Berlin - Auf Bundesregierung und Stromkonzerne kommt eine neue Auseinandersetzung über die Lagerung von Atommüll zu. Wie am Dienstag bekannt wurde, wird Deutschland in Zukunft deutlich mehr Nuklear-Abfälle entsorgen müssen als bislang vielfach angenommen. Allein die Menge des schwach- und mittelradioaktiven Abfalls könne sich auf 600 000 Kubikmeter belaufen, heißt es im Entwurf des nationalen Entsorgungsplans, der der Berliner Zeitung vorliegt und sich in der Abstimmung zwischen Regierung und Bundesländern befindet.
Das Endlager Schacht Konrad bei Salzgitter ist aber nur für rund die Hälfte der Müllmenge ausgelegt. Das ehemalige Erzbergwerk wird derzeit trotz des heftigen Widerstands von Atom-Gegnern für die Endlagerung umgebaut und soll 2022 in Betrieb gehen. Nun erscheint eine Erweiterung möglich. Der nationale Entsorgungsplan muss bis Sommer 2015 an die EU-Kommission übermittelt werden.
200 000 Kubikmeter kommen hinzu
Eine Sprecherin von Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) betonte am Dienstag, dass kein neuer Atommüll hinzugekommen sei. Es handele sich um lange bekannte und umfangreich dokumentierte Mengen, die nun „aus Gründen der Vorsorge“ in den Plan aufgenommen worden seien. Dazu zählen bis zu 100 000 Kubikmeter Material aus der Uran-Anreicherung. Sie stammen aus einer Anlage der Firma Urenco im westfälischen Gronau. Derartige Abfälle lassen sich zu Kernbrennstoffen verarbeiten, weshalb sie bislang offiziell als Wertstoff galten und aus der Statistik fielen. Hinzu kommen bis zu 200 000 Kubikmeter Atommüll und Schlamm aus dem maroden Salzbergwerk Asse bei Wolfenbüttel.
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Bei allen genannten Mengen handelt es sich um schwach- und mittelradioaktiven Abfall. Das geplante Endlager Schacht Konrad ist ausschließlich für die Aufnahme dieses Mülls vorgesehen. „Mit etwa 0,1 Prozent ist der Gesamtanteil dieser Abfälle an der Radioaktivität sehr gering. Vom Volumen her machen sie jedoch über 90 Prozent der Abfallmenge aus“, betont das Bundesamt für Strahlenschutz auf seiner Internet-Seite. Der Müll entsteht unter anderem beim Rückbau von Atomkraftwerken. Auch sind Gebrauchsgegenstände wie Schutzanzüge oder Verpackungsmaterial kontaminiert. Die Abfälle werden verpresst und in Fässer verpackt. Diese werden in Zwischenlagern aufbewahrt.
Die Art der Lagerung ist aber keineswegs problemlos, wie Recherchen des NDR zeigen: Demnach haben die Bundesländer in den vergangenen Jahren fast 2 000 Fälle von verrosteten oder anderweitig beschädigten Atommüll-Behältern erfasst. Insgesamt existieren bundesweit rund 85 000 Behälter. Besonders problematisch soll die Situation im Zwischenlager Karlsruhe sein, wo Kontrolleure mehr als 1 700 defekte Fässer gefunden haben.
Streit um Endlager
Neben den schwach- und mittelradioaktiven Abfällen gibt es den hoch radioaktiven Atommüll. Das sind die abgebrannten Brennelemente aus den Atomkraftwerken. Sie werden in so genannte Castor-Behältern eingeschlossen. Über die Frage, wo die Castoren endgelagert werden können, wird in Deutschland seit Jahrzehnten heftig gestritten.
Lange Zeit galt der Salzstock Gorleben im Wendland als gesetzt, doch wird die Suche neu aufgerollt. Beim Bundestag ist ein Experten-Gremium angesiedelt, das die Aufgabe hat, Kriterien dafür zu formulieren. Der neue Standort soll bis 2031 gefunden sein. Wenn die Anlage in Betrieb geht, könnte sie womöglich auch jene Mengen schwach- und mittelradioaktiven Abfalls aufnehmen, für die im Schacht Konrad kein Platz ist.
Die Anti-Atom-Organisation „Ausgestrahlt“ forderte am Dienstag angesichts der neuen Erkenntnisse über den Atommüll, die Produktion neuer Abfallmengen umgehend zu beenden. „Das gilt sowohl für die neun noch laufenden Atomkraftwerke, die Brennelementefabrik in Lingen, wie auf für die gigantische Mengen Müll produzierende Uran-Anreicherungsanlage in Gronau“, sagte Ausgestrahlt-Sprecher Jochen Stay.