Vor Ort bei der Rede von Joe Biden: Als er sich an die Russen wendet, verstummt die Menge
US-Präsident Joe Biden hat in der polnischen Hauptstadt eine Rede gehalten. Unsere Reporterin war vor Ort.

Bartosz Proszek trägt zwei Mützen auf dem Kopf. Eine rote und eine weiße. Die Farben Polens. Er steht wie Tausende seiner Landsleute bereits zwei Stunden vor der Rede vor der Bühne und wartet. Der 20-Jährige will Joe Biden live erleben. „Ich hoffe, es wird eine Überraschung geben“, sagt er. Ihm ist wichtig, dass Biden sagt, wo Amerika steht und wie Polen reagieren sollte.
Viele junge Polen, Studenten und Kinder sind gekommen, um Biden zu sehen. Aber auch ukrainische Flüchtlinge. So wie Helena Itozawa. Die 50-Jährige ist sich sicher: „Joe Biden hat einen Plan. Er weiß, was er tut.“ Sie hält zwei kleine Flaggen in der Hand. Eine ukrainische und eine amerikanische. Für sie wird die Rede ein „Meilenstein“ sein.

Kostenloser Kaffee und heiße Schokolade bei der Rede von Joe Biden
Die Stimmung der Menschen, die auf die Rede Bidens warten, ist gut. Niemanden scheint die Warterei oder die Kälte zu stören. Das Publikum ist in dicke Jacken gehüllt und genießt kostenlosen Kaffee oder heiße Schokolade, die es an einem kleinen Stand etwas abseits der Menge gibt.
Jakob Dadosz tanzt zu „Crazy in Love“ von Beyoncé. Er sagt, dass Biden nicht perfekt sei, aber immerhin besser als Donald Trump. Für ihn war schon allein der Besuch des US-Präsidenten in Kiew am Tag zuvor „historisch“ und „brilliant“.

US-Botschafter an Ukraine-Flüchtlinge: „Hier seid ihr sicher“
Gegen 16.45 Uhr, eine dreiviertel Stunde vor Beginn der Rede, findet ein Soundcheck statt. „Check - one, two. Let me know when it's good“, sagt eine Stimme über die Lautsprecheranlage. „Yeah!“, antwortet die Menge. Es fängt an zu regnen. Schirme sind auf dem Gelände vor den Kubicki-Arcaden in Warschau nicht erlaubt. Akribisch wurden die Zuschauer vor dem Betreten durchsucht – wie am Flughafen.
Gegen 17 Uhr dämmert es langsam. Einige Zuschauer sind auf die Boxen geklettert. Die Zuschauer auf der VIP-Tribüne tragen Leuchtarmbänder. Um 17.02 wird der US-amerikanische Botschafter in Polen, Mark Brzeziński, angekündigt. An die ukrainischen Flüchtlinge gerichtet sagt er: „Hier seid ihr sicher! “Die Menge jubelt.

Joe Biden betritt die Bühne in Warschau
„Please welcome the president of ... Poland“, sagt die Lautsprecherstimme. Die Menge stöhnt. Sie hat mit Joe Biden gerechnet, nicht mit Andrzej Duda, dem polnischen Präsidenten. Ein Buhruf ist zu hören.
Kurz nach 17.30 Uhr ist es soweit. Präsident Biden betritt die Bühne. Tausende Smartphones schnellen in die Höhe, während Biden sagt, dass die Nato nicht getrennt, und die Ukraine nie ein Sieg für Russland sein werde. Immer wieder setzt Jubel ein, wenn Biden eine kurze Sprechpause einlegt.

Joe Biden an die Polen: „God bless you!“
Als Biden sich an die Russen wendet, verstummt die Menge. Sie jubelt erst wieder, als sich der Präsident an die Polen wendet: „God bless you!“ Die Menge wirkt versunken als Biden über die Gesichter von ukrainischen Flüchtlingen spricht. Alles ist still.
Nach den letzten Worten des US-Präsidenten setzt wieder Musik ein. Coldplay - „A sky full of stars“. Maciej Kazimierczak findet: „Die Rede war verlässlich.“ Seiner Meinung nach hätte die Rede länger ausfallen können. Der US-Präsident habe sich zudem teilweise wiederholt. Aber das Ziel sei gewesen, den Menschen zu sagen: „Kopf hoch!“, so der 22-Jährige.

Joe Biden übernachtet im Marriott-Hotel
Damian Sokolowski stand etwas abseits der Menge. Er konnte nicht alles hören, was der US-Präsident gesagt hat. Das, was er hat verstehen können, sei jedoch sehr motivierend gewesen, sagt der 30-Jährige. „Wir Polen können uns sicher fühlen mit solch einem Partner“, so Sokolowski.
Nach und nach verlassen alle Zuschauer das Gelände. Slawek nutzt Google Translate, um sich zu verständigen. Er spricht kein Englisch, scheint die Rede aber dennoch gut verstanden zu haben. „Die Rede wird das bestätigen, was Biden zu Beginn des Krieges gesagt hat“, so sein Fazit. Slawek macht sich wie die meisten hier zu Fuß auf den Nachhauseweg. Die Straßen um die Kubicki-Arcaden sind nach wie vor gesperrt. Joe Biden wird hingegen in seine Unterkunft, das Marriott Hotel im Zentrum, fahren. In einem Cadillac – eskortiert von Dutzenden Polizeiautos. Die große Überraschung, auf die der junge Mann mit den zwei Mützen gewartet hat, blieb an diesem Abend aus.