Wahl der Berliner SPD-Vorstände: Wird es ganz links, oder ein bisschen Mitte?

Die SPD hat das Wahlergebnis vom Herbst nicht aufgearbeitet. Jetzt werden die Kreisvorstände neu gewählt. Im Juni der Landesvorsitz. Giffey ist unter Druck.

Doppelspitze: Raed Saleh und Franziska Giffey
Doppelspitze: Raed Saleh und Franziska GiffeyVolkmar Otto

Die Berliner SPD stellt sich in diesen Wochen neu auf. Derzeit werden die Vorstände der zwölf Kreisverbände neu gewählt, Mitte Juni ist der Landesvorstand an der Reihe. Es sind die ersten Parteiwahlen nach der äußerst knapp gewonnenen Wahl zum Abgeordnetenhaus im vergangenen Herbst.

Unangenehmer Nebeneffekt: Die Partei hat fast keinen Wahlkreis innerhalb des S-Bahn-Rings geholt. Das galt als Folge der polarisierenden Strategie, bei der die Partei im Wahlkampf stärker auf klassische Arbeitnehmerthemen setzte und weniger auf Zeitgeist wie Mobilitätswende, Klima- oder Identitätspolitik. Vielfach wurde dies auch als Streit zwischen Außen- und Innenbezirken wahrgenommen. Zwei Drittel der Berliner leben außerhalb des S-Bahn-Ringes.

Eine echte Analyse nach der Wahl blieb bisher aus. Während die Parteispitze um Franziska Giffey und Raed Saleh den Wahlsieg als großen Erfolg verkaufen will, ballen Kritiker die Faust in der Tasche. Und über allem steht die ungelöste Frage: Wer oder was will die Berliner SPD sein?

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Das einzige SPD-Direktmandat in der Innenstadt holte Max Landero, der den südlichen Teil von Alt-Mitte vertritt. So wird der Teil des Bezirks genannt, der einst zu Ost-Berlin zählte. Landeros Gebiet ist das rund um Scheunenviertel, Museumsinsel, Unter den Linden, Friedrichstraße, Leipziger Straße und Alexanderplatz.

Wie Landero der Wahlsieg dort gelungen ist, darüber ist viel geschrieben worden. Er hat klassischen Straßenwahlkampf gemacht, viel eigenes Geld dafür eingesetzt, hat an Türen geklingelt, Kontakt zur migrantischen Community gesucht, Vereine, Verbände und Initiativen besucht, auch mal gute Stimmung verbreitet. Und das alles, so sagt er im Gespräch mit der Berliner Zeitung, weitgehend ohne positives Zutun seines Kreisvorstandes.

An diesem Sonnabend will der 31-Jährige wohl auch deshalb genau an dieser Stelle ansetzen und selbst die Führung im Kreisverband übernehmen: Zusammen mit der früheren IT-Staatssekretärin Sabine Smentek möchte er sich zum Co-Kreisvorsitzenden wählen lassen.

Der bisherige SPD-Kreisvorstand Mitte gilt als besonders Giffey-kritisch

Mit dem bisherigen Vorstand, Julia Plehnert und Yannick Haan, geht Max Landero hart ins Gericht. Sie seien verantwortlich für eine tiefe Krise im Kreisverband. „Der Kreis Mitte ist der größte in der Berliner SPD. Aber er hat sich in den vergangenen zwei Jahren komplett isoliert. Es gibt eine Sprachlosigkeit gegenüber dem Landesvorstand“, kritisiert er.

Plehnert und Haan, die abermals antreten, gelten als entschiedene Gegner von Franziska Giffey. Sie gehören zum sogenannten Mitte-Links-Bündnis, Mi-Lis genannt. Die begriffliche Nähe zu militant, passe gut, heißt es aus Teilen des Bündnis 21, den Gegenspielern im Kreis, die Landero unterstützen.

Zwar möchte auch Landero nicht als bedingungsloser Giffey-Fan wahrgenommen werden, doch er wolle die Regierende auch nicht verdammen. Und vor allem suche er Kontakt, Zugang zur Landesspitze. Denn nur so lasse sich gestalten.

Wechsel bei der SPD in Charlottenburg-Wilmersdorf

In Charlottenburg-Wilmersdorf steht ebenfalls ein Wechsel an, doch dieser sei einvernehmlich. Sagt die scheidende bisherige Co-Vorsitzende. Franziska Becker gibt ihr Amt her, um sich ganz auf ihre Arbeit im Parlament konzentrieren zu können, wie es in solchen Fällen so schön heißt. Dort sitzt sie seit vielen Jahren dem gewichtigen Hauptausschuss vor.

Zuletzt war sie unfreiwillig in die Schlagzeilen geraten, weil sie infolge der Pannenwahl ihren schon sicher geglaubten Wahlkreis – noch so einer innerhalb des S-Bahn-Rings – nach einer Nachzählung doch noch an einen Grünen abgeben musste.

An der Spitze des SPD-Kreisverbandes Charlottenburg-Wilmersdorf soll Becker am Sonnabend von Newcomerin Heike Hofmann abgelöst werden. Diese soll, so die Parteiregie, an der Seite von Kian Niroomand zur Co-Chefin des Verbandes in der City-West gekürt werden. Die Wahl gilt als sicher.

Für Niroomand, jüngerer Sohn des erfolgreichen Volleyball-Managers Kaweh Niroomand, wiederum ist der Urnengang am Wochenende nur als Auftakt zu einer weiteren Wahl gedacht, die ihn ganz nah an die Spitze der Berliner SPD führen soll. Am 19. Juni wird der Landesvorstand neu gewählt, der innere Kreis der Macht um Franziska Giffey und Raed Saleh.

Dabei dürfte es einige Veränderungen geben. Kian Niroomand, die Pankower Stadträtin Rona Tietje und die Bundestagsabgeordnete Cansel Kiziltepe aus Friedrichshain-Kreuzberg sollen das Trio Iris Spranger, Andreas Geisel und Julian Zado ablösen.

Der Parteilinke Julian Zado verlässt den Landesvorstand

Während Spranger und Geisel als Regierungsmitglieder im geschäftsführenden Landesvorstand kooptiert bleiben, wie es heißt, dürfte die Wahl das zumindest vorläufige Ende einer zeitweise vielversprechenden Politkarriere einläuten: Julian Zado galt über viele Jahre als einflussreicher Vertreter einer hartlinken SPD-Strömung jenseits der beiden Streithähne Raed Saleh und Michael Müller. Doch zum Durchbruch reichte es nie.

Inzwischen ist Zado Büroleiter von Verteidigungsstaatssekretärin Margaretha Sudhof, selbst bis vor drei Jahren Staatssekretärin der Berliner Senatsfinanzverwaltung. In demselben Verteidigungsministerium hat – Zufall oder nicht – jüngst auch Jan Stöß Verwendung gefunden, als Leiter der Rechtsabteilung. Als Stöß noch Vorsitzender der Berliner SPD war (2012 bis 2014), galt Zado als einer seiner verlässlichsten Parteigänger. Übrigens: Julian Zado ist der Ehemann von Julia Plehnert aus Mitte.

Am 1. Mai wurde Franziska Giffey bei einer Rede mit Eiern beworfen.
Am 1. Mai wurde Franziska Giffey bei einer Rede mit Eiern beworfen.imago/Ben Kriemann

Lautstarker Protest gegen Franziska Giffey macht der Partei zu schaffen

Und es gibt noch mindestens eine weitere Sozialdemokratin, für die das Wahlergebnis am 19. Juni ausgesprochen wichtig ist: Franziska Giffey gilt spätestens seit der Plagiatsaffäre und dem schließlich schwachen Wahlergebnis, das der Partei gerade noch das Rote Rathaus gerettet hat, in der Partei als umstritten. Viele Parteifreunde waren irritiert darüber, dass Giffey anschließend offensiv für eine Ampelkoalition warb. Nun sitzt sie eher notgedrungen einer Neuauflage eines rot-grün-roten Bündnisses vor.

Der Start von Rot-Grün-Rot ist eher geprägt von Pragmatismus und eher nicht von gesellschaftlichem Aufbruch, wie ihn sich einige wünschen. Seit dem Kriegsbeginn in der Ukraine ist für den Senat ohnehin mal wieder vor allem Krisenbewältigung angesagt. Und über allem schwebt der komplizierte Umgang mit dem Enteignungs-Volksbegehren, der nicht nur die rot-grün-rote Koalition spaltet, sondern auch in der SPD selbst umstritten ist.

Vor allem deswegen sieht sich Giffey seit Tagen und Wochen mit lautstarkem Protest konfrontiert, egal wo sie auftaucht. Einen Tag nach dem Eierwurf bei der DGB-Demo am 1. Mai wurde die Regierende am Montagabend bei einem Termin an der Alice-Salomon-Hochschule in Marzahn niedergebuht und zum Rücktritt aufgefordert.

So weit wird in ihrer Partei niemand gehen wollen. Doch die Stimmung um Giffey herum ist schlecht, die Kommunikation mäßig. Und auch das hat dazu geführt, dass der in der Partei lange Zeit noch unbeliebtere Co-Vorsitzende Raed Saleh sie in der Delegiertengunst inzwischen überflügelt haben dürfte.

Was für ein Wahlergebnis braucht Franziska Giffey?

Nun stellt sich Franziska Giffey zum ersten Mal in ihrer Funktion als Regierende Bürgermeisterin zur Wiederwahl an der Parteispitze. Stellt sich die Frage, was ein gutes Ergebnis für sie wäre. Die SPD – und nicht nur die – kann bei solchen Gelegenheiten grausam sein. Unvergessen sind die 64,9 Prozent, die der damalige Regierungschef Michael Müller 2018 holte, wohlgemerkt ohne Gegenkandidaten. Da war es mal wieder Zeit für ein besonders michaelmülleriges Gesicht.

Was also braucht Franziska Giffey, um am 19. Juni weniger verdrossen dreinzuschauen als ihr Vorgänger? Während zum Beispiel Mitte-Mann Max Landero sagt, „etwas in den 70ern wäre schon gut“, fordert Franziska Becker aus Charlottenburg-Wilmersdorf ein deutlich besseres Ergebnis: „Alles mit einer 7 vorne fällt in die Kategorie ,ehrliches Ergebnis‘“, sagt sie. „Franziska Giffey braucht über 80 Prozent.“