Wahlen in Corona-Zeiten: Ausschließliche Briefwahl möglich
Um Landtagswahlen in Corona-Zeiten sicher zu machen, werden Wahlgesetze geändert. Eine reine Briefwahl kann angeordnet werden. Doch es bleiben Hürden.

imago/Gottfried Czepluch
Das Jahr 2021 ist das „Superwahljahr“: In Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und im Osten – Thüringen, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin - stehen die Landesparlamente vor der Erneuerung. Dazu kommt die Bundestagswahl. Die ersten Landtagswahlen finden im Südwesten statt. Bereits am 14. März wählen Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz; Mecklenburg-Vorpommern, Berlin und der Bund beenden den Stimmreigen am 26. September. Doch alle Wahlen stehen unter dem Eindruck der Pandemie, die jahrzehntelang eingeübte demokratische Abläufe mit Versammlungen und geheimen Abstimmung verändert und in einigen Fällen sogar unmöglich macht. Immer lauter wird der Ruf nach einer Wahlrechtsreform, die nicht nur einem Virus standhält, sondern auch digital zeitgemäß ist. Doch das erweist sich als überaus kompliziert.
Weniger Unterschriften nötig
Um ihre Wahlen auch in der Corona-Pandemie sicher durchführen zu können, haben die beiden Südwest-Länder Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz ihre Landeswahlgesetze bereits angepasst. Im grün-schwarz regierten Ländle wurde es Parteien, die aktuell nicht im Landtag vertreten sind, leichter gemacht, Kandidaten aufzustellen. Während normalerweise mindestens 150 Unterschriften wahlberechtigter Bürger für den Kandidaten aus dem Wahlkreis notwendig sind, sind zur Wahl am 14. März lediglich 75 Unterschriften erforderlich. Persönlich und handschriftlich müssen diese Unterschriften dennoch gesammelt werden - schwer genug in Zeiten von Corona.
In Mainz hat die Regierungskoalition aus SPD, FDP und Grünen erst kurz vor Weihnachten mit den Stimmen der oppositionellen CDU ihr Landeswahlgesetz geändert und Vorkehrungen getroffen, um auch unter Corona-Bedingungen für die Wahl gewappnet zu sein. Ziel ist es wie überall, Kontakte wo immer möglich zu vermeiden. Ein Weg ist die Briefwahl.
Papier bestellt, Wahlgesetz geändert
„Aufgrund der Corona-Pandemie rechnen wir mit einem deutlich höheren Briefwähleranteil als bei früheren Landtagswahlen. Die hierfür erforderlichen zusätzlichen Papiermengen wurden bereits im Sommer des letzten Jahres bestellt“, teilte Joachim Winkler, Sprecher des Innenministeriums Rheinland-Pfalz auf Anfrage mit. Bisher sei geplant, dass die Wahlen „auf traditionell vorgegebene Weise“ stattfinden, die Wahllokale also geöffnet haben sollen. Damit sie die Hygienemaßnahmen einhalten können, sollen die Gemeinden zusätzliche Gelder erhalten.
Das geänderte Landeswahl- und Kommunalwahlgesetz von Rheinland-Pfalz sieht jetzt vor, dass „im Falle einer Naturkatastrophe oder einer anderen außergewöhnlichen Notsituation“ die „ausschließliche Briefwahl“ angeordnet werden kann. Diese muss zuvor vom Kreiswahlleiter einzelner Stimmbezirke oder Wahlkreise beim Landeswahlleiter sowie dem Innenministerium beantragt werden. Die Anordnung darf aber frühestens 45 Tage vor der Wahl erfolgen. Grundlage für die Entscheidung wäre die begründete Annahme, dass am Wahltag das öffentliche Leben „weitgehend zum Erliegen gekommen“ oder die Stimmabgabe „wegen erheblicher gesundheitlicher Gefahren“ unmöglich sein wird. „Ob es zu einer entsprechenden Anordnung kommt, hängt vom weiteren Verlauf der Corona-Pandemie ab“, sagte Winkler.
Briefwahl kann angeordnet werden
Sollten jedoch nicht nur einzelne Bezirke betroffen sein, könnte auch eine landesweite Briefwahl angeordnet werden. Der Verordnungsentwurf dafür sei schon auf dem Weg. In diesem Fall sollen den Wahlberechtigten die Unterlagen von Amts wegen überbracht werden, teilte Winkler mit.
Eine größere Hürde als die Briefwahl ist jedoch die Aufstellung der zur Wahl stehenden Kandidaten. Diese mussten in Rheinland-Pfalz in Präsenzveranstaltungen gewählt werden - „aus rechtlichen Gründen“, heißt es dazu aus dem Ministerium. Lediglich zur Vorbereitung darauf durften die Kandidaten digitale Kommunikationsmittel nutzen.
Hürden bei den Wahlvorschlägen
Vor dieser Aufgabe stehen die Parteien aktuell auch in Berlin. Zwar haben die großen Vier - SPD, CDU, Linke, Grüne - längst ihre Spitzenkandidaten für die Abgeordnetenhauswahl im Herbst benannt, aber die vom Gesetzgeber vorgegebene Listenaufstellung ist noch nicht erfolgt. Dazu favorisiert die Berliner SPD eine Änderung des Landeswahlgesetzes, die derzeit diskutiert wird. In einer Passage des Entwurfs des Rechtspolitikers Sven Kohlmeier heißt es, dass über die „Wahlvorschläge auch ohne Anwesenheit der Parteimitglieder am Versammlungsort“ abgestimmt werden kann. Dies könne „im Wege der elektronischen Kommunikation“ erfolgen, „soweit die geheime Wahl gewährleistet ist“.
Doch ob eine solche digitale Wahl überhaupt frei, überprüfbar und dennoch geheim sein kann, ist keineswegs sicher. Gibt es daran begründete Zweifel, drohen aussichtsreiche Klagen der unterlegenen Kandidaten innerhalb der Parteien.
Beim Wahlrecht geht es auch und vor allem um Vertrauen.
Im vergangenen Oktober hat die Bundesregierung eine Wahlrechtsreform vorgenommen. Diese erlaubt eine Nominierung über eine elektronische Abstimmung, anschließend müsse es aber eine Bestätigung in einem schriftlichen Verfahren geben. Im Moment arbeitet das Bundesinnenministerium noch an einer entsprechenden Rechtsverordnung für den Bund. Die Senatsinnenverwaltung, die eine entsprechende Verordnung für das Land Berlin vorlegen müsste, wartet bereits auf das Ergebnis.
Welche Regeln auch immer getroffen werden, für Daniel Wesener, Parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen im Abgeordnetenhaus, steht fest: „Beim Wahlrecht geht es auch und vor allem um Vertrauen. Nicht umsonst fürchten sich viele Menschen vor Betrug im Internet.“
Doch für manche beginnen die coronabedingten Hürden schon weit früher. Die Partei radikal:klima will im September an der Abgeordnetenhauswal teilnehmen - zum ersten Mal in ihrer noch jungen Geschichte. Die Umweltschützer, die den Grünen vorwerfen, nicht radikal genug zu sein, wollen dafür 15 bis 20 Kandidaten aufstellen. Doch bisher ist es nicht einmal gelungen, einen Raum für eine Mitgliederversammlung zu finden. Rund 110 Mitglieder hat radikal:klima derzeit. Alle wollen bei der Kandidatenaufstellung mitreden, ein Delegiertensystem ist nicht vorgesehen.
Ohne Räume keine Kandidaten
„Wir wollen im März oder April einen Raum in Berlin nutzen, natürlich unter Einhaltung aller geltenden Abstands- und Hygieneregeln“, sagt Vorstandssprecherin Sandra Wesemann im Gespräch mit der Berliner Zeitung. Nach Lage der Dinge könnte das eine Schul-Aula oder eine Uni-Mensa sein, einen Raum in einem privaten Veranstaltungszentrum könne sich die Partei nicht leisten. „Wir haben schon Bezirke angeschrieben und sind jetzt auf Rückmeldungen angewiesen“, sagt Wesemann.
Theoretisch hätte radikal:klima - wie alle anderen Parteien und Gruppen auch - Zeit bis zum 20. Juli. Erst dann müssen die Kandidatenaufstellungen beim Landeswahlleiter eingegangen sein. Dasselbe gilt für die Unterstützerunterschriften der kleinen Parteien. Praktisch jedoch drängt die Zeit. Der Wahlkampf muss organisiert werden, eine Mobilisierung gelingt vor allem über die Kandidaten, die dabei auch die meiste Arbeit stemmen.