Versöhnung durchs Sprechen
Zum Tod des Landesrabbiners William Wolff.

Berlin-Nach 1990 flohen viele Juden und Jüdinnen aus der kollabierenden Sowjetunion nach Deutschland, belebten hier Gemeinden, die oft noch tief traumatisiert waren vom Holocaust und der jahrzehntelang mangelnden Aufarbeitung in der alten Bundesrepublik sowie der dem fortgesetzten, nun als antikoloniale Israelkritik versteckten Antisemitismus in der DDR. Einer, der sich in dieses Gewühl aus Gefühlen und Interessen hineinbewegte, war der 1927 in Berlin geborene britische Journalist, Gelehrte und Rabbiner William Wolff, der 2002 zum Landesrabbiner von Mecklenburg-Vorpommern berufen wurde. Jetzt wurde gemeldet, dass er im Alter von 96 Jahren nahe seiner britischen Heimatstadt London verstorben ist.
Als er nach Schwerin ging, war Wolff schon deutlich jenseits des Pensionsalters, hatte als Journalist und seit der Rabbinerausbildung 1979 ein eigenes Renommee erworben. Er galt als konziliant, wortgewandt, kam aber vor allem von außen. Wie einst der Berliner Architekturhistoriker Julius Posener setzte er völlig schamlos seine zierliche Gestalt, seine Sprachkultur, vor allem aber den Nimbus des scheinbar bereits über allen Zeiten stehenden „weisen Alten“ für das Ziel des Ausgleichs zwischen Alteingesessenen und Neuankömmlingen, Mehrheitsgesellschaften und Minderheiten ein. Er hatte, das sagte er oft, eine Mission im Norden Deutschlands, wollte den Menschen generell und den Juden speziell die Bedeutung des Glaubens, aber auch die Chancen des Zusammenhaltens gegen die Gefahren von Radikalisierung und nationalistischer Abgrenzung zeigen.
Freundliche Umgangsformen, britisch geprägtes Understatement, vor allem aber das ununterbrochene Sprechen mit allen, die erreicht sein wollten, verhinderten, dass sich die jüdischen Gemeinden in Mecklenburg-Vorpommern derart rabiat zerstritten wie etwa die in Potsdam. Eigens deswegen lernte er im Alter von fast 80 Jahren noch Russisch, ging als „Zeitzeuge“ in Schulen und an Universitäten, setzte sich vehement ein für den Neubau der Synagoge in Schwerin. Ihm gelang es, in Schwerin, Wismar oder Rostock durch den Holocaust und die antireligiöse Politik der sozialistischen Regime zerstörte Gemeinden und kollektive Identitäten wieder zu begründen. Wolff erhielt viele Preise und Auszeichnungen für seine Arbeit, ohne dadurch jemals ausgebremst zu werden. Als nun die Nachricht von seinem Tod kam, zeigten sich nicht nur die regionalen Politiker betroffen. Auch der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, erklärte, dass mit ihm einer gegangen sei, der als „Religionslehrer und Seelsorger für seine Gemeinde immer da war, geschätzt als Menschen mit großem Wissen und feinem Humor“.