Prozeß gegen Ex-DDR-Richterin / Einstellung beantragt: Sechs Menschen starben unter dem Fallbeil
In dem bislang größten Prozeß um Todesurteile der DDR-Justiz sitzt seit gestern eine frühere Richterin des Obersten Gerichts auf der Anklagebank. Ihr Verteidiger beantragte, das Verfahren einzustellen.Am 14. September 1955 wurde der 29jährige Dekorateur Joachim W. in Dresden hingerichtet. Zum Tod durch das Fallbeil hatte ihn das Oberste Gericht verurteilt. Dem Mann war Spionage vorgeworfen worden, ebenso vier Mitangeklagten, die zu hohen Zuchthausstrafen verurteilt wurden. Die Beschuldigten hätten dem Radiosender Rias Informationen über das Leben in der DDR geliefert, hieß es in der Urteilsbegründung. Die Angeklagten hätten die DDR sabotiert und "zur Vorbereitung eines neuen Krieges beigetragen". Strafsenat war berüchtigt Das ist eines der Todesurteile, deretwegen Helene Heymann sich seit gestern vor dem Landgericht verantworten muß. Es ist die bislang schwerwiegendste Anklage gegen eine DDR-Juristin. Sechsfachen Totschlag und 13fache Freiheitsberaubung sowie Rechtsbeugung werden der 77jährigen zur Last gelegt. Sie soll als Beisitzende Richterin des berüchtigten Strafsenats 1 a an den Todesurteilen mitgewirkt haben.Auf Geheiß des Obersten Gerichtes starben damals auch Elli Barczatis und ihr Freund unter der Guillotine. Die Sekretärin von Ministerpräsident Otto Grotewohl soll über dessen Besucher geplaudert haben. In einem anderen Fall wurde ein Ingenieur zum Tode verurteilt, weil er im Auftrag "der westlichen Imperialisten" und "deren Agentenzentralen" Sabotage betrieben habe. Tonband-Mitschnitt Den Oberrichtern sei es darum gegangen, "Sündenböcke" zu finden, heißt es in der Anklage. Helene Heymann habe wissentlich gesetzwidrig gehandelt und Menschenrechte verletzt. Die drastischen Strafen verstießen "gegen das Gerechtigkeitsgefühl zivilisierter Menschen".Verteidiger Erich Buchholz hält die Vorwürfe für verjährt. Zudem seien die Gerichte der Bundesrepublik nicht zuständig. Die Rechtsbeuge-Prozesse verletzten Verfassungs- wie Völkerrecht. Deshalb sei das Verfahren einzustellen. Er regte eine Verfassungsklage an. Bis Donnerstag entscheidet darüber die 27. Große Strafkammer unter Vorsitz von Richter Hansgeorg Bräutigam. Bisher sind derartige Anträge abgelehnt worden.Gleichwohl steht ein schwieriges Verfahren bevor. Zwar wird ein zu Zuchthaus Verurteilter als Zeuge gehört werden. Über die Atmosphäre in den Prozessen wird auch ein Tonband-Mitschnitt Aufschluß geben. Aber über ihr Abstimmungsverhalten kann nur die Angeklagte selbst aussagen. Ihre Kollegen sind verstorben. Außerdem ist die 77jährige krank. Nur vier Stunden am Tag sei sie verhandlungsfähig, so ein Gutachter. Ob der Prozeß bis zum 9. Februar beendet sein wird, bleibt zweifelhaft. +++