Politiker sauer: „Hauptsache Friedrichstraße! Der Osten interessiert nicht“

Eine Bahnbaustelle sorgt für tägliches Chaos in Köpenick. Währenddessen betreibt der neue Senat Symbolpolitik und öffnet die Friedrichstraße. Der Frust wächst.

Dauerstau seit März: die Bahnhofstraße in Köpenick
Dauerstau seit März: die Bahnhofstraße in KöpenickGerd Engelsmann

Es war eine der ersten Amtshandlungen der neuen Berliner Verkehrssenatorin Manja Schreiner: Durch die Friedrichstraße sollen ab Juli wieder Autos rollen dürfen.

Jetzt bekommt die CDU-Politikerin Ärger von Vertretern ihres Koalitionspartners SPD. Der Vorwurf: Schreiner betreibe Symbolpolitik, es gehe nur ums Prestige. Die Genossen fordern einen Blick auf die Situation in vielen Außenbezirken. Dort gehe es um den Alltag der Menschen. 

Zum Beispiel Köpenick: Am S-Bahnhof herrscht seit Wochen Chaos. Bis zum Jahr 2027 soll der Bahnhof zum Regionalbahn-Halt ausgebaut werden, dafür muss unter anderem eine zentrale Bahnbrücke umgebaut werden. Die ohnehin schon stark befahrende Bahnhofstraße, die unter der Brücke hindurchführt, wird massiv eingeengt. Dazu ist die parallel verlaufende Hämmerlingstraße wegen des Bahnbaus gesperrt. Die Folge: Stau, fast jeden Tag, oft durchgehend von morgens bis abends. Seit Baubeginn im März geht das so.

In dem Dauerstau sind oft auch die Straßenbahn – allein drei Linien sind dort unterwegs – und Busse der BVG gefangen. Sie stecken fest im Stillstand. Wenn es dann mal wieder zu lange dauert, öffnen die Fahrer alle Türen ihrer Fahrzeuge und raten ihren Passagieren, zu Fuß zum Bahnhof zu gehen. Dies geschieht nicht selten bereits am Schloss Köpenick. Von dort aus läuft man schon mal 20 Minuten – eine tägliche Zumutung für viele, die zur Arbeit, zur Schule, zum Arzt müssen.

Köpenick: Straßenbahnen und Busse stecken fest.
Köpenick: Straßenbahnen und Busse stecken fest.Andreas Kopietz/Berliner Zeitung

Der Ärger der aus Bus und Bahn hinauskomplimentierten Fahrgäste ist immens. Nicht selten muss das BVG-Personal die Misere ausbaden, es häufen sich die Berichte von Beschimpfungen. Schon ist die Rede von einem erhöhten Krankenstand unter Tram- und Busführern, die sich überfordert fühlen. 

„Schlechte Planung“: Treptow-Köpenicks Bürgermeister sieht „unhaltbare Zustände“

„Das sind unhaltbare Zustände. Völlig inakzeptabel“, sagt Treptow-Köpenicks Bezirksbürgermeister Oliver Igel (SPD). Die Senatsverkehrsverwaltung müsse sich sofort kümmern, sagt Igel im Gespräch mit der Berliner Zeitung. Die bisherigen Kalkulationen der Verkehrsplaner seien nicht aufgegangen. Es müsse dringend reagiert werden.

Der Kommunalpolitiker fühlt sich von der Landesebene „seit Wochen alleingelassen. Wir pochen schon lange darauf, dass die zuständige Senatsverkehrsverwaltung nicht nur zuschaut, sondern etwas unternimmt“, sagt Igel.

Die Auswirkungen der Baustelle seien sogar für ihn persönlich unangenehm. Igel ist seit zwölf Jahren Bezirksbürgermeister im boomenden Berliner Südosten. Noch nie sei er derart massiv beschimpft worden, berichtet er, so viele Bürger würden ihren Frust über die „schlechte Planung“ an ihm auslassen. Er könne jeden Einzelnen verstehen, doch diejenigen, die etwas ändern können, säßen in der Senatsverwaltung.

Schon mehrmals habe Igel zu Behördenbesprechungen vor Ort gebeten, sagt er. Mit dabei: Bahn, BVG, Polizei, Feuerwehr, Bezirksamt, natürlich auch die Senatsverwaltung. Beim jüngsten Termin am vergangenen Montag sei der Ratssaal des Rathauses Treptow gut gefüllt gewesen. Die neue Verkehrssenatorin war nicht eingeladen, sehr wohl jedoch ihre – ebenso neue – Verkehrsstaatssekretärin. Diese erschien nicht persönlich, sondern schickte Mitarbeiter vom Fach. 

Staufalle Bahnhof Köpenick: Jetzt sollen Tram und Bus eine gemeinsame Sonderspur erhalten

Tatsächlich seien erste Maßnahmen verabredet worden, berichtet Igel. So soll die Tramspur, die mitten auf der Fahrbahn der Bahnhofstraße verläuft, in den kommenden Tagen zum Sonderfahrstreifen umgewidmet werden, der dann auch von den BVG-Bussen genutzt werden kann. Der Autoverkehr soll durch Absperrungen separiert werden. Außerdem wird eine Ampelschaltung angepasst. Die Auswirkungen würden sich in den nächsten Tagen und Wochen beobachten lassen, sagt Igel.

Auch Jan Lehmann will das Treiben genau im Blick behalten. Der SPD-Abgeordnete aus dem Nachbarbezirk Marzahn-Hellersdorf nimmt Verkehrssenatorin Manja Schreiner in die Pflicht. Mit ihrer Ankündigung, die Friedrichstraße wieder für Autos zu öffnen, habe sie eine „falsche Priorisierung“ vorgenommen. Nach einem harten Wahlkampf mit der Friedrichstraße als einem der Hauptaufreger hatte die CDU das Amt nach sechseinhalb Jahren grüner Führung erst vor wenigen Wochen übernommen. Ihre Vorgängerin war Bettina Jarasch.

In Lehmanns Augen ist die Öffnung der Friedrichstraße „eine Show-Veranstaltung“. Anders als etwa in Köpenick bleibe dies ohne größere Relevanz für das alltägliche Leben Tausender Berlinerinnen und Berliner. Für Lehmann stellt sich das so dar: „Die Friedrichstraße ist die Hauptsache! Die Randbezirke und der Osten interessieren nicht.“ Und das nerve ihn gewaltig, sagt er.