"Wir stehen sehr wohl für Dynamik"

Kanzleramtschef Helge Braun über Klimaschutz, GroKo-Konflikte und das Geheimnis schneller Lösungen.

Berlin-An der Wand im Büro des Mannes, bei dem die Fäden der Regierung zusammenlaufen, hängt ein Frosch. Oder nicht ganz: Es hängt dort ein Bild mit einem großen grünen Fleck vor einem blau-gelben Hintergrund, etwas Orange findet sich auch noch. Gerhard Richter hat es gemalt und es „Rana“ genannt, lateinisch für Frosch also. Fröhlichkeit strahle es aus, findet Helge Braun. Das kann man vielleicht ganz gut brauchen hier im siebten Stock des Kanzleramts. Einmal über einen langen Flur, dort sitzt die Kanzlerin. Braun ist Kanzleramtsminister, also der Chef-Organisator der Bundesregierung.

Kanzleramtsminister Helge Braun, CDU.
Kanzleramtsminister Helge Braun, CDU.imago

Herr Braun, braucht die GroKo einen neuen Aufbruch?

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Wir haben einen Aufbruch und zwar einen sehr positiven. Unsere Klimapolitik wirkt: Der CO2-Ausstoß ist bereits deutlich gesunken. Es zeigt: Wenn man ein Thema umfassend beantwortet, gibt es von den Interessierten keine Liebe auf den ersten Blick und vielleicht auch viel Kritik – aber dann eine umso größere Wirkung. Und wir haben weitere epochale Themen: In den nächsten zwei, drei Wochen werden wir das Gesetz zum Kohleausstieg vorlegen. Wir arbeiten an einer Wasserstoff- Strategie. Nächste Woche sprechen wir erneut über die Transformation in der Automobilindustrie. Unser Land stellt sich gerade sehr erfolgreich auf die moderne Zeit ein.

Das ist bislang aber nicht so angekommen.

Stimmt. Außenpolitische Krisen und Parteikonflikte haben den Blick auf die Regierungsarbeit etwas verschüttet. Aber im Vergleich zu anderen Regierungsperioden stemmen wir unglaublich viele große Projekte. Wir stehen sehr wohl für Tempo und Dynamik.

Auch CSU-Chef Markus Söder sieht den GroKo-Schwung noch nicht. Er will den mit einer Kabinettsumbildung schaffen.

Die Bundeskanzlerin hat wissen lassen, dass sie gerne mit ihren Ministern zusammenarbeitet. Das war der klare Hinweis, dass eine Kabinettsumbildung nicht ansteht. Und das ist auch richtig so. Die Leute wollen doch nicht nur neue Köpfe sehen. Sie fordern, dass wir Probleme lösen, damit sich ihr Leben positiv verändert. Wir müssen zeigen, dass wir die Herausforderung des Klimawandels meistern, die digitale Infrastruktur ausbauen und an vielen Stellen das Gegeneinander in der Gesellschaft auflösen. Das zählt.

Ist es mit den neuen SPD-Vorsitzenden möglich, die Koalition ins Jahr 2021 zu führen?

Natürlich. Unser erstes Treffen war sehr ermutigend. Und im Koalitionsausschuss war immer Bewegung: Es gibt einen neuen CSU- und eine neue CDU-Vorsitzende, neue Fraktionschefs und nun eben auch neue SPD-Vorsitzende. Wir haben unverändert eine sehr gute Arbeitsatmosphäre. Das funktioniert menschlich und sachlich gut. Ich denke, dass die Koalition bis zum Ende der Wahlperiode bestehen wird.

Was war Ihr größter Problemfall in der ersten Halbzeit der Koalition?

Die kompliziertesten Themen sind die, in denen die Gesellschaft gespalten ist. Das setzt sich dann in der Regierung fort. Das galt für die Werbung für den Schwangerschaftsabbruch oder den Umgang mit problematisch gewordenen Wölfen. Am spannendsten fand ich die Arbeit am Klimaschutzkonzept und der Grundrente, weil diese Themen sehr facettenreich sind.

Haben Sie mal gedacht: Das wird nie etwas?

Mein Selbstverständnis ist: Wenn ein Problemthema im Kanzleramt landet, muss es innerhalb einer Sitzung eine Lösung geben. Das hat bei allen Themen geklappt, bis auf die, die ich gerade aufgezählt habe. Dass es ein Problem gibt, das wir nicht gelöst bekommen, sehe ich nicht. Es gibt immer Wünsche von einzelnen Koalitionspartnern, die gerne ein Projekt umsetzen würden, das nicht im Koalitionsvertrag steht. Da muss man sich nicht einigen. Aber wenn wir uns einig waren, dass es ein Problem gibt, das alle lösen wollen, haben wir immer die Kraft gehabt, eine Lösung zu finden.

Zur Person
Helge Braun (47) ist seit März 2018 als Bundesminister für besondere Aufgaben Chef des Bundeskanzleramts. Zuvor war er parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung und anschließend, ab 2013, Staatsminister bei der Bundeskanzlerin.
Der CDU-Politiker aus Gießen studierte Humanmedizin und schrieb seine Doktorarbeit über den Einfluss intraoperativer Tachykardien (Herzrasen während einer Operation). 2015 verlieh ihm die Uni Frankfurt den Titel eines Honorarprofessors. Braun ist verheiratet und Katholik.

Bitte etwas Lebenshilfe: Wie löst man ein Problem in nur einer Sitzung?

Man muss Themen in einem frühen Stadium ernsthaft besprechen und nach dem gemeinsamen Nenner suchen. An Debatten wie über das Klimaschutzgesetz oder die Grundrente sieht man: Wenn sich eine Seite sehr früh öffentlich festlegt, dann wird der Weg relativ hart. Dann muss man sich für jeden Kompromiss rechtfertigen, weil der den eigenen Anhängern als Niederlage erscheint, auch wenn sie die Hälfte ihrer Wünsche durchgesetzt haben. Es ist wichtig, Kompromisse als gesellschaftliche Funktion wertzuschätzen. In einer Demokratie setzt keine Gruppe ihr Ziel zu 100 Prozent durch.

Wann kommt der Kompromiss zum Streitthema Grundrente?

Die Grundfestlegungen sind da. Es geht noch um die Präzisierung der technischen Umsetzung. Dann können wir sehr zügig ins Kabinett. Das kann noch im Januar gelingen.

Gibt es auch noch eine große Rentenreform nachdem im Frühjahr die Expertenkommission ihre Vorschläge vorlegt?

Ich fände es toll, wenn wir noch in dieser Legislaturperiode zu einer gesetzlichen Umsetzung kommen. Wir haben aber durch unsere bisherigen Beschlüsse etwa zu den Haltelinien auch noch etwas Zeit.

Die Regierung will die Digitalisierung forcieren. Braucht es dazu ein eigenes Digitalministerium, wie es CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer fordert? Oder reicht es, wie bisher die Aufgaben zwischen den Ressorts zu splitten?

Es gibt für beides gute Argumente. Ein Digitalministerium hätte den Vorteil, dass jemand am Kabinettstisch sitzt, der die Dinge operativ verantwortet. Man darf dafür aber nicht allen Ministern die Digitalkompetenzen wegnehmen. Wenn ein Wirtschaftsminister plötzlich nicht mehr zuständig ist für digitale Start-Ups und sich nur noch um Biotechnologie- Firmen kümmert, wäre das genauso komisch, wie wenn ein Innenminister nichts mehr mit Cyberkriminalität zu tun hätte. Aber bei Kernprojekten der Digitalisierung innerhalb der Bundesverwaltung und bei europäischen Fragen muss viel koordiniert und umgesetzt werden. Dafür könnte man ein Digitalministerium gut brauchen.

Die Verwaltungsdienstleistungen sollen digitalisiert werden. Was kommt da 2020?

Als erstes werden die familienpolitischen Leistungen digitalisiert. Kindergeld, Elterngeld und vieles andere können dann online beantragt werden – unabhängig vom Wohnort. Mit dem Gesetz rechne ich in den nächsten Wochen.

Haben Sie keine Sicherheitsbedenken? Hacker haben Sicherheitsprobleme bei der digitalen Gesundheitskarte festgestellt.

Am meisten Sorgen macht mir, dass viele Leute bei ihrem Computer zu Hause das automatische Update nicht einstellen. Das Betriebssystem wird damit oft über Jahre nicht aktualisiert. Das gibt richtige Sicherheitslücken.

Die Datenverwaltung der Behörden ist sicher?

Alle Projekte unserer früheren Jahre waren viel zu groß dimensioniert. Alle drei Jahre überholt sich die Technologie – und damit gibt es Angriffsmöglichkeiten. Wir versuchen jetzt, kleinere schlankere Pakete zu machen, die technologisch auf der Höhe der Zeit sind. Da werden auch Angriffe schwerer.

Viele haben doch gar kein Problem damit, ihre Daten im Netz preis zu geben.

Dass heute teilweise Daten zu leichtfertig rausgegeben werden und gleichzeitig viele Datenschätze wirtschaftlich ungenutzt bleiben, sind Anfangsphänomene. Darüber wird man in zehn Jahren so den Kopf schütteln wie über Marie Curie, die sich das Uran in die Hosentasche gesteckt hat. Wir werden reifer werden im Umgang mit unseren Daten. Der Bürger muss einen Überblick darüber haben, was er mit seinen Daten zulässt und was nicht. Der Staat muss dazu beitragen, indem er Plattformen und Betriebssysteme reguliert.

Woran liegt es, dass Deutschland so hinterherhinkt bei der Digitalisierung?

Es gibt eine starke Digitalisierung – nur arbeiten alle mit unterschiedlichen Systemen, die nicht miteinander kommunizieren können. Durch die Selbstverwaltung der Kommunen und der Länder gibt es auch sehr viele Verwaltungsportale. Bisher hat man gedacht, dass die heterogenen Systeme zusammenarbeiten müssen. Jetzt hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass es ohne Standardisierung nicht geht. Ich bin ganz positiv gestimmt. Schon bald muss man nicht mehr fünf Behörden anschreiben, es reicht dann ein Knopfdruck.

Die GroKo hat vergangenes Jahr über Nachverhandlungen diskutiert. Was wäre ein wichtiges Zusatzprojekt?

Deutschland braucht unbedingt eine Unternehmenssteuerreform. Eine solche Entlastung wäre ein wichtiges Wachstumssignal. Und es muss auch um Vereinfachung gehen. Ich sehe dazu auch Bereitschaft bei der SPD. Das kann ein gemeinsames Projekt sein.

Gibt es eigentlich noch eine Koalitionsrunde, in der entschieden wird, ob die GroKo fortgesetzt wird?

Nein, das haben wir im Dezember bei Lebkuchen geklärt. Wir machen regelmäßig Koalitionsrunden zu dem, was anliegt. Als nächstes schon wieder Ende Januar.

Das Gespräch führten Daniela Vates und Rasmus Buchsteiner