Winfried Kretschmann: „Das Erstarken der AfD ist besorgniserregend“

Berlin - Herr Kretschmann, in einer der jüngsten Umfragen liegen die Grünen erstmals vor der CDU, weil selbst CDU-Wähler Sie als Ministerpräsidenten behalten wollen. Dabei erreichen Sie Ihre Popularität auch dadurch, dass Sie noch konservativer erscheinen, als Sie mutmaßlich sind. Müssen Sie da als Grüner mal an Grenzen gehen?

Ich weiß nicht, wie viel davon Mythos ist, dass ich so konservativ sein soll. Dass fällt mir selbst gar nicht so auf. Im Übrigen ist die Sache ganz einfach. Dies ist ein Land mit großen Traditionen. Und in diesen Traditionen bin ich drin und lebe sie. Aber unser Land muss auch modernisiert werden. Sonst können wir in einem globalen Wettbewerb nicht mithalten. Jetzt versuche ich, beides  zu verbinden. Das Konservative wird mir immer nur zugesprochen. Ich bin von der Haltung her ein durchaus liberaler Mensch und weltoffen, habe aber meine Grundsätze. Das ist keine Frage.

Kurios ist, dass Sie Kanzlerin Angela Merkel in der Flüchtlingskrise unterstützen, während sich der CDU-Spitzenkandidat Guido Wolf von ihr absetzt. Bei wem läuft da was schief: Bei Frau Merkel, bei Herrn Wolf oder bei Ihnen?

Sicher nicht bei der Kanzlerin und sicher nicht bei mir. Denn es geht um das europäische Projekt und die Krise hinter der Krise, also die Krise der Europäischen Union. Sowohl die Kanzlerin als auch ich sind überzeugte Europäer. Deswegen findet sie meine volle Unterstützung, alle Kräfte und alle Leidenschaft darin zu setzen, die Krise europäisch zu lösen und nicht ins Nationale zurückzufallen. Denn dafür würden wir einen sehr hohen Preis zahlen. Das ist der Grund, warum ich sie unterstütze.

Wobei ja die Kritiker der Kanzlerin sagen, sie sei ins Nationale zurück gefallen, indem sie sich durch die Öffnung der Grenzen einen nationalen Alleingang erlaubt habe.

Das halte ich für eine krasse Mythenbildung. Der große Flüchtlingsansturm fand ja davor statt. Dass in Ungarn ein paar tausend Menschen auf der Straße standen, war das Ergebnis. Und es war ein Akt der Humanität, sie einreisen zu lassen. Die Übereinkunft von Dublin, wonach Menschen kein Asyl in einem Land beantragen können, wenn sie aus einem sicheren Drittstaat kommen, hat schon vorher nicht mehr funktioniert. Die Menschen kommen zum großen Teil aus Bürgerkriegsgebieten und nicht, weil die Kanzlerin ein Selfie mit einem Flüchtling macht.