Verhandlung in Oslo: Emotionaler Auftakt im Prozess gegen Breivik
Vom Angeklagten durch eine schusssichere Glaswand getrennt, sitzen Überlebende und Hinterbliebene, halten einander an den Händen und legen ihre Arme um die Schultern der Mittrauernden. Vorne aber thront Breivik emotionslos und liest aufmerksam mit, was die Ankläger vortragen. „Nicht strafschuldig“ hat er sich zum Auftakt erklärt. Zwar habe er getan, was man ihm vorwerfe, aber Strafschuld erkenne er nicht. Notwehr macht Breivik geltend. Und überdies erkenne er die Legitimität eines Gerichts nicht an, das von Parteien eingesetzt wurde, die dem Multikulturalismus Vorschub leisteten.
Im schwarzen Anzug mit hellbraunem Schlips, mit pomadigem Haar und pedantisch gestutztem Bart hatte Breivik am Morgen den Gerichtssaal betreten und, als ihm die Handschellen abgenommen waren, die rechte Faust zu einem selbst erfundenen „rechtsradikalen Gruß“ geballt. Manchmal kommt ein spöttisches Grinsen auf seine Lippen, wenn Svein Holden, der zweite Ankläger, den Werdegang des Attentäters beleuchtet: wie er erst mit dem Handel mit Schwindeldiplomen ein Vermögen erwarb, dann aber mittellos zu seiner Mutter zog, wie er ein ganzes Jahr lang mit Computerspielen verbrachte, „World of Warcraft“ vor allem, wie er sich seine Uniform zusammenkaufte, mit dem Emblem des „Marxistenjägers“, das ihm erlaubte, „Multikulti-Verräter“ zu töten, wie er sich seine Waffen beschaffte und den Hof mietete, auf dessen Gelände er die Bombe baute.
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Breivik wischt sich die Augen
Angespannt und konzentriert, aber ohne jeden Anflug von Bedauern sieht der Täter zu, als Holden die Bilder von den Überwachungskameras vorspielt, die die kräftige Explosion im Regierungsgebäude dokumentieren. Ahnungslos geht eine Frau an dem von Breivik geparkten Lieferwagen vorbei. Dann folgt der Feuerball, und als das Bild wieder klar wird, fehlen von Auto und Frau jede Spur.
Auf Breiviks Gesicht kommt ein schmales Lächeln, als sei er stolz, was er getan hat. Viel weniger unberührt war er kurz davor geblieben, als der Staatsanwalt ein 12-minütiges Propagandavideo zeigte, das der Attentäter unmittelbar vor seiner Tat ins Internet gestellt hatte. Holden nennt es eine Kurzfassung des 1800-seitigen Manifests, das Breivik – laut eigener Aussage im Auftrag eines „Tempelritterordens“ – über den „vorbeugenden Krieg“ gegen Europas „islamische Kolonisierung“ schrieb.
Das Video ist ein Pamphlet aus 99 Stillbildern, unterlegt mit sentimentaler Musik und hetzerischen Texten, doch als Breivik sich selbst in Kampfuniform mit „Kreuzfahrern und Freiheitshelden“ wie Richard Löwenherz und El Cid, Johann Sobieski und Vlad Tepes sieht, und den Kampfruf „Onward, Christian Soldiers!“, da übermannen den zuvor so kalten Mann die Gefühle, er wischt sich mehrmals über die Augen und versucht vergeblich, die Tränen zu unterdrücken.
Als Holden dann zu den Horrorszenen von Utøya kommt, hat sich der Mörder längst wieder in der Gewalt. Der Staatsanwalt dokumentiert jeden der Mordplätze, folgt dem Weg des Täters über die Insel, registriert, wo er wen erschoss, und Breivik hört zu, als folge er einer interessanten Vorlesung, die ihn persönlich nichts angeht. Er reagiert auch kaum, als das Gericht die beiden Telefonate abspielt, in denen er sich als „Kommandant der antikommunistischen Widerstandsbewegung gegen die Islamisierung Europas vorstellt“, behauptet, man habe eine „Operation vollführt“ und wünsche nun, sich zu ergeben. Dann legte er auf und setzte das Morden fort. Fünf weitere Todesfälle dokumentiert Holden nach dem zweiten Telefonat.