Zeitumstellung: Politik hat Emotionen unterschätzt – Kommentar
Als die Sommerzeit erstmals in Deutschland und Österreich-Ungarn im April 1916 eingeführt wurde, geschah dies aus kriegsstrategischen Gründen. Die Maßnahme sollte die energieintensiven „Materialschlachten“ des Ersten Weltkriegs unterstützen. Man versprach sich Energieeinsparungen bei der künstlichen Beleuchtung. 1919 wurde die Sommerzeit wieder abgeschafft, wohl auch, weil mit ihr die Entbehrungen während der Kriegszeit verbunden wurden.
Energiepolitische Überlegungen standen dann auch im Mittelpunkt, als die Diskussion um eine Sommerzeit in den 70er-Jahren nach der Ölkrise von 1973 wieder aufgenommen wurde. In Deutschland dauerte es noch bis 1980, ehe sich die beiden deutschen Staaten auf ein einheitliches Zeitmaß einlassen konnten.
Unbehagen gegenüber staatlichen Ordnungssystemen
Die Entscheidungen für eine Sommerzeit wurde stets durch den pragmatischen Nutzen bestimmt, den man sich von ihr versprach. Energieeinsparungen, politische Einigkeit, nicht nur zwischen Bundesrepublik und DDR, sondern in ganz Europa. Die emotionalen und körperlichen Belastungen, die die Zeitumstellung zweifellos mit sich bringt, glaubte man der Bevölkerung zumuten zu können.
Tatsächlich wurde es seither als kokettes Spiel aufgefasst, dass man sich auch nach 38 Jahren nicht wirklich darauf einzulassen vermochte, ob die Uhr nun vor- oder zurückgestellt wird.
Das eindeutige Abstimmungsergebnis gegen die Winterzeit ist vor allem auch ein politisches Menetekel über unterschätzte Emotionen. Es verweist darauf, dass es politische Stimmungen gibt, die nicht vollends in politischer Vernunft aufgehen und fügt sich in ein Gesamtbild des Unbehagens gegenüber staatlichen Ordnungssystemen.