Putin: Hätte eine Frau den Krieg gestartet? Schaut auf Margaret Thatcher!
Wladimir Putin war bei seiner ersten Auslandsreise nach Kriegsbeginn in Aschgabad. Er sprach über seinen nackten Oberkörper, Kriegsziele und sein Land.

Russland isoliere sich nicht, wie dies manche glauben, und sei auch nicht dabei, isoliert zu werden. So kommentierte der ständige Vertreter der Russischen Föderation bei der Europäischen Union Wladimir Tschischow beim Sankt Petersburger Internationalen Wirtschaftsforum die wenig überraschende Rede des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Aber auch wenn kaum von einer völligen internationalen Isolation Moskaus gesprochen werden kann, wird die Lage für Moskau zunehmend schwieriger, wie die aggressiven Durchhalteparolen des Kremls zeigen.
Denn nicht nur die Beziehung zum Westen dürfte für Jahre, wenn nicht sogar für Jahrzehnte zerrüttet bleiben, auch Russlands internationales und regionales Ansehen erfuhr durch den Angriffskrieg gegen die Ukraine erhebliche und nachhaltige Schrammen. Eine selbst mittelfristige Rückkehr zum Status quo ante 24. Februar 2022 ist mit absoluter Sicherheit auszuschließen.
Russlands Reigen internationaler Entfremdung
Das Verhältnis zu Russlands einziger eng verbündeter Großmacht China gestaltet sich ungleich problematischer, als dies vor Beginn der sogenannten Spezialmilitäroperation gegen die Ukraine von Moskau erwartet werden konnte. Aktuell legt Peking die strategische Partnerschaft mit der Russischen Föderation überaus flexibel aus. Dabei gelingt es China, einen beachtenswerten Spagat zwischen deutlicher Kritik am völkerrechtswidrigen Agieren Russlands und der Aufforderung zu internationaler Akzeptanz russischer Sicherheitsinteressen sowie der Ablehnung internationaler Sanktionen zu schlagen, um auf diese Weise den Anschein der Unterstützungsbereitschaft Moskau gegenüber zu wahren.

Gleichzeitig nutzt Peking die international verzwickte Lage Russlands dazu aus, langfristige Wirtschafts- und Energielieferverträge zu günstigen Bedingungen auszuhandeln, ohne dabei allerdings Moskau bei der Umgehung der Sanktionen allzu offen zu unterstützen; und im Hintergrund vollzieht sich ein stillschweigender schrittweiser Rückzug chinesischer Unternehmen vom russischen Markt.
Putins Sicht auf die Welt stimmt mit der Realität nicht überein
Auf dem afrikanischen Kontinent stößt der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine auf offene Ablehnung und scharfe Vorwürfe aggressiver neokolonialer Politik durch eine ganze Reihe von – in der Vergangenheit als durchaus russlandfreundlich geltender – Staaten. Im postsowjetischen Raum wirkt Russland bei weitem nicht mehr so selbstsicher und einflussstark wie noch vor Beginn der Invasion. Im Südkaukasus wächst der Einfluss der Türkei erheblich an, in Zentralasien legt der traditionelle Verbündete Moskaus Kasachstan eine kritisch-selbstbewusste Haltung an den Tag und fordert vom großen Nachbarn im Norden de facto eine Partnerschaft auf Augenhöhe ein.
Und selbst in Belarus lässt sich ein zuweilen verzweifelt wirkendes – und dennoch keinesfalls chancenloses – Lavieren des selbstproklamierten belarusischen Präsidenten Alexander Lukaschenko beobachten. Ob eine von Moskau (aber auch China) durch einen möglichen Beitritt Irans und Argentiniens sowie Indonesiens und Ägyptens erhoffte Aufwertung der BRICS-Staatengruppe tatsächlich gelingt, ist angesichts des Erweiterungsunwillens Indiens, Brasiliens und Südafrikas sowie des enormen Konfliktpotentials unter einzelnen Mitgliedstaaten zumindest zweifelhaft.
Die aktuellen Diskussionen rund um eine mögliche persönliche Ausladung des russischen Präsidenten Wladimir Putin vom G20-Gipfeltreffen im Herbst in Indonesien runden das Gesamtbild ab. Insofern stimmt Moskaus Wunschbild von Russland als führendem globalen Verfechter einer sogenannten multipolaren – vom Westen, in erster Linie den USA nicht dominierten – Weltordnung mit der komplexen Wirklichkeit kaum überein.
Ein ergebnisloses Gipfeltreffen
Im Angesicht des wachsenden Sanktionsdruckes und der zunehmenden internationalen Entfremdung sucht Moskau nach Alternativen zu bestehenden Bündnissystemen. Die erste Auslandsreise Wladimir Putins seit Beginn der aktuellen Phase des Ukrainekrieges führte den russischen Präsidenten am 29. Juni in die Hauptstadt Turkmenistans Aschgabad zum 6. Gipfeltreffen der Anrainerstaaten des Kaspischen Meeres (Aserbaidschan, Iran, Kasachstan, Russland, Turkmenistan).
Im Gegensatz zu den historischen Ergebnisses des Nato-Gipfels in Madrid blieb das Gipfeltreffen in Aschgabad auf diplomatische Floskeln beschränkt. Im Wesentlichen bestätigten die Staatschefs die Ergebnisse bisheriger Gipfeltreffen und bekräftigten den gemeinsamen Wunsch, das Kaspische Meer als eine Zone des Friedens, der guten Nachbarschaft, Freundschaft und Zusammenarbeit zu gestalten. Doch gerade der letztere Punkt kann angesichts russischer Raketeneinsätze vom Gebiet des Kaspischen Meeres aus gegen Syrien und die Ukraine als ein diplomatisch-pikanter Wink mit dem Zaunpfahl in Richtung Moskau gelesen werden.
Ungleich spannender als die erwartbaren diplomatischen Beteuerungen der Präsidenten der fünf Anrainerstaaten des Kaspischen Meeres waren Wladimir Putins Äußerungen am Rande des Gipfeltreffens. Im Mittelpunkt des Pressegespräches standen der Krieg gegen die Ukraine sowie die vorläufigen Ergebnisse des Nato-Gipfeltreffens in Madrid.
Russlands Zielsetzungen bleiben unverändert
Putin bestätigte zum wiederholten Male, dass die sogenannte russische Spezialmilitäroperation gegen die Ukraine planmäßig verlaufe und eine zeitliche Eingrenzung nicht vonnöten sei. Dabei sollen der Donbass befreit, die dort lebenden Menschen geschützt und die Sicherheit Russlands garantiert werden. Schließlich blieben die Ziele Russlands unverändert, sie seien von ihm am Morgen des 24. Februars national wie auch international kundgetan worden, dazu sei nichts mehr hinzuzufügen, so Putin.
Das positive Bild russischer, an der Militäroperation beteiligter Kämpfer müsse mit den Mitteln der Kunst gestärkt werden. So sollen Lieder komponiert, Gedichte geschrieben und Denkmäler errichtet werden, fügte der russische Präsident hinzu.
Ukraine als Anti-Russland
Der Westen habe die Ukraine seit Jahren als politisches Aufmarschgebiet für Einflussoperationen gegen Russland aufbereitet. Moskau habe gar nicht anders handeln können, als auf diese antirussische Politik zu reagieren. Die Alternative wäre ein Leben unter dem Damoklesschwert der Nato-Bedrohung und einer Ukraine als Anti-Russland, so Putin. Unter dem Schutzschirm der Nato habe die ukrainische Führung die russische Kultur und die russische Sprache bekämpft und damit begonnen, auch Menschen zu verfolgen, die sich als Teil der russischen Welt fühlten.
Kiew als ein bloßes Werkzeug imperialer Ambitionen des Westens
Die aktuellen westlichen Aufforderungen an Kiew, den Kampf gegen Moskau fortzusetzen, bestätige die westliche Instrumentalisierung sowie den reinen Werkzeugcharakter der Ukraine. Die führenden Nato-Staaten wollten ihre globale Rolle auf Kosten der ukrainischen Bevölkerung behaupten. Letzteres sei für den Kreml aber nicht überraschend, denn die Nato habe sich seit 2014 auf eine Konfrontation mit Russland vorbereitet, zeigt sich der russische Präsident überzeugt. Dabei solle nicht die internationale Führungsrolle der Nato bestätigt, sondern die globale Hegemonie im Sinne imperialer Ambitionen der Welt aufgezwungen werden. Die Nato habe sehr lange einen Feind gesucht, um sich innerlich konsolidieren zu können.
Finnland und Schweden in der Nato
Nichtsdestoweniger dürfe eine potentielle Mitgliedschaft der Ukraine in der Nato mit dem Beitritt Finnlands und Schwedens nicht verglichen werden. Im Gegensatz zum Fall der Ukraine habe Russland mit Finnland keine territorialen Konflikte. Sollte allerdings die Nato-Infrastruktur in Skandinavien ausgebaut werden, werde auch Russland spiegelbildliche Maßnahmen umsetzen.
Kriegsverbrechen von Krementschuk
Auf die russischen Angriffe gegen ein Einkaufszentrum in Krementschuk angesprochen, wies Putin die Vorwürfe eines terroristischen Angriffes aufs schärfste zurück. Die russische Armee greife keine zivilen Infrastrukturobjekte an. Kein Angriff erfolge ohne Grund. Denn die ukrainische Seite verstecke nicht selten militärische Ausrüstung in unmittelbarer Nähe ziviler Objekte oder sogar direkt in ihnen.
Putins Nacktfotos
Über die Diskussion beim G7-Gipfeltreffen über Putins Fotos mit nacktem Oberkörper äußerte sich Putin bissig – er wisse nicht, ob sich die anwesenden Staats- und Regierungschefs der G7 bis zur Taille oder unterhalb der Taille zu entblößen planten, so oder so wäre dies ein ekelhaftes Spektakel gewesen. Zur Bemerkung des britischen Premierministers Boris Johnson, wonach eine Frau niemals den Befehl zum Angriff auf die Ukraine gegeben hätte, entgegnete Putin trocken, dass Margaret Thatcher damals die Entscheidung über den Falklandkrieg getroffen habe.
Kremls Worte ernst nehmen
All diese Worte Putins zeigen zum wiederholten Male seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine, dass die russische Führung in einer Filterblase eigener abstruser Weltanschauung lebt.
Gerade Putins Vorwürfe imperialer Ambitionen der Nato sowie eines globalen Hegemonieanspruches des Westens erscheinen nicht nur völlig abwegig, sondern geradezu selbstoffenbarend zu sein. Als der Präsident der Vereinigten Staaten Joe Biden in einem Fernsehinterview gegenüber ABC News im März 2021 den Präsidenten Russlands Wladimir Putin beiläufig als Mörder bezeichnete, antwortete Putin mit einem russischen Kinderspruch: „Wie du mich schimpfst, so heißt du selbst.“ Nunmehr ist es wohl an der Zeit, auf die infam-absurden Anschuldigungen Putins mit den gleichen Worten zu antworten.
Der Westen wäre gut beraten, seine politischen Entscheidungen auf der Grundlage tatsächlicher Handlungen und Äußerungen der russischen Führung zu treffen und nicht auf dem sprichwörtlichen Sand selbstgerechter Scheinfriedenspolitik zu bauen. Nach über 100 Tagen fruchtloser Friedensbemühungen zwischen der Ukraine und Russland und zahlloser enttäuschter Hoffnungen kann mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit festgehalten werden, dass der russische Präsident von Beginn an keinerlei Interesse an einer diplomatischen Lösung hatte. Daran hat sich bislang nichts geändert. Es ist Zeit aufzuwachen.
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