Warum wir Afrika nicht aus den Augen verlieren dürfen
Die Berichterstattung über den Kontinent ist mangelhaft. Dabei wäre eine kenntnisreiche Debatte angesichts unseres Engagements dringend nötig.

Diese Woche debattiert der Bundestag über die Fortsetzung der Sahel-Mandate der Bundeswehr. Sahel-Mandate? Noch nie davon gehört? Das geht nicht nur Ihnen so. Dabei ist die Bundeswehr schon seit dem Jahr 2013 im Sahel-Staat Mali aktiv. Sie ist Teil der UN-Mission Minusma und der EU-Ausbildungsmission, die malische Streitkräfte trainiert. Es ist der größte laufende und aktuell gefährlichste Einsatz der Bundeswehr.
Wegen wachsender Spannungen mit der malischen Militärregierung, wegen russischer Söldner und des Vorwurfs der Menschenrechtsverletzungen durch die malische Armee soll die deutsche Ausbildungsmission nun enden. Die UN-Mission zum Schutz der Bevölkerung soll weiterlaufen. Man könnte meinen, diese Informationen seien wichtig und verdienten eine öffentliche Debatte. Doch selbst interessierte Medienkonsument:innen bekommen kaum etwas mit.
Der Medienjournalist Lutz Mükke fragt nach den Gründen für diese Informationslücke. Seine jüngst erschiene Studie „Mediale Routinen und Ignoranz?“ zeigt: Weder gibt es Reportagen zu den Militäreinsätzen in Mali noch investigative Recherchen aus dem Sahel. Wird tatsächlich mal berichtet, dominieren „übervereinfachte Realitätswahrnehmungen“. Zu Wort kommen westliche Eliten, Quellen aus Afrika fehlen. Korrespondent:innen berichten aus Kapstadt, Paris oder Berlin; sie sind also zwischen 2400 bis 6000 Kilometer entfernt. Das ist, als berichte man über Berlin aus Reykjavik oder Neu-Delhi! Ein Fazit der Studie: „Von breiter Information und nachhaltiger Beförderung eines gesellschaftlichen Diskurses kann keine Rede sein.“ Die Folge ist eine Lücke im Kopf.
Ein ganzer Kontinent „verschwindet“
Die Sahel-Berichterstattung ist nur ein Beispiel. „Das Verblassen der Welt“ nennt Autor Marc Engelhardt die Krise der deutschen Auslandsberichterstattung. Er zeigt, verblassen tut vor allem Afrika. Ein ganzer Kontinent verschwindet (fast) von der Landkarte. So hat die ARD für Subsahara-Afrika, also 49 Staaten mit rund 920 Millionen Menschen, ganze drei (!) feste Korrespondent:innen. Für die USA allein hat sie sechs. Die sitzen in den Großstädten der Küstenregionen. Das heißt, zwar bekommen wir Naturkatastrophen in den USA (anders als humanitäre Katastrophen in Afrika) detailreich serviert. Aber das soziale Leben zwischen den Küsten fällt auch hier aus dem Bild. Trumps Wahlsieg 2016 kam so als Schock.
Auch das Afghanistan-Debakel im Sommer 2021 ist ein Beispiel für die Folgen (medialer) Zerrbilder. Nach dem Abzug westlicher Truppen übernahmen die islamistischen Taliban wieder das Land. Die Überraschung im Westen war groß. Jahrelange war die Berichterstattung aus den Großstädten gekommen und auf militärische Geschehnisse fokussiert gewesen. „Sie betrachtete die Geschehnisse im Land weitestgehend aus der Ferne“, schreibt Engelhardt. Deutsche Korrespondent:innen saßen in Neu-Delhi, Berlin, München oder Washington. Auch hier fehlten also Hintergrundberichte, Analysen und Vor-Ort-Kenntnisse der gesamtafghanischen Gesellschaft.
Es scheint paradox. Trotz weltweiter digitaler Kommunikation werden die blinden Flecken journalistischer Berichterstattung größer. Die Folgen sind Zerrbilder in unserer Wahrnehmung der Welt. Besonders bei Fragen von Militär-Entsendungen aber brauchen wir detaillierte Hintergrundberichte. Denn nur so geht öffentliche Debatte.