Streit um autofreie Friedrichstraße: Jetzt soll Gregor Gysi schlichten
Der Konflikt um 500 Meter Einkaufsstraße entzweit die Stadt. Die Politik streitet, die Berliner streiten mit. Die „toxische Debatte“ ist aus dem Ruder gelaufen.

Der Streit um die Sperrung des 500 Meter langen Teilstücks der Friedrichstraße spaltet den Senat, und er spaltet die Stadt. So wie sich Grüne und SPD in der Landesregierung streiten, so sind sich auch die Berlinerinnen und Berliner uneins. Jetzt gibt es einen Vorschlag in der verhärteten Debatte: Gregor Gysi soll schlichten.
Der Vorschlag kommt von Kristian Ronneburg, Verkehrspolitiker der Linken. Ronneburg und seine Partei erleben als kleinster Partner in der rot-grün-roten Koalition, wie sich die beiden Großen beim Thema Friedrichstraße seit Monaten öffentlich streiten. Auf der einen Seite stehen die von Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch geführte Senatsverkehrsverwaltung und viele Umweltverbände und -vereine, die vehement für die dauerhaft autofreie Innenstadtstraße streiten.
Auf der anderen stehen die SPD der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey, Gewerbetreibende aus der Umgebung und etliche Wirtschaftslobbyverbände. Der Hauptvorwurf: Bei der Sperrung seien die Belange der Anlieger ignoriert worden.
Morgen soll der mittlere Abschnitt der #Friedrichstrasse in #Berlin #Mitte für Kraftfahrzeuge gesperrt - und später für Fußgänger, Radfahrer und E-Scooter-Nutzer geöffnet werden. Mein Kommentar. @fussverkehr_de @CCitiesOrg @ADFC_Berlin https://t.co/Tm7Il42Oad
— Peter Neumann (@pneumannberlin) January 29, 2023
Mehrheit gegen autofreie Friedrichstraße
Endgültig verkarsteten die Fronten, als das vergleichsweise winzige 500-Meter-Stück zum Wahlkampfthema wurde. Im vergangenen Herbst verfügte das Verwaltungsgericht, dass Senatorin Jarasch die zwischenzeitlich entstandene Fahrradspur mitten auf der Straße entfernen müsse. Denn die Zeit für den „Verkehrsversuch“ war längst abgelaufen.
Dann kündigte Jarasch die Einrichtung einer autofreien Fußgängerzone an – und setzte dies vorige Woche um. Unter Kritik ihrer Regierungschefin Giffey, der Senatswirtschaftsverwaltung und der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung (beide SPD-geführt) und unter lautstarkem Protest des Einzelhandelsverbandes, des Gaststättenverbandes, der Industrie- und Handelskammer, der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg und vieler mehr.
Dieser Streit strahlt unmittelbar in die Stadt ab. Neueste Zahlen besagen: 37 Prozent der Berlinerinnen und Berliner fänden eine dauerhaft autofreie Friedrichstraße „gut“, 52 Prozent fänden sie „nicht gut“. Das sind die Ergebnisse einer Umfrage des Instituts Forsa im Auftrag der Berliner Zeitung.
„Toxische Debatte“ um ein „megaaufgeblasenes Politikum“
Interessant ist dabei ein tieferer Blick auf die Parteipräferenzen der Umfrageteilnehmer. Während die Anhänger der Grünen mit großer Mehrheit für eine Fußgängerzone Friedrichstraße und die Anhänger von SPD, CDU, FDP und AfD – wenn auch unterschiedlich stark – dagegen sind, zeigen sich die Linken-Anhänger gespalten: 45 Prozent sind dafür, 43 Prozent dagegen.
Für den Verkehrspolitiker Ronneburg ist das ein Ergebnis von „Machtspielchen, die insgesamt dem Projekt nicht guttun“. Einem Projekt, das er und seine Partei eigentlich unterstützen – wie übrigens auch der Kreisverband Mitte der SPD. Doch es fehle ein geweiteter Blick, der die umliegenden Straßen und die gesamte historische Mitte miteinbeziehe.
Stattdessen, so Ronneburg, gebe es eine „toxische Debatte“ um ein „megaaufgeblasenes Politikum“. Vielleicht sei eine Mediation ein Ausweg. Einen Vorschlag für den Vorsitz hat er schon: Gregor Gysi, Partei-Urgestein und Hansdampf in allen Gassen.
Für die Forsa-Umfrage wurden vom 30. Januar bis 3. Februar 1005 nach einem systematischen Zufallsverfahren ausgewählte Wahlberechtigte ab 18 Jahre befragt. Die ermittelte Fehlertoleranz liegt bei +/- 3 Prozentpunkten.