Wer Gutes will, muss mal Böses tun: Etwas Positives über Gerhard Schröder
Die Ampelkoalition ist noch kein Jahr im Amt und hat schon mehr Kröten geschluckt als ihre Vorgänger in 16 Jahren. Aber es wartet noch ein ganzer Krötenteich auf sie.

Die um sich greifende Sehnsucht nach Harmonie und Versöhnung hat auch mich erfasst. Ich möchte jetzt auch, dass Russen und Ukrainer sich wieder mögen, dass das Lufthansa-Management und Verdi sich versöhnen, dass Impfgegner und Impfbefürworter sich in die Arme fallen, die Linke andere Linke und die AfD auch nicht bleichgesichtige Deutsche und solche, die gar keinen deutschen Pass haben, ins Herz schließen. Da das alles aber eine Nummer zu groß für meine Verhältnisse ist, habe ich stattdessen beschlossen, mit etwas Kleinem zu beginnen, mit etwas, was schon lange (also seit ca. fünf Monaten) niemand mehr getan hat: nämlich etwas Positives über Gerhard Schröder zu schreiben.
Der Anlass ist der zwanzigjährige Geburts- und gleichzeitige Todestag von Hartz IV, eine Erfindung von Sozialdemokraten und Grünen, den die Union am Leben gelassen und die nun wiederum Sozialdemokraten und Grüne unter Mithilfe der Liberalen zu Grabe getragen haben. Hartz IV spaltete die SPD, ließ aus der Asche der postkommunistischen PDS die Phoenix der Linken erstehen und galt seitdem links der CSU als besonders fiese Art sozialstaatlicher Folter an sozial Schwachen. Und doch hat Hartz IV damals ein sozialdemokratischer Kanzler erfunden. Manche Menschen, die sich mit Politik auskennen, behaupten sogar, nur ein sozialdemokratischer Kanzler habe sozialdemokratischen Kernwählern solche Daumenschrauben anlegen können. Und da ist auch durchaus etwas dran.
Glaubwürdigkeit muss man sich erwerben
Gerhard Schröder und seine Regierung standen damals vor leeren Kassen, einem Heer von über vier Millionen Arbeitslosen und einem hoch verschuldeten Staat, der nach dem Beitritt der DDR gigantische Summen an kreditfinanzierten Subventionen verschleudert hatte, ohne die dadurch notwenigen Strukturreformen anzugehen. Ja, Reformstau gab es nicht nur in der letzten Amtszeit von Angela Merkel. Schröders Arbeitsmarktreform war grausam, aber sie schuf erst den Spielraum, in dem die Nachfolge-Regierungen dann den Bankenkrach verhindern, Griechenland und die Eurozone retten und in der Pandemie mit Kurzarbeitergeld und Corona-Hilfen dafür sorgen konnten, dass die Arbeitslosigkeit niedrig blieb, die Zahl der Konkurse sogar rückläufig war und die Bundesrepublik jetzt immer noch vergleichsmäßig geringe Zinsen für ihre Schulden bezahlen muss. Jahrelang verdiente sie sogar an den Negativzinsen.
Schröder tat das damals nicht, weil er ein sadistischer Zigarrenraucher im Dienste des Großkapitals war, sondern weil er anders gar kein Geld mehr für Sozial- und Arbeitsmarkpolitik gehabt hätte. Dass er das tun konnte, hängt in der Tat damit zusammen, dass er Sozialdemokrat und damit für die betroffenen Arbeitslosen und diejenigen, denen dieses Los noch bevorstand, glaubwürdig war. So wie jetzt auch die veganen Bildungsbürger auf ihren kindergerechten, mit grinsenden Sonnenblumen beklebten Lastenfahrrädern eher bereit sind, der Laufzeitverlängerung einiger Atom- und Kohlekraftwerke zuzustimmen, wenn ihnen das von Robert Habeck und Annalena Baerbock statt von Friedrich Merz erklärt wird.
Das ist der Hauptgrund, warum Politiker manchmal Kröten schlucken und das dann ihren Anhängern erklären müssen: weil sie für sie glaubwürdiger sind als Experten und politische Gegner. Das ist für Politiker, die ja ständig mit ihrer Glaubwürdigkeit hadern, eigentlich eine gute Nachricht. Da viele von ihnen aber überzeugt sind, sie seien wegen ihrer Glaubwürdigkeit gewählt worden, und regierten, um ihr Programm zu verwirklichen, ist das Erwachen nach gewonnener Wahl oft grausam. Nein, sagt das Erwachen, die Glaubwürdigkeit musst du dir erst noch erwerben und zwar, indem du Kröten schluckst.
Wie Linke Kapitalisten füttern
Und so kam es, dass der Sozialdemokrat Schröder SPD wählenden Arbeitslosen Leistungen kürzen, Umschulungen und Sanktionen zumuten und sein grüner Vizekanzler seine pazifistischen Gefolgsleute von der Bombardierung Jugoslawiens und Afghanistans überzeugen musste. Und so entstand damals die Linke, die einzige Partei, die über so lange Zeit keine einzige Kröte schlucken musste, weil sie nie im Bund an der Regierung war. Vielleicht passiert das ja noch, und Janine Wissler, Martin Schirdewan und Amira Mohamed Ali machen Bekanntschaft mit einer monströsen Kröte, die sie dann schlucken müssen, nämlich der Erkenntnis, dass eine höhere Staatsverschuldung das Land jenen internationalen Finanzmärkten ausliefert, die für die Linke ein solcher Ausbund von Ausbeutung und Gewinnsucht sind.
Jede Staatsanleihe, mit der Linke das Los von Hartz-IV-Beziehern verbessern wollen, wird in der Regel von bösen, gierigen Kapitalisten wie Friedrich Merz früheren Arbeitgebern aufgekauft – weil die dann die Zinsen einstreichen und sich damit in fernen Ländern, weit weg von den deutschen Höchststeuersätzen, Villen und Jachten kaufen. Das ist auch Umverteilung, noch dazu horizontal und vertikal und nimmt wenig Rücksicht auf linke Parteiprogramme. Da lobe ich mir Gerhard Schröder, der auch gegen internationale Investmentfonds als „Heuschrecken“ wetterte, aber wenigstens etwas dafür tat, ihre Zinseneinnahmen zu schmälern. Und weil ich nun schon beschlossen habe, nur Gutes über ihn zu schreiben, werde ich dabei unerwähnt lassen, dass viele dieser Heuschrecken eigentlich Pensionsfonds sind, die dafür sorgen, dass ihre Kunden das Rentensystem weniger belasten.
Schröder war da der Linken um einiges voraus, und wer weiß, ob Oskar Lafontaine ihm nicht auch das übel genommen hat. Was von seiner Linken übrig ist, ist jedenfalls im Moment meilenweit davon entfernt, Kröten schlucken zu müssen. Die Linke kann sich jetzt genüsslich und aus der sicheren Entfernung der Oppositionsbänke ansehen, wie die Ampelkoalition antritt, den Nachkriegsrekord im Krötenschlucken anzutreten.
Grüne für Kohle und Atom, Liberale für Schulden und Sozialdemokraten für Aufrüstung
Im ersten Akt dieser Vorstellung sehen wir einen SPD-Kanzler, der eine Zeitenwende, eine massive Aufrüstung ankündigt, der Waffen auch in andere Spannungsgebiete als Israel liefert und der Russland so sanktioniert, dass sowohl Russen wie Deutsche das auch wirklich bemerken. Danach tritt ein grüner Vizekanzler auf, der den Kohleausstieg verschiebt und darüber nachdenkt, ob man nicht auch das eine oder andere Kernkraftwerk am Netz lassen sollte, wir beobachten einen liberalen Finanzminister beim Schuldenmachen und beim Verkünden sozialer Wohltaten für die von Preissteigerungen besonders Betroffenen. Das Publikum reibt sich die Augen, doch das ist erst der Anfang.
Im nächsten Akt dieser Oper, wir können sie „Austeria“ nennen, werden die Hauptpersonen auch die lieb gewonnene und allgemein akzeptierte Überzeugung über Bord werfen, dass deutsche Waffen grundsätzlich nur an Länder geliefert werden dürfen, in denen sie niemand braucht, weil es dort keine Spannungen, keine Kriege und keine Unterdrückung gibt. Diese Überzeugung ist bereits etwas angezählt, wie man beim Boxkampf sagen würde, und sie wankt bereits wegen des Kriegs in der Ukraine, aber ihr Trainer hat das Handtuch noch nicht geworfen.
Er wird es tun, wenn ihm klar wird, dass die Bundesregierung für ihre Zeitenwende deutlich weniger Geld aufbringen muss, wenn sie der deutschen Rüstungsindustrie erlaubt, ihre Produkte mehr als bisher zu exportieren, weil sie dann höhere Stückzahlen herstellen und die Stückkosten senken kann. Abgesehen davon, dass sie dann auch höhere Gewinne macht, von denen sie höhere Steuern abführt. Mit Rüstungsexporten Gewinne zu machen, gilt unter vielen Ampelanhängern als äußerst unfein. Aber das ändert sich vielleicht, wenn ihnen Robert Habeck erklärt, dass man höhere Steuereinnahmen aus Rüstungsexporten ja auch für die Renaturalisierung von Sumpflandschaften und die Rettung von Wäldern ausgeben kann. Damit ist dann auch der Nachschub an Kröten sichergestellt, die Habeck dann schlucken kann.
Das Dogma der bösen Waffen
Tatsächlich machen Exportbeschränkungen für Waffen nur da Sinn, wo ein Empfängerland ausnahmslos auf deutsche Waffen angewiesen ist und es nichts Vergleichbares auf dem Weltmarkt gibt. Dann sind solche Beschränkungen nicht nur aus moralischen, sondern aus sicherheitspolitischen Gründen angebracht. Um sicherzustellen, dass diese Waffen nicht eines Tages unter ungünstigen Umständen gegen Deutschland eingesetzt werden.
Verbietet man den Export von Waffen ohne Alleinstellungsmerkmal, führt das nur dazu, dass der Empfänger sich woanders eindeckt. Wer mit Exportverboten verhindern will, dass die ägyptische Polizei mit deutschen Pistolen auf Demonstranten schießt, sorgt nur dafür, dass die Demonstranten danach mit chinesischen oder russischen Pistolen beschossen werden und dass statt Heckler & Koch die chinesischen und russischen Hersteller daran verdienen. Die Welt wird damit nicht zu einem besseren Ort, nur deutsche Politiker und Medienvertreter dürfen sich besser fühlen.
Für die ägyptischen Demonstranten gilt das nicht unbedingt, aber die sind wahrscheinlich ohnehin Muslimbrüder und haben für so etwas Verständnis, denn sie decken sich vermutlich in Saudi-Arabien mit Waffen ein. Vollkommen abstrus werden diese moralinsauren deutschen Debatten dann, wenn es um schwere Waffen wie Patrouillenboote und Kampfflugzeuge geht, die man bei innenpolitischen Auseinandersetzungen so gut wie gar nicht verwenden kann.
Aus unerfindlichen Gründen hat sich in den letzten Jahrzehnten in Deutschland die Überzeugung verfestigt, dass Kriege nicht von Menschen, sondern von Waffen ausgelöst werden, und man deshalb durch die Nichtlieferung von Waffen in Spannungsgebiete zur Konfliktbegrenzung beiträgt. Und dass durch Waffenlieferungen Kriege eskalieren. Das abstrahiert ein wenig von der Erfahrung eines kleinen und damals von modernen Waffen fast völlig abgeschnittenen Landes wie Ruanda, wo ein Teil der Bevölkerung, aufgehetzt von der Regierung, den anderen Teil mit Macheten, Prügeln und selbst gemachten Schwertern umgebracht hat, von denen kein einziges aus Deutschland stammte. Die Macheten dagegen kamen aus China.
In Deutschland tut man gerne so, als sei Deutschland der einzige Waffenlieferant auf der großen weiten Welt und als gäbe es keinen Schwarzmarkt für Waffen und keine bösen, skrupellosen Waffenhändler, die überall hin Waffen verschieben und umso mehr Geld verdienen, je höher die Nachfrage und je geringer das (von Deutschland künstlich verknappte) Angebot ist. Dass Waffenlieferungen manchmal dem schwächeren Angegriffenen helfen, sich gegen einen stärkeren Angreifer zu wehren, lernte man in den von körperlichen Züchtigungen gekennzeichneten Anfangsjahren der Bundesrepublik schon im Kindergarten – meist am eigenen Leib. Als die Bundeswehr den Jesiden im Irak aushalf, tauchte das Argument auch auf, aber verinnerlicht wird es wohl erst seit der russischen Invasion der Ukraine.
Eine Kröte für die EU
Unter allen in nächster Zeit zu schluckenden Kröten sind deutsche Waffenexporte aber allenfalls die Kaulquappen im Krötenteich. Seit den Anfangsjahren der Europäischen Union gibt es da nämlich – um bei der zoologischen Terminologie zu bleiben – eine heilige Kuh in Gestalt von Artikel 346 des Vertrags über die Europäische Gemeinschaft, der die Rüstungsindustrie der Mitgliedsländer von den Zwängen des Gemeinsamen Marktes befreit. Dank dieses Artikels dürfen Mitgliedsstaaten ihre Rüstungsbetriebe selbst vor der Konkurrenz durch andere EU-Mitgliedsstaaten schützen, sie subventionieren und mit Rüstungsgütern handeln, ohne darüber irgendjemandem Rechenschaft ablegen zu müssen.
Dank dieser Bestimmungen können französische Hersteller Gewehre produzieren, in die keine deutsche Munition passt, Italiener können verhindern, dass jemand belgische Software in ihre Panzerwagen einbaut, und Polen kann seine Haubitzen so subventionieren, dass sie für jeden afrikanischen Abnehmer billiger werden als spanische. Das hat den für die deutsche Rüstungsindustrie angenehmen Nebeneffekt, dass sie weniger ausländische Konkurrenz fürchten muss, und von der Bundesregierung höhere Preise verlangen kann, als wenn diese ihren Bedarf international ausschreiben würde.
Es hat aber, grob gesagt, auch den Nachteil, dass es den deutschen Steuerzahler mehr kostet, dass der Mangel an Konkurrenz die Wettbewerbsfähigkeit behindert und innerhalb Europas dann ein Flickenteppich von Angeboten entsteht, von denen keines zum anderen passt. Umfragen in den letzten Jahrzehnten haben immer wieder gezeigt, dass eine Mehrheit der EU-Bürger für die Schaffung einer EU-Armee wäre. Aber wenn sie jetzt entstünde, würde die deutsche Munition nicht in die französischen Gewehre, die spanischen Mörser nicht in die französischen Granatwerfer passen, die italienischen Piloten könnten keine deutschen Hubschrauber fliegen (falls die imstande wären, abzuheben) und die niederländischen Kommandeure könnten ihre deutschen Kollegen nicht erreichen, weil die gerade, um die komplizierten Ausschreibungsprozeduren zu umgehen, Walkie-Talkies bestellt haben, von denen die Niederländer nicht ahnen, dass sie überhaupt noch irgendwo in Betrieb sind.
Da, wo es kostspielig ist, arbeiten die Europäer schon lange zusammen: bei gemeinsamen Einsätzen, beim Informationsaustausch und im Rahmen von multinationalen Brigaden. Da, wo man sparen könnte, dagegen nicht. Die EU-Kommission möchte das gerne ändern mit gemeinsamen Rüstungseinkäufen. So radikal, den Geltungsbereich von Artikel 346 einzuschränken, ist sie nicht, obwohl das ohne Vertragsänderung möglich wäre.
Wehrpflicht für Frauen?
Ausgerechnet eine Sozialdemokratin, die Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högl, hat unmittelbar nach dem 24. Februar einmal kurz die Frage nach der Wiedereinführung der Wehrpflicht aufgeworfen. Richtig abgeschafft wurde sie ja nie. Um eine Grundgesetzänderung zu vermeiden, haben Union und FDP sie 2011 nur ausgesetzt. Was den Vorteil hat, dass man sie auch ohne Grundgesetzänderung wieder einführen kann. Dafür gibt es gute Gründe, von denen manche aber gar nichts mit Scholz’ Zeitenwende oder Putins Krieg zu tun haben, sondern mit der Überalterung der Bevölkerung und dem Pflegenotstand. Mit der Wehrpflicht ließe sich nämlich auch der Zivildienst wieder einführen, der 2011 ebenfalls ausgesetzt wurde.
Die Wiedereinführung der Wehrpflicht ist nicht einfach nur eine Kröte, die die Ampel schlucken kann, sie wird, um die Allegorie auf die Spitze zu treiben, sehr schnell laichen und viele kleine Kaulquappen produzieren, die dann auch geschluckt werden möchten. Dazu gehört nicht nur die Frage nach der Länge des Dienstes, sondern auch danach, ob der sich angesichts der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof (EuGH), der im Jahr 2000 Frauen ein Recht auf den Dienst an der Waffe einräumte, überhaupt noch auf männliche Rekruten beschränken lässt. Recht und Pflicht sind nicht das Gleiche, doch wie will man – vor dem EuGH und dem Verfassungsgericht in Karlsruhe – rechtfertigen, dass Frauen in den Krieg ziehen dürfen, Männer aber müssen, wenn beide gleichermaßen dazu befähigt sind?
Eine wirklich allgemeine Wehrpflicht hätte auch noch einen anderen gesellschaftlich vorteilhaften Nebeneffekt: Wer partout keinen Dienst an der Waffe leisten und trotzdem nicht verweigern (und damit Zivildienst leisten) will, kann dann eine Familie gründen und damit auf eine ganz private Art und Weise eines der Probleme lösen, das die Wiedereinführung der Wehrpflicht angestoßen hat. Das ist der Moment, wo dann auch vielleicht die AfD Beifall klatscht: Wer die Wehrpflicht einführt, braucht, wegen des für Verweigerer notwendigen Ersatzdienstes, dann weniger Einwanderer für die Pflege- und Gesundheitsdienste und bekommt wahrscheinlich sogar eine leicht höhere Geburtenrate.
Der Ochsenfrosch unter den Amphibien
Darüber wird in Deutschland zurzeit wenig diskutiert, auch weil viele Politiker wohl davon ausgehen, dass man Kröten, die man ignoriert, nicht schlucken muss. Stattdessen hat nun der frühere Bundestagspräsident und Finanzminister Wolfgang Schäuble eine Debatte angeregt, die auch schon nach 2014 einmal kurz aufflackerte. Sie ist, um bei den Amphibienvergleichen zu bleiben, gewissermaßen der Ochsenfrosch unter allen schluckbaren Kröten, viel zu groß für einen Politiker, eine Partei, eine Regierung. Deshalb eignet sie sich auch so gut für die sozialen Netzwerke oder, wie man früher gesagt hätte, den Stammtisch. Die Rede ist von atomarer Aufrüstung, entweder national oder, wie Schäuble nun angeregt hat, von atomarer Abschreckung in europäischem Rahmen.
Die Grundidee ist natürlich verlockend: Wer selbst atomar abschrecken kann, braucht sich nicht vor anderen Atommächten zu fürchten. Und einiges von Scholz’ Zurückhaltung gegenüber Putin kommt wohl auch daher, dass Scholz weiß, das ein russischer Atomschlag gegen die USA, Frankreich oder Großbritannien zu einem ebensolchen gegen Russland führen würde, ein russischer Atomschlag gegen Deutschland dagegen nur eine entsprechende Antwort bekäme, wenn die USA dem (im Rahmen des „nuclear sharing“) zustimmten. Putin weiß das auch, und das zwingt Scholz dazu, die eine oder andere russische Kröte zu schlucken, die Macron oder Johnson kalt lächelnd zurück in den Teich werfen können.
Denn Deutschland hat keine eigenen Atomwaffen und damit auch keine Abschreckungsmöglichkeit. Da liegt der Gedanke nahe, das zu ändern. Das aber ist so kompliziert und riskant, dass es vom Gedanken zur Tat noch ein sehr, sehr weiter Weg ist. Ganz abgesehen davon, dass diese Kröte vermutlich auch für SPD und Grüne, die bis vor Kurzem noch aus dem „nuclear sharing“ aussteigen wollten und Atomwaffen grundsätzlich verbieten wollen, absolut unverdaulich sein dürfte. Und es ist so kompliziert, dass es den Rahmen des gewöhnlichen Krötenschluckens bei Weitem übersteigt und ein eigenes Menü erfordert, mit einer Super-Kröte und Politikern, denen keine Kröte zu groß ist.
Klaus Bachmann ist Politikwissenschaftler, Historiker, Publizist und Professor für Sozialwissenschaften an der SWPS University in Warschau.
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