen den sie gerichtet sind, heißt das das doch auch: Es gibt keine Verschwörung und keine Verschwörer, sondern nur einige brave Katholiken, die es für weniger schlimm gehalten haben, all diese Dokumente ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen, als Scheinheiligkeiten und skandalöse Vorgänge zu verheimlichen.

Mit welchem Ziel?

Meine Großmutter hat immer gesagt: „Carta canta“ – Papier plaudert. Diese Dokumente sprechen davon, wie weit sich der Vatikan von der Kirche an sich entfernt hat. Und darunter leiden meine Informanten.

Das fällt letztlich auf den Papst zurück, dem Ihre Informanten angeblich helfen wollen.

Sie finden in meinem Buch nichts, was sich gegen den Heiligen Vater richtet.

Das ganze Buch richtet sich gegen ihn. Er erscheint als hilflos, ja ohnmächtig. Er hat seinen Laden so wenig im Griff, dass vertrauliche Dokumente gleich haufenweise von seinem Schreibtisch genommen werden konnten, um dann bei Ihnen zu landen. Also, wer solche Helfer hat, braucht keine Gegner mehr.

Ich verstehe Ihre Sicht. Aber ich mache sie mir nicht zu eigen. Der Sprecher des Papstes hat für meine Enthüllungen den Begriff „Vatileaks“ geprägt. Das ist der Versuch, mein Buch auf eine Stufe mit Wikileaks zu stellen. Ein untauglicher Versuch, finde ich. Denn anders als bei Wikileaks finden Sie bei mir keine militärischen Geheimnisse und nichts, was die Sicherheit einer Nation gefährden könnte. Wohl aber erfahren Sie, wie es im Vatikan zugeht und welche Schwächen es dort gibt – in Ausschnitten, füge ich hinzu. Denn die Papiere zeigen immer nur einen Teil der Wirklichkeit.

Seit Ihrer Veröffentlichung ist es um den Papst herum einsam geworden. Auch sein ehemaliger Privatsekretär und seine frühere Sekretärin sollen zu den Verrätern gehören – aus Eifersucht.

Natürlich tun all diese Gerüchte dem Heiligen Vater nicht gut. Aber halten wir doch einmal fest: Außer gegen Paolo Gabriele wird gegen niemanden ermittelt. Wenn jetzt überall in der Umgebung des Papstes angebliche Verräter ausgemacht werden, ist das ein böses Spiel, um Leute zu schwächen, die mit meinem Buch nichts zu tun haben. Was ist denn das auch für eine Geschichte? Nicht nur der Kammerdiener, nein, auch der Ex-Sekretär, die Ex-Sekretärin – sie alle sollen gemeinsam durchgedreht sein und begonnen haben, gegen den Papst zu arbeiten? Absurd!

Aber wie war es denn dann? Waren doch hochrangige Vertreter des Vatikans, Mitglieder des Kardinalskollegiums gar am Werk?

Sie graben immer noch nach den Quellen, statt sich den Inhalten zu widmen! Wissen Sie, was Paolo Gabriele mir in seinem ersten und einzigen Interview gesagt hat, das bald herauskommen wird? „Wenn der Vatikan die Aufklärung der Skandale mit demselben Eifer betrieben hätte wie die Suche nach Ihren Informanten, dann wäre das ausgesprochen löblich gewesen.“ Aber gut, eines kann ich Ihnen noch dazu sagen: Kein Kardinal hat einen Beitrag zu meinem Buch geleistet.

Immer wieder geht es in Ihrem Buch um die dubiosen Finanzen des Vatikans. Ist das aus Ihrer Sicht der entscheidende Makel?

Dass die Vatikanbank mindestens bis Ende der 80er Jahre in Mafiageschäfte und Geldwäsche verwickelt war, ist höchstrichterlich festgestellt. Die folgenden 20 Jahre liegen zu weiten Teilen noch in einem Halbdunkel. Den Straftatbestand der Geldwäsche hat der Vatikan ja überhaupt erst 2010 einführt. Kurze Zeit später sind die führenden Banker des Vatikans auf einer Liste der italienischen Justiz mit Leuten gelandet, gegen die wegen Geldwäsche ermittelt. Einer davon ist jetzt abgesetzt worden. Mal sehen, wer ihm folgt. Sollte es ein Deutscher werden, wovon manche im Vatikan raunen, dürfte das als ein Zeichen der Stärke des Papstes und seines Sekretärs, Georg Gänswein, interpretiert werden.

Haben Ihre Veröffentlichungen sonst noch etwas verändert im Vatikan?

Eines ganz sicher: Gefängniszellen, die bislang als Lagerräume gedient hatten, sind saniert und wieder ihrer ursprünglichen Bestimmung zugeführt worden. Aber Scherz beiseite, ich glaube schon, dass das Bemühen um Transparenz größer geworden ist. Ein Freund aus dem Vatikan hat mir gesagt: Drei Viertel der Leute hier verstehen den Geist deines Buches, auch wenn sie es natürlich nicht laut sagen dürfen. Der Erzbischof von Paris sogar davon gesprochen, der Vatikan stehe an einem Wendepunkt. Interessant, nicht wahr?

Was sagen die Ihnen vorliegenden Dokumente über das Verhältnis zwischen dem deutschen Papst und Deutschland?

Die ganze Affäre um den Holocaust-Leugner Williamson hat den Papst schon sehr irritiert. Es gab Reibereien mit dem Apostolischen Nuntius, und es gab eigentlich die Erwartung, dass sich die deutschen Kardinäle eindeutig gegen die Kritik von Bundeskanzlerin Merkel am Papst positionieren sollten. Aber wie ist die Sache ausgegangen? Sie ist genauso im Sande verlaufen wie der Versuch des Papstes, beim Weltbild-Verlag aufzuräumen, der bekanntlich auch erotische Buchtitel im Angebot hatte. Jetzt sollen die Anteile der Bistümer an Weltbild wohl in eine Stiftung unter kirchlicher Kontrolle überführt werden. Das ist doch nicht die Lösung, wie sie der Papst nach Auskunft der von mir veröffentlichten Dokumente angestrebt hat! Das ist allenfalls – um im Bereich der Erotik zu bleiben – ein Feigenblatt.

Womit wir wieder am Anfang wären: Der Papst kann sich nicht durchsetzen.

Ich bin nur Chronist. Ich ziehe keine Schlüsse und spreche kein Urteil. Das überlasse ich meinen Lesern.

Interview: Joachim Frank

Gianluigi Nuzzi, „Seine Heiligkeit. Die geheimen Briefe aus dem Schreibtisch von Papst Benedikt XVI.“, Piper Verlag, München, 415 Seiten, 22,90 Euro.