Verfassungsschutz: Nächster Geheimdienstler geht
Beim Bundesamt für Verfassungsschutz geht das Stühlerücken infolge der Aktenvernichtungsaffäre weiter. Nachdem Präsident Heinz Fromm zum Ende des Monats freiwillig seinen Hut genommen hat und durch den Ministerialdirigenten Hans-Georg Maaßen ersetzt wird, will Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) offenbar weitere personelle Konsequenzen ziehen. Wie das Magazin Focus berichtet, soll Vizepräsident Alexander Eisvogel demnächst ebenfalls abgelöst werden. Das Blatt beruft sich auf Sicherheitskreise in Berlin.
Die Absetzung ist umso pikanter, als Eisvogel zunächst als Favorit für die Nachfolge Fromms galt und im Amt unter anderem verantwortlich ist für die Bereitstellung von Akten für den NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages. In Parlamentskreisen heißt es, möglicherweise habe der Beamte mit der Beseitigung von Akten zu tun. Tatsächlich ist der 47-Jährige mit einer Unterbrechung als Chef des Verfassungsschutzes in Hessen seit Jahren für das Bundesamt für Verfassungsschutz tätig. Gegen seine Ernennung zum Präsidenten sprach eine mögliche Verstrickung in dessen jüngste Affären.
Misstrauen der Verfassungsschützer untereinander
In den vergangenen Wochen war bekannt geworden, dass Verfassungsschutzmitarbeiter auf eigene Faust Akten über V-Leute in der rechtsextremen Szene Thüringens beseitigt hatten. Gegen drei Beamte laufen deshalb Disziplinarverfahren. Mitte voriger Woche stellte sich zudem heraus, dass auf Geheiß von Mitarbeitern des Bundesinnenministeriums im Bundesamt für Verfassungsschutz im November, Dezember, April und Mai auch Akten über Abhörmaßnahmen vernichtet worden waren. Die Überwachungen betrafen nicht zuletzt Rechtsextremisten, die Kontakt zu Mitgliedern des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) unterhielten.
Der NSU-Untersuchungsausschuss forderte die Behörden auf, derartige Aktionen sofort zu stoppen – was nach offiziellen Angaben mittlerweile geschehen ist. Das Innenministerium hatte die Vernichtung von Akten über Abhörmaßnahmen gleichwohl als „Routinemaßnahme“ verteidigt, die das Gesetz zwingend vorschreibe, weil etwa das Abhören von Telefonen einen besonders schweren Eingriff in Grundrechte bedeute. Kritik an Friedrich findet unterdessen kaum statt. Der grüne Obmann im NSU-Ausschuss, Wolfgang Wieland, betont beispielsweise, wenn Sachbearbeiter Aktenvernichtungen anordneten, treffe den CSU-Politiker daran keine Schuld.
Unabhängig von akuten personellen Konsequenzen aus den Vorgängen ist die Debatte über strukturelle Reformen in den Verfassungsschutzämtern in vollem Gange. Auf Bundesebene will Friedrich im Herbst Eckpunkte für mögliche Veränderungen vorlegen. Eine entsprechende Kommission existiert bereits. Auch auf Länderebene gibt es Bewegung. Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) schlug vor, die Verfassungsschutzämter Thüringens, Sachsens und Sachsen-Anhalts zu fusionieren. Die Landesregierungen in Dresden und Magdeburg reagierten offen.
NPD-Verbotsverfahren „angreifbarer als früher“
Nach Meinung nahezu aller Beteiligter ist ein Problem das Misstrauen der Verfassungsschützer untereinander. Sie geben einander kaum Quellen und Erkenntnisse preis und sind dazu gesetzlich auch nur bedingt verpflichtet. So muss das Bundesamt für Verfassungsschutz den Landesämtern melden, wenn es in deren Bereich einen V-Mann anwirbt. Umgekehrt müssen die Landesämter dem Bundesamt ihre Quellen aber nicht nennen. Im Bundesamt ist das Misstrauen so groß wie nie. Ein weiteres Problem ist die Seriosität der Quellen. V-Leute sind ja Teil des Milieus, das beobachtet werden soll.
Unionsinnenexperte Hans-Peter Uhl warnt, die Zustände beim Verfassungsschutz untergrüben überdies ein neues NPD-Verbotsverfahren. „Das Material des Verfassungsschutzes, das dem Bundesverfassungsgericht in einem NPD-Verbotsverfahren vorgelegt wird, ist natürlich angreifbarer als früher“, sagte er dieser Zeitung. „Das macht ein Verfahren noch unwahrscheinlicher, als es vorher schon war. Es hat sich so gut wie erledigt. Es wird ja auch von keinem mehr ernsthaft betrieben.“