Zum Tod von Mário Soares: „Wir haben gewonnen“

Am frühen Morgen des 25. April 1974 wurde Mário Soares aus seinem Bett in einem Bonner Hotel geklingelt. Irgendwas ging in Portugal vor sich, erzählte ihm seine Frau, Maria Barroso, die ans Telefon gegangen war. Ein Aufstand, vielleicht ein Umsturz, vielleicht eine Revolution. Fast exakt ein Jahr zuvor hatten Soares und Barroso gemeinsam mit anderen portugiesischen Sozialisten und mit Unterstützung der deutschen SPD in Bad Münstereifel bei Bonn die Partido Socialista (PS) gegründet, deren erster Vorsitzender Soares war.

Er musste nun schnell entscheiden. Er entschied, nach Paris zu reisen und sich von dort im Zug auf den Weg nach Lissabon zu machen: der Nelkenrevolution entgegen, von der er noch nicht wusste, dass sie unter diesem Namen in die Geschichtsbücher eingehen würde - und dass er selbst einer ihrer Protagonisten sein sollte.

Soares, Jahrgang 1924, war ein portugiesischer Anwalt und aktiver Gegner der Salazar-Diktatur, die ihn zwölf Mal ins Gefängnis stecken ließ und schließlich 1968 in die Verbannung auf die Atlantikinsel São Tomé schickte, von der er bestenfalls nie wieder zurückkehren sollte. Doch Salazars Nachfolger Caetano erlaubte ihm nach einem guten halben Jahr die Rückkehr in seine Geburtsstadt Lissabon. Soares wurde allerdings nicht zahmer und ging schließlich ins Exil, erst nach Rom, dann nach Paris.

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Von hier reiste er nun Ende April 1974 in seine Heimat, ohne zu wissen, was ihn erwartete. „Im ersten portugiesischen Dorf hielt uns auf dem Bahnhof eine Menschenmenge auf“, erzählte Soares vor gut zwei Jahren in einem Interview. Er improvisierte eine kleine Ansprache, als er plötzlich einen Uniformierten auf sich zugehen sah. „Ich sage mir: wieder ins Gefängnis.“ Doch der Uniformierte salutiert und bittet: „Geben Seine Exzellenz die Erlaubnis, weiterzufahren? Wir haben schon eine halbe Stunde Verspätung.“ Da habe er gewusst, erzählte Soares: „Wir haben gewonnen.“

Nelkenrevolution hat „ganz Europa verliebt gemacht“

Die portugiesische Nelkenrevolution vom 25. April 1974, ein Aufstand linker Militärs, der nahezu unblutig über die Bühne ging und nach Soares' Worten „ganz Europa verliebt gemacht hat“, war kein ganz so schneller Erfolg, wie Soares es 40 Jahre später darstellte.

Erst einmal fühlte sich der Rückkehrer in seiner revolutionären Heimat „gar nicht“ sicher, aber dann trug er selbst dazu bei, dass Portugal nach fast 50 Jahren Diktatur auf demokratischen Weg kam, erst als Außenminister, dann als erster durch demokratische Wahlen legitimierter Ministerpräsident.

Seine Sorge galt einer möglichen rechten Konterrevolution ebenso wie einem Abdriften in eine kommunistische Diktatur. Er wollte die Einbindung in Westeuropa. Im März 1977 stellte er den Antrag auf Mitgliedschaft in der damaligen Europäischen Gemeinschaft, der Portugal schließlich 1986 beitrat.

Soares hatte nicht nur über die künftige große Linie der portugiesischen Politik zu entscheiden, er musste auch den Weg für die Unabhängigkeit der afrikanischen Kolonien Portugals freimachen (was er zu schnell und zu unüberlegt tat, finden Kritiker), und er musste die Wirtschaft des verarmten Landes am westlichen Rand des Kontinents in Schwung bringen. Dazu brauchte er die Hilfe des Internationalen Währungsfonds, der auch später in Portugal immer noch ein Wort mitzureden hatte.

„Eines Tages wird Europa sozialistisch sein“

Soares mutete seinen Landsleuten etliche Härten zu, weswegen ihm in seinen Regierungszeiten nicht nur Sympathien zuflogen. Schließlich machten sie ihn aber zum Republikpräsidenten, von 1986 bis 1996, während im Land die Konservativen regierten, für die Soares bis zuletzt nur Verachtung übrig hatte.

Je weiter weg er vom politischen Tagesgeschäft war, desto aufrührerischere Töne erlaubte er sich, zum Beispiel gegen Angela Merkel, der er die Verantwortung zuschob „für das, was in unseren Ländern“ im Süden Europas geschehe. „Das Europa, das wir uns wünschen, ist nicht das Europa der großen Trusts“, sagte er 1975 in einem Spiegel-Interview. „Ich bin fest davon überzeugt, dass Europa eines Tages sozialistisch sein wird.“

Wenn nicht mit Taten, so doch mit Worten hat Soares diesen Traum immer weiter verfolgt. Am Samstag ist er nach einigen Krankheitswochen im Alter von 92 Jahren in Lissabon gestorben.