Zieht Angela Merkel sich zurück?
Ein bisschen segelt die Bundeskanzlerin gerade unter dem Radar. SPD-Chef Martin Schulz therapiert sich und seine Partei in Gesprächem mit der Union über eine große Koalition. Bei der CSU kündigt der Vorsitzende nach jahrelangem Gerangel den Rückzug zumindest aus dem Ministerpräsidentenamt an.
Angela Merkel fährt zu Gipfeln an die Elfenbeinküste, nach Brüssel und Paris, sie eröffnet die neue ICE-Strecke zwischen Berlin und München und empfängt an diesem Dienstag Soldaten und Polizisten im Kanzleramt. Eine Klausurtagung hat ihre CDU noch zwischengeschoben, am Abend des zweiten Adventssonntags. Wahlanalyse und gemütliches Zusammensein standen auf dem Programm – nach dem Ärger über das Absacken bei der Bundestagswahl eigentlich zwei sich ausschließende Punkte.
In der CDU gibt es Forderungen nach einer Minderheitsregierung, die Angela Merkel für nicht stabil genug hält, Nachfolgekandidaten ruckeln vernehmlich. Vize-SPD-Chefin Manuela Schwesig stichelt, Merkel sei nicht mehr führungsstark genug. CSU-Chef Horst Seehofer empfiehlt seinen Rückzug als Modell für alle Volksparteien. Steht Merkels Rückzug bevor? Richtig gute Vorbilder für einen entspannten Abschied aus dem Amt gibt es nicht.
Gerhard Schröder – Erst gehen, um dann bleiben zu können
Gerhard Schröder wählte 2005 einen ungewöhnlichen Weg. Nachdem die SPD sich in wildem Streit um die Reformen der Agenda 2010 verstrickt und dann auch noch die Landtagswahl in NRW verloren hatte, kündigte er vorgezogene Neuwahlen an. Ganz einfach war der Weg dahin nicht, Schröder musste erstmal absichtlich eine Vertrauensfrage im Bundestag verlieren, obwohl seine rot-grüne Regierung dort weiterhin die Mehrheit hatte.
Und die Strategie, erst zu gehen, um dann durch eine Wiederwahl gestärkt bleiben zu können, ging nicht auf: Die SPD verlor zwar weniger deutlich als gedacht, aber sie verlor. Schröder musste sein Amt an Angela Merkel abgeben. Seine Partei tat das, was der gescheiterte Kanzler zuvor ausgeschlossen hatte: Sie zog als Juniorpartner in eine Große Koalition mit der Union ein.
Der Wähler entscheidet: „Es reicht“
Es ist der Klassiker vor allem auf Länderebene – in diesem Jahr haben das in Nordrhein-Westfalen Hannelore Kraft und in Schleswig-Holstein Torsten Albig erlebt, die mit ihrer SPD aus der Regierung heraus in der Opposition landeten. Der Prototyp dieses Modells auf Bundesebene: Helmut Kohl. Der regierte 16 Jahre, trat dann bei der Bundestagswahl 1998 noch einmal als Spitzenkandidat an, obwohl sich Wolfgang Schäuble bereits bereit gehalten hatte.
Kohl sah sich als unverzichtbar und lieferte der Opposition eines ihrer Leitmotive. „Danke Helmut, es reicht“, plakatierte die SPD und traf damit eine Stimmung nicht nur im Land, sondern auch bei der CDU. Die landete für sieben Jahre in der Opposition. In dieser Zeit übernahm Angela Merkel das Kommando. Der Versuch, die „Es reicht“-Melodie wieder aufzunehmen, misslang der SPD im letzten Wahlkampf.
Putsch wie bei Edmund Stoiber
Der Absturz erfolge jäh: Binnen weniger Wochen wurde der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber 2007 vom absoluten Chef zum Klotz am Bein der CSU, den seine Parteifreunde unbedingt los werden wollten. Stoiber erkannte den Widerstand nicht oder nahm ihn nicht ernst. Seine bisher eingermaßen treuen Zuarbeiter verselbständigten sich und verteilten die Chefaufgaben neu. Stoiber blieb nichts anderes übrig, als in einer eilig einberufenen Pressekonferenz seinen Rückzug aus allen Ämtern anzukündigen.
Ausgelöst hatte den Putsch eine Frau: Das CSU-Vorstandsmitglied Gabriele Pauli beklagte, wegen Kritik an Stoiber von dessen Truppe gegängelt und ausspioniert zu werden. Bei der Nachfolgeregelung spielte Pauli keine Rolle, inzwischen hat sie die CSU verlassen und mehrere weitere Parteiwechsel hinter sich.
Der parteiinterne Gegner entscheidet
Es war ein angeblich versöhnliches Ende, das die CSU da Anfang vergangener Woche inszenierte. CSU-Chef Horst Seehofer verkündete, sich Anfang 2018 aus dem Amt als bayerischer Ministerpräsident zurückzuziehen. Er hatte auch einen Nachfolger parat: seinen Finanzminister Markus Söder. Die Harmonie der beiden war neu. Über Jahre hatte Seehofer zuvor den ehrgeizigen Söder als seinen Nachfolger verhindert, allerdings auch keine klare Ersatzperspektive gegeben.
Nach der Bundestagswahl erhöhte Söder den Druck, indem er Unterstützer öffentlich Seehofers Rücktritt fordern ließ. Als der nicht nachgab, setzte die bayerische Landtagsfraktion einen Entscheidungstermin an. Söders Gegner waren zwar zahlreich, aber ohne Strategie. Seehofer versuchte, seinem Abgang wenigstens selbst zu verkünden und ihm damit den Anschein der Freiwilligkeit zu geben.
Letzte Ausfahrt stille Amtsübergabe
Es galt eine Weile als Frage der Zeit, dass Roland Koch aus der hessischen Staatskanzlei an die Spitze der CDU wenn nicht der Republik rücken würde. Er hatte seine Karriere in der CDU zielstrebig betrieben und schließlich die SPD in Hessen von der Regierung abgelöst. Die Spendenaffäre seiner Partei überlebte er politisch, indem er andere rausschmiss. An Merkel allerdings kam Koch nicht vorbei. Sein Stern verblasste: Auf eine furios gewonnene Wahl folgte eine, bei der es nicht einmal mehr für die traditionelle schwarz-gelbe Mehrheit reichte.
Die Regierungsbildung in Hessen misslang 2008, Koch regierte geschäftsführend, trat nochmal an. Aber sein rabiater Kurs gegen Ausländer, mit dem er einst nach oben gekommen war, wendete sich gegen ihn. In der Hessen-CDU galt der einstige Star nicht mehr als vermittelbar. Koch zog die Notbremse und übergab sein Amt 2010 – drei Jahre vor der nächsten Landtagswahl – an seinen Innenminister Volker Bouffier. Der regiert seit 2013 mit den Grünen – eine Kombination, die unter Koch als unmöglich galt.
Überraschungsei
An einem Mittwoch im Oktober lud Stanislaw Tillich zu einem Pressestatement in die Dresdner Staatskanzlei. Während in Berlin die erste Jamaika-Sondierungsrunde zusammenkam, verkündete der sächsische Ministerpräsident seinen baldigen Rücktritt. Mit dem frühen Termin überraschte er alle, auch seinen CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer, den er als seinen Nachfolger empfahl.
Tillich hatte sich im Alleingang entschieden. Er begründete ihn auch mit dem Ergebnis seines Landesverbands bei der Bundestagswahl: In Sachsen verlor die CDU drei Direktmandate an die FDP. Für Kretschmer mag es nun zwar etwas mehr Zeit geben, sich vor der Landtagswahl 2019 im Amt einzufinden. Allerdings hinterlässt Tillich ein schweres Erbe: Die Landes-CDU, die zwischen unsichtbar und stramm rechts changierte, ist massiv geschwächt.