Preisgekrönte Labels, Auftritte bei der Fashion Week - was macht die Kunsthochschule so erfolgreich?: Das Prinzip Weißensee
Die junge Frau steht auf dem Betonboden einer leeren Tiefgarage. Ein Kopftuch bedeckt ihre Haare und Stirn, ihre Augen sind hinter einer großen dunklen Sonnenbrille versteckt. Der neongelbe Stoff des Tuchs hebt sich grell von der kühlen Tristesse des Hintergrunds ab - und geht fließend in einen Minirock über, der die Konturen des Frauenkörpers nur noch wenig verhüllt. "Neongrey Aishe" heißt die Kollektion von Cora Stechern und Eva Haberl, Studentinnen des Fachbereichs Modedesign in Weißensee. Ihre Modelle dürfen sie am Dienstag auf der Fashion Week Berlin präsentieren - als eine von zehn Kollektionen der Kunsthochschule.Im offiziellen Programm der Modewoche aufzutreten - das ist eine große Ehre für den Fachbereich. Doch die Gründe für die Wahl liegen nahe. Sind es doch Absolventen der Schule, die in letzter Zeit mit ihren Labels international große Anerkennung finden. So zum Beispiel das Label c.neeon von Clara Leskovar und Doreen Schulz. Die Designerinnen gewannen 2005 den großen Preis der Jury beim "Hyères Festival International de Mode & de Photographie" in Frankreich. Seitdem sind die buntbedruckten, kimonoartigen Kleidungsstücke von Laufstegen und Modestrecken in Magazinen nicht mehr wegzudenken. Doch auch andere Absolventen waren erfolgreich: Antonia Goy erhielt den "Camera Nationale della Moda Italiana Award". Elena Kikina gewann 2006 den ersten Preis des Deutschen Studienpreises der Körber Stiftung, Luisa Hirsch wurde vergangenes Jahr mit dem Sonderpreis "Swiss Textiles" der Stiftung der Deutschen Bekleidungsindustrie ausgezeichnet. Was ist das Geheimnis des Erfolgs von Weißensee?In der Schneiderei der Schule arbeiten Nina Gekeler und Alexandra Kiesel gerade an ihrer Kollektion zum Thema "Zwischen Blaumann und Broker". Als allererstes, sagt Antonia Goy, sei es die Bandbreite der Themen, die sie an der Ausbildung fasziniert habe. Zu ihrer Studienzeit habe eine Professorin zu historischen Themen gearbeitet - "200 Jahre Alexander von Humboldt" oder "spanische Hofmode". Dabei sei es nicht darum gegangen, historische Kostüme nachzuahmen, sondern ihre wesentlichen Merkmale herauszuarbeiten und in aktuelle Mode zu übersetzen. Die Kombination von Stilen verschiedener gesellschaftlicher Milieus und historischer Epochen fließt auch in die Mode von Antonia Goy ein. Die Kollektion "Flap", die sie auf der Fashion Week präsentieren wird, verbindet den Flug einer Schwalbe mit der Revolutionsmode des auslaufenden 18. Jahrhunderts.Dass die Ausbildung Wert auf die Reflexion gesellschaftlicher Zustände legt und den Studierenden abverlangt, ihre Arbeiten gut zu begründen, zeigt auch die Kollektion "Neongrey Aishe". Cora Stechern sagt, die Idee dazu sei aus "weltpolitischen Beobachtungen" entstanden. So habe sie sich von Bildern über Demonstrationen inspirieren lassen. Herausgekommen ist eine Auseinandersetzung mit den Themen Militanz und Vermummung. Doch nicht nur die große Politik, auch der eigene Kiez hat sie beeinflusst. "Ich wohne in Kreuzberg. Da sehe ich immer wieder türkische Mädchen, die mit traditioneller muslimischer Kleidung gewagte Kombinationen eingehen." Mit ihrer Kollektion wollen die Studentinnen hinterfragen, inwieweit politische Symbole in der Kleidung - auch nach deren Verfremdung - als politisch wahrgenommen werden. Weiterhin wollen sie mit Ironie und Parodie Bilder über "westliche Lässigkeit" und "islamische Tradition" als Klischees aufdecken. "Wir konfrontieren die Studierenden mit allgemeinen Trends in der Mode und kulturellen Brennpunkten der Gesellschaft", fasst Professor Rolf Rautenberg den Anspruch der Schule zusammen.Nicht nur gesellschaftliche Widersprüche, auch handwerkliche Techniken sollen in der Ausbildung neue Verbindungen eingehen. Antonia Goys Blusen sind - in Anlehnung an die Revolutionsmode - um den Hals geknotet und um den Körper gewickelt. Die Lineaturen der Anzüge und Kleider wirken durch fächerartige Faltenschläge wie die Silhouette eines Vogels. Die völlig freie Annäherung an den Körper sei eine weitere Besonderheit der Ausbildung, sagt die Labelgründerin. Die Studenten zeichnen die Schnitte nicht nur auf Papier, sie drapieren die Stoffe auch an der Puppe. Dies erzeuge eine größere Sinnlichkeit. "Ein Schnitt wird so immer weiter dekonstruiert, bis von dem ursprünglichen Muster nur noch das Ärmelloch bleibt."Die Halskrausen aus weißem und braunem Keramik von "Neongrey Aishe" verweisen auf eine weitere erfolgreiche Praxis der Kunsthochschule: das offene Werkstattmodell. Der Bauhaustradition verpflichtet können die Studenten in den Werkstätten aller Fachrichtungen arbeiten. Neben der Schneiderei steht ihnen die Bronzegießerei offen, das Computerstudio und die Werkstätten für Druck, Foto, Keramik, Metall und Textil. Die Zusammenarbeit spiegelt sich auch in der Mode wider. Bei c.neeon kooperiert eine Modedesignerin mit einer Textildesignerin. Mit Karen Scholz und Joan Tarragó Pampalona, die gerade eine Zusatzkollektion für das große Surfstyle-Label Quiksilver entwerfen, haben eine Modedesignerin und ein Maler zusammengefunden. "Wir wollen, dass die Studenten keine Angst haben, Grenzen zu übertreten", sagt Rolf Rautenberg.Der Aufbau des Studiums orientiert sich in vielen anderen Punkten an der Avantgardestätte moderner Kunst. So belegen alle Studenten ein gemeinsames Grundlagenjahr. Man sucht vergeblich nach Klassen namhafter Professoren, vergleichbar mit Vivienne Westwoods Zeit an der Universität der Künste. In jedem Studienjahr lehrt hier ein anderer Professor mit eigenen Schwerpunkten. "An denen muss jeder Student vorbei", sagt Rolf Rautenberg. Nicht zuletzt ist das Betreuungsverhältnis zwischen Studenten und Lehrenden ideal: 33 Professoren sind hier für 680 Studenten zuständig. "Klein, nah und familiär", fasst Antonia Goy die Atmosphäre zusammen. Die Kehrseite ist allerdings, dass nur sehr wenige, die sich an der Kunsthochschule bewerben, aufgenommen werden. Professorin Heike Selmer erzählt, dass die Schule deshalb schon mal mit "Deutschland sucht den Superstar" verglichen wurde.Doch internationale Preise garantieren noch lange nicht den langfristigen Erfolg eines Labels. Dieser hängt nicht nur vom Talent sondern auch vom nötigen Startkapital ab. Viele Absolventen zögern deshalb vor dem Schritt in die Selbstständigkeit. "Ob ich davon leben kann, darüber will ich nicht reden", sagt auch Antonia Goy. Cora Stechern erzählt: "Am Anfang dachte ich, wenn ich mit dem Studium fertig bin, mach ich sofort mein eigenes Label auf. Inzwischen denke ich das nicht mehr. Ich will mir nicht die Nächte um die Ohren schlagen." Auch Rolf Rautenberg steht der Gründung von Labels eher kritisch gegenüber: "Die Modedesigner geraten da oft in eine große Abhängigkeit und machen sich zum eigenen Knecht", sagt er. Trotzdem kann er den vielen kleinen Labels in Berlin auch etwas Positives abgewinnen - als "Kultur gegen die Vermassung".------------------------------Show "08.1 Weissensee goes Fashionweek", 29. Januar, 13 Uhr, Postbahnhof, Straße der Pariser Kommune 3-10, Karten 10-15 Euro. Reservierung unter: www.kh-berlin.de/fashionweek_tickets------------------------------Foto (6) :Blick in die Werkstatt: Nina Gekeler, Modedesign-Studentin, in der Schneiderei der Kunsthochschule Weißensee. Ein Kommilitone posiert in einem Modell von Sasa Kovacevic.Flügelschlag: Sommerkleid von Antonia Goy."Neongrey Aishe": Kollektion von Cora Stechern und Eva Haberl.Vermummung und Militanz: Ideen aus "weltpolitischen Beobachtungen".Westliche Lässigkeit vs. islamische Tradition: Klischees aufdecken und irritieren.Politische Symbolik und Mode: Verfremdung eines Pali-Tuchs.