Sawsan Chebli über Internet-Hetze: „Digital müssen die gleichen Regeln gelten“

Wenn jemand angegriffen wird, schreitet man ein. Das müsse endlich auch im Internet gelten, findet die SPD-Politikerin Sawsan Chebli.

Sawsan Chebli
Sawsan ChebliBerliner Zeitung/Markus Wächter

Hass und Drohungen werden angezeigt. Das teilt Sawsan Chebli, Sozialdemokratin, Feministin, Mutter, in ihrem Twitter-Kanal neben der persönlichen Vorstellung gleich zu Beginn mit. Inwieweit die Ankündigung abschreckend oder mäßigend wirkt, lässt sich nicht sagen. Wer an einem beliebigen Tag ein wenig durch die Kommentare zu Cheblis Äußerungen scrollt, trifft schließlich immer noch auf Beleidigungen wie „Sprechpuppe“ und „Quotenfrau“. Es gab auch schon schlimmere Bezeichnungen.

Chebli trifft der zumeist anonyme Hass nicht allein. Politikerinnen verschiedener Parteien sind im Netz Zielscheibe für Anfeindungen aller Art. Besonders hart wird derzeit die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang angegangen – wegen ihrer Körpermaße.

Allerdings lassen sich prominente Politikerinnen mittlerweile nicht mehr alles gefallen. Renate Künast, ebenfalls Grüne, wehrte sich erfolgreich vor Gericht. Sie fordert weitere Verbesserungen bei der Gegenwehr auch durch den Staat. Wie zuletzt auch Recherchen des „ZDF Magazin Royal“ gezeigt hatten, geht die Polizei aber sehr unterschiedlich mit Anzeigen um. Künast moniert Desinteresse und Inkompetenz und fordert Schulungen für Polizeibeamte. Ein anderes Bewusstsein sei hier nötig, aber es fehle auch an Fähigkeiten, im Netz Beweise zu sammeln.

Sawsan Chebli sieht noch einen anderen Punkt: fehlender Beistand in der Netzgemeinde. Wir treffen sie an einem heißen Tag in diesem Sommer.

Frau Chebli, wann hatten Sie zuletzt mit Hass und Hetze im Internet zu tun?

Wie viele Frauen, die im Netz aktiv, laut und sichtbar sind, erlebe ich Hass und Hetze täglich.

Haben Sie ein Beispiel aus der letzten Zeit?

Vor kurzem habe ich ein Bild gepostet von einem Fotoshooting, wo es um die Stärkung von Frauen ging. Die Kommentare waren widerlich. Ich bin’s inzwischen ja gewöhnt, aber ich wollte nicht, dass die anderen Frauen beleidigt werden, nur weil sie mit mir auf einem Bild sind. Also habe ich die Kommentarfunktion eingeschränkt. Das mache ich inzwischen häufiger.

Warum?

Ich möchte den Hatern keine Plattform geben, Hass gegen Freunde und Familie zu verbreiten. Alle, die konstruktiv diskutieren wollen, können mir eine Direktnachricht schicken. Das lasse ich zu, um allen die Möglichkeit zu geben, mich zu erreichen.

Welle der Anfeindungen, um mundtot zu machen

Bei welchen Themen erinnern Sie sich an besonders krasse Reaktionen?

Der letzte Shitstorm ist noch nicht besonders lange her. Es ging um ein in einer Zeitung veröffentlichtes Gerücht, dass ich Staatssekretärin im Bundesinnenministerium werden könnte. Das hat eine Welle der Anfeindungen losgetreten, unbändigen Hass. Für mich war es eine orchestrierte Kampagne, die nur ein Ziel hatte: mich zu diffamieren und mich so mundtot zu machen.

Verletzt Sie so etwas noch nach all den Erfahrungen in den vergangenen Jahren?

Ich habe gelernt, den Hass nicht an mich heranzulassen. Aber es geht hier nicht um mich, nicht um persönliche Gefühle. Das, was im Netz passiert, ist Gewalt. Digitale Gewalt. Und diese bedroht unsere Demokratie. Es führt dazu, dass Menschen sich aus dem politischen Diskurs zurückziehen. Es kann wie bei mir ja auch zu tatsächlichen Übergriffen kommen.

Sawsan Chebli
Sawsan Chebli, geboren 1978 in West-Berlin, war von 2016 bis 2021 Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement und Internationales in der Berliner Senatskanzlei. Zuvor war sie als stellvertretende Sprecherin im Auswärtigen Amt und als Grundsatzreferentin für interkulturelle Angelegenheiten in der Berliner Senatsverwaltung für Inneres und Sport beschäftigt.

Was ist passiert?

Ein Mann hat mich beleidigt und auf offener Straße angegriffen.

Wie haben Sie reagiert?

Ich war geschockt und sprachlos. Ich konnte nicht fassen, was passiert war. Der Mann lief weiter. Ich habe das LKA informiert und Anzeige erstattet.

Wie lange ist das her?

Es ist etwa vier Jahre her.

Es geht alle was an

Und wie denken Sie heute darüber?

Ich möchte einfach nur, dass die Leute verstehen, dass das, was im Netz passiert, auch sie was angeht. Digitale Gewalt geht uns alle an. Im digitalen Raum müssen die gleichen Regeln gelten wie im analogen. Ich möchte, dass die Zivilgesellschaft aufsteht und lauter ist gegen Hass und Hetze im Netz. Wenn immer mehr Kommunalpolitikerinnen und -politiker aufgeben, weil sie digitale Gewalt erleben, hat das Folgen für unsere Demokratie. Ich werde oft gefragt, wie ich den ganzen Hass ertrage. Ich kann nur sagen, dass es mir besser gehen würde, wenn mehr couragierte Bürgerinnen und Bürger mitmischen würden, damit Leute, die im Netz für unsere Demokratie streiten, nicht allein sind. Wenn ein Mensch auf der Straße angegriffen und beleidigt wird, schreitet man auch ein. Im digitalen Raum muss diese Kultur etabliert werden.

Warum ist das nicht selbstverständlich?

Viele sagen mir, dass sie sich aus Twitter und Co. raushalten, weil sie den Hass nicht ertragen. Aber wenn wir alle so handeln würden, hätten die Hater gewonnen.

Vielleicht haben diese Leute ja Angst?

Ja, auch das ist oft der Grund. Umso wichtiger ist es, dass wir alles tun, um das Netz sicherer zu machen. Ich hätte mich nach dem Angriff auch am liebsten zurückgezogen. Habe ich aber nicht.

Das wäre eine Kapitulation?

Genau.

Ihre Strategie ist also präsent sein?

Präsent und laut sein.

Sie gehen dem Hass nicht hinterher und versuchen herauszufinden, wer dahinter steckt?

Klar mache ich das. Ich erstatte oft Anzeige. Aber ich schaffe es nicht, alles zu screenen. Es gibt aber Organisationen wie HateAid, die mir helfen. Man kann HateAid auch finanziell unterstützen. Es gibt viele Wege, sich zu engagieren, nur sind solche Maßnahmen noch nicht bekannt genug. Auch das ist mir ein Anliegen: Laut darauf hinzuweisen, was Bürgerinnen und Bürger beitragen können.

Sie zeigen Täter an, wie sind die Erfahrungen?

Zu oft kommen die Täter ungestraft davon. Und nicht selten kommt es darauf an, in welchem Bundesland die Anzeige erhoben wird und wie gut ausgerüstet die Staatsanwaltschaft ist.

Meldeportal wie in Hessen

Um welche Länder geht es?

Laut einer Studie von der Demokratie-Stiftung Campact von 2021 können Bayern, Berlin, Hessen und Nordrhein-Westfalen die meisten Maßnahmen vorlegen. Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften gibt es nur in Bayern, Niedersachen, Nordrhein-Westfalen und Hessen. Dort hat der Mord an Walter Lübke für ein Umdenken gesorgt. Es gibt dort ein Meldeportal, „Hessen gegen Hetze“. Das hilft sehr, weil in diesen Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften Menschen sitzen, die wirklich Fachwissen über Gewalt im Netz haben und das Thema bei der Polizei bereits bekannt ist.

Ist es Ihnen oft passiert, dass nicht ermittelt wurde?

Die Verfahren werden fast immer eingestellt, weil der Täter nicht ermittelbar ist. Ich habe auch erlebt, dass Bundesländer unterschiedlich mit meiner Anzeige umgegangen sind. Im einen war es Meinungsfreiheit, im anderen wurde eine Strafe verhängt.

Ganz ähnlich also wie bei der Recherche von Jan Böhmermann, wo derselbe Fall in verschiedenen Bundesländern angezeigt wurde und in manchen ein Täter vor Gericht landete, in anderen aber niemand ermittelt werden konnte?

Das ist ein großes Problem. Vertrauen in unsere Justiz ist die Grundlage unserer Demokratie. Wir brauchen mehr Sensibilität für das Thema. Deshalb bin ich Jan Böhmermann dankbar, dass er den Test gemacht hat. Die Staatsanwaltschaft Stendal in Sachsen-Anhalt hat die Ermittlungen nach der Veröffentlichung von Böhmermann wieder aufgenommen. Oft sind die Probleme aber auch strukturell. Es mangelt an Ressourcen.

Es liegt am Personalmangel?

Ja, auch das ist ein Problem.

Sensiblere Politik nach dem Mord an Walter Lübcke

Werden Hass und Hetze denn ernst genug genommen?

Seit dem Mord an Walter Lübcke ist einiges passiert. Die Politik ist sensibler geworden. In der öffentlichen Wahrnehmung bin ich aber nicht so sicher. Zu wenige wollen mit Twitter und den sozialen Plattformen etwas zu tun haben. Es hängt also noch zu oft damit zusammen, ob jemand selbst betroffen ist. Ich halte es für extrem wichtig, dass wir darüber reden, wie wir im Netz miteinander umgehen.

Es sind überdurchschnittlich oft Frauen betroffen. Woran liegt das?

Ja, es trifft vor allem Frauen. Und der Hass potenziert sich, wenn man einen Migrationshintergrund hat, muslimisch ist, lesbisch etc.

Wie könnte man das verändern?

Es sind unterschiedliche Maßnahmen, die ergriffen werden müssen. Bildung ist das eine. Es muss an den Schulen gelehrt werden, wie wir sicherer im Netz unterwegs sein können. Jugendliche brauchen eine Art Werkzeugkasten, um mit Hass und Hetze im Netz besser umzugehen.

Wo sind Sie in den sozialen Medien unterwegs?

Ich bin auf Twitter sehr aktiv und nutze auch Instagram. Dort geht es wenig brutal zu. Facebook habe ich deaktiviert. Das war mir zu gefährlich geworden. Ich hatte nicht das Gefühl, durch den Plattformbetreiber gut geschützt zu werden.

Haben Sie nicht das Gefühl, sich auf einem Medium wie Twitter in einer Blase zu bewegen?

Nein. Was auf Twitter passiert, bleibt nicht bei Twitter. Aus einem Tweet entstehen wie aus Agenturmeldungen Beiträge in sämtlichen Medien. Es entsteht eine Debatte, die die Politik dazu bringt, Entscheidungen zu treffen, die Folgen für uns alle haben können. Und man kann das Netz auch zugunsten der Demokratie nutzen.

Aber richtig Trafic kriegt man doch eher mit negativen Beiträgen?

Stimmt. Auf Ärger springen viele drauf. Positive Tweets werden dagegen leider weniger oft geliked und geteilt. Es wäre aber wichtig, dass positive Geschichten auf mehr Interesse stießen, aber so ticken wir Menschen wohl nicht. Man muss deshalb ganz bewusst Lovestorms schaffen.

Gibt es Themen, die Sie gar nicht mehr ins Internet tragen?

Private Themen meide ich. Ansonsten bleibe ich laut.