Wie schätzt China die Optionen Russlands in der Ukraine ein?

China fordert die USA auf, keine weiteren Waffen in die Ukraine zu schicken. Experten aus Peking halten eine Eskalation bis hin zu einem Weltkrieg für möglich. 

Die Sprecherin des chinesischen Außenministeriums, Mao Ning, im Oktober 2022.
Die Sprecherin des chinesischen Außenministeriums, Mao Ning, im Oktober 2022.Liu Zheng/AP

China hat die USA für den Krieg in der Ukraine verantwortlich gemacht. „Die USA sind diejenigen, die die Ukraine-Krise ausgelöst haben“, sagte Außenamtssprecherin Mao Ning am Montag vor der Presse in Peking laut dpa. Die Regierung der Vereinigten Staaten sei auch „der größte Faktor, der die Krise anfacht“. Indem die USA schwere und offensive Waffen an die Ukraine lieferten, verlängerten und verstärkten sie den Konflikt. China hat sich nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine bedeckt gehalten. Peking hat die Tatsache, dass Russland das Völkerrecht gebrochen hat, nie ausdrücklich verurteilt. Zugleich versucht China, sich als neutral zu positionieren, auch um bei Bedarf eine Vermittlerrolle übernehmen zu können.

Mit den Anschuldigungen reagierte Mao Ning auf eine Frage nach amerikanischen Vorwürfen, dass chinesische Unternehmen möglicherweise die russische Seite unterstützten. Die Sprecherin sprach von „unbegründeten Verdächtigungen“ und „grundloser Erpressung“. China werde nicht untätig bleiben, wenn die USA die legitimen Rechte und Interessen chinesischer Unternehmen schädigten.

„Wenn die USA wirklich die Krise bald beenden wollen und sich um das Leben der Menschen in der Ukraine sorgen, müssen sie aufhören, Waffen zu liefern und von den Kämpfen zu profitieren“, so Mao Ning laut dpa. Die Verschärfung im Ton erfolgte nur wenige Tage vor einem Besuch des US-Außenministers Antony Blinken, der am Sonntag und Montag in Peking erwartet wird. Zuletzt war dort im Oktober 2018 ein US-Außenminister zu Gast.

China beobachtet die Entwicklungen in der Ukraine genau. So beschäftigte sich die staatliche Global Times in einer Analyse ausführlich mit einer möglichen Eskalation der Lage in Europa. Die Zeitung bezieht sich dabei auf Aussagen des Vorsitzenden des Nato-Militärausschusses, Rob Bauer. Dieser hatte in einem Interview mit dem portugiesischen Fernsehsender RTP auf die Frage, wie er die Position der Nato im Hinblick auf eine direkte Konfrontation mit Russland sehe, gesagt: „Wir sind bereit.“ Doch die Global Times ordnet die Aussage ein und schreibt: „Bauer betonte auch die Vorbedingung eines solchen gefährlichen Szenarios und sagte, dass ,die Nato nur reagieren wird, wenn Russland die rote Linie überschreitet, indem es in einen der Nato-Mitgliedstaaten einmarschiert‘“.

Song Zhongping, ein chinesischer Militärexperte und Fernsehkommentator, sagte der Global Times am Sonntag, dass „Kiew sich immer bemühen wird, seine Nato-Verbündeten dazu zu bringen, direkt mit russischen Truppen in der Ukraine zu kämpfen, da dies wahrscheinlich die einzige Möglichkeit für Kiew ist, die aktuelle Situation umzukehren. Aber Washington ist nicht dumm, also wird es nicht von Kiew benutzt, sondern wird Kiew weiterhin benutzen, um Moskau zu unterminieren."

Wei Dongxu, ein in Peking ansässiger Militärexperte, sagte der Global Times am Sonntag: „Wenn die Ukraine schließlich Waffen wie F-16-Kampfflugzeuge, die von Nato-Mitgliedern bewaffnet wurden, und Langstreckenraketen sowie Kampfpanzer erhält, dann wird Kiew in einigen Regionen, die derzeit von russischen Truppen kontrolliert werden, Gegenangriffe starten können.“ Dies könnte vor dem Ende dieses Winters oder eine Zeit nach dem Winter geschehen, so Wei.

Song sagte, dass „Russland nicht abwarten wird, bis die ukrainischen Truppen vollständig mit diesen Nato-Waffen bewaffnet werden“, sodass die russischen Truppen wahrscheinlich eine neue Runde einer Großoffensive starten werden, bevor die Situation wegen der neuen Waffen schwieriger wird.

Die Aussage von Bauer, die „Nato sei bereit für eine direkte Konfrontation mit Russland“, sei eigentlich eine klare Botschaft des Westens, dass sich die Nato nicht direkt einmischen werde, solange Russland seine „Militäroperation“ auf die Ukraine begrenzt, so die Experten laut der Global Times.

Allerdings sehen die chinesischen Experten ein Problem, sollte Russland keinen militärischen Sieg erringen, ehe die Nato den ukrainischen Streitkräften militärische Hilfe bei der Gegenoffensive leistet. Sollte die Ukraine den Russen im Donbass oder auf der Krim und in anderen Regionen innerhalb des russischen Territoriums große Verluste beibringen, würde Moskau „heftig zurückschlagen, und das würde mit Sicherheit zu einer Eskalation führen“, sagte Song: „Sobald sich die Nato direkter einmischt, würde sich die Situation sofort in eine Konfrontation zwischen der Nato und Russland verwandeln, und der Ausbruch des Dritten Weltkriegs in Europa würde zu einem Ereignis mit hoher Wahrscheinlichkeit“, sagte Song.

Da Bauer gesagt habe, die Nato sei bereit für eine direkte Konfrontation mit Russland, sei klar, dass sich die Nato wie Russland auf das schlimmste Szenario vorbereiten, so die chinesischen Experten. 

Zhang Jun, Chinas ständiger Vertreter bei den Vereinten Nationen, forderte die internationale Gemeinschaft am 13. Januar auf, Bedingungen für Dialog und Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine zu schaffen und die Bemühungen zu verdoppeln, um neue Perspektiven für den Frieden im Jahr 2023 zu eröffnen.