Butscha – der Name eines kleinen Ortes im Randgebiet von Kiew – wird die Wahrnehmung des Krieges verändern. Täglich sind seit dem vergangenen Sonntag auf allen, wirklich allen TV-Kanälen, die über das Kriegsgeschehen berichten, jene immergleichen Bewegtbilder gezeigt worden, auf denen ein Spähpanzer Schlangenlinien zwischen Getöteten zieht. Achtlos zurückgelassene Körper, viele gefesselt, einigen meint man die Sturzbewegung noch ansehen zu können, mit der sie zu Boden gegangen sind, nachdem ein scharfes Geschoss sie vom Fahrrad geholt hat. Man sieht Körper und Fahrrad ineinander verknäult.
Die Moderatoren der Sendungen werden nicht müde, die Bilder mit dem Adjektiv „schrecklich“ zu versehen, das Versagen der Sprache, das sich in der stereotypen Wiederholung zeigt, kann den Verdacht des Voyeurismus nicht zerstreuen, der die Szenen unweigerlich begleitet. Das Sprechen über den Krieg befindet sich selbst in einem Abnutzungsprozess. Politiker verwenden die Bezeichnungen Kriegsverbrechen oder Vernichtungskrieg, um so ihrem Entsetzen über das Geschehen Ausdruck zu verleihen. Genau genommen dokumentieren sie aber nur ihre Hilflosigkeit, die passenden Worte zu finden. Schwingt beim Begriff Kriegsverbrechen nicht auch die Konnotation eines legitimen, sauberen Krieges mit, der einer späteren juristischen Behandlung standhält?
Verkohlte Hand, rote Fingernägel
Wie wirksam die Bilder aus Butscha sind, vermag jeder an sich selbst überprüfen. Das Bedürfnis, wegzusehen, steht im Konflikt mit dem Drang, hinsehen zu müssen, warum auch immer. Eines der eindringlichsten Bilder aus Butscha ist in der mir zu Bewusstsein gekommenen Wahrnehmung eine Nahaufnahme, das eine verkohlte Hand zeigt, deren Fingernägel rot lackiert sind – ein Verweis darauf, dass es einmal einen Alltag für die Getöteten des Krieges gegeben hat, in dem es auf modischen Gestaltungswillen ankam.
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Das Foto erinnert in ästhetischer Hinsicht an die Arbeiten des berühmten Fotografen Boris Mikhailov, die dieser im postsowjetischen Moskau der 1990er-Jahre aufgenommen hat. Sie zeigten Menschen am Rand der Gesellschaft, Obdachlose, Kinder, Kranke und Alte, sogar Getötete in Moskauer Hinterhöfen. Die schonungslose Nähe, die er dem Betrachter zumutete, brachte Mikailov den Vorwurf ein, das Schicksal der Menschen für seine ästhetischen Ambitionen ausgenutzt zu haben. Aus heutiger Sicht ist Mikhailov, der 1938 im ukrainischen Charkiw geboren wurde, ein schmerzlich aktueller Bildner der sozialen Verhältnisse einer Vorgeschichte des Krieges.