R. Stevie Moore, der Pionier des Home-Recordings, kommt nach Berlin: Nichts als wilde Kreativität

Die enthemmte musikalische Produktivität ist kein Effekt der jüngeren digitalen Entwicklung. Ein Musiker kann heute seine Musik ungleich schneller und unkomplizierter verbreiten als in analogen Zeiten. Aber Leute wie R. Stevie Moore vertreiben über Kassetten und Winzlabels schon seit Jahrzehnten direkt und ungefiltert die Produkte ihrer überfließenden Schaffenskraft.Moore ist einer der Pioniere dieses beiläufigen Raushauens. Mindestens 400 Alben und tausende von Songs hat der heute 59-Jährige seit den mittleren Siebzigern veröffentlicht, und nur die wenigsten davon, meist Sammlungen aus dem seit 1982 im eigenen Postvertrieb "RSM-Cassette Club" (heute RSM-CDR-Club) vertriebenen Werk, erschienen bei amtlichen Plattenfirmen.Dabei macht einen nicht allein die schiere Zahl staunen, sondern auch die stilistische Furchtlosigkeit, mit der sich Moore auf diverseste, gern experimentell erweiterte Rock- und Folkgenres eingelassen hat. So schuf Moore ein zwar enorm unscharf umrissenes, aber stimmiges, hoch originelles Universum. Bei aller logischen Tendenz zum Skizzenhaften, Vorläufigen und Zufrüh-Beendeten kann man beinahe blind in seine Sammlungen greifen und wird einen mindestens schön gedachten Song erwischen. "Ob meine Songs alle gut sind? Perfektion ist mir egal," sagte er kürzlich in einem Interview, "Ich mag schlechte Musik und Krach. Meine Arbeit ist wie ein riesiges Mixtape ohne Richtung und Zentrum. Einfach wilde Kreativität."Unermüdliches Schaffen und Werken hat man ihm dabei gleichsam in die Wiege gelegt. Moores Vater Bob, ein Studiobassist und Produzent in Nashville, könnte, so Folkforscher Eugene Chadbourne, der meistnotierte Musiker seiner Zunft sein. Seit seinen Anfängen mit Elvis Presley und Roy Orbison stand er einer unüberschaubaren Zahl von Country- und Rock 'n' Roll-Musikern zur Seite.R. Stevie Moore, Jahrgang 1952, nahm, produziert vom Vater, schon mit neun eine Single mit Jim Reeves auf, die allerdings erst etliche Jahre später - dann jedoch mit großem Erfolg - veröffentlicht wurde. Als junger Mann arbeitete er als Studiomusiker für das Label seines Vaters, schließlich spielt er neben Keyboards noch Gitarre, Bass, Schlagzeug und Vibraphone. Mit 16 begann er, eigene Songs aufzunehmen, aber erst mit dem Schub des Punk kam sein Do-It-Yourself-Aktivismus richtig in Fahrt. Sein Vinyl-Debüt "Phonography", 1975 in einer Kleinstauflage von 100 hergestellt, gilt heute dem Rolling Stone als eines der 50 bedeutendsten Indie-Alben.Geprägt von Zappa, Todd Rundgren, Big Star und den Beatles hört man noch in den windigsten und breakzerhacktesten Songideen einen hoch kompetenten Melodiker, dessen Reize sich gerade in der eklatanten Kluft zwischen Genre-Anspruch und Ultra-Lo-Fi-Produktion offenbaren. Moore stellt große Popgesten neben Folk-Settings, dichte Band-Arrangements und schmachtende Chorarbeit neben schrummeligem Punk und Broadway-Kitsch. Vor ungeduldigen Breaks und Soli ist man dabei nie sicher.Beinahe zwangsläufig wird er von jeder neuen Generation DIY-besessener Popmusiker neu entdeckt. So landete er zum Beispiel schon in den mittleren Achtziger Jahren bei der britischen Cordelia, wo er Yukio Yung von den Chrysanthemums kennenlernte, mit dem er seither immer wieder Alben voll wimmelndem Softrockpopjazz einspielt und Stücke wie den Chrysanthemums-Hit "I Wish Marvin"s Father Had Killed Me Instead" covert - einem trefflichen Sinnbild für die libidinöse Strecke vom Fan zum Künstler.Derzeit gibt er das Vorbild für die netzbefeuerte CD-R-Szene der USA, in der fleißige Künstler wie John Maus, Destroyer oder Ariel Pink mit bescheidensten Mitteln größte musikalische Effekte suchen. Nicht zuletzt dank Pinks Protektion und dessen letztjährigem Erfolg und Plattenvertrag kommt nun auch Moore wieder ins Gespräch - und aus seinem Schlafzimmer.Das Eremitentum gehört natürlich einerseits zum Prinzip. "Ich habe immer gegen den Mainstream rebelliert", sagt er. "Der DIY-Aspekt ist mir das wichtigste. Es gibt keine größere Integrität, als alles selbst zu tun." Dass jedoch die derzeitige Tour angeblich seine erste überhaupt ist, liegt auch daran, dass ihm schlicht das Geld fehlte und er erst jetzt die Reisespesen zusammensparen konnte. Bei Moores kinderfreundlich frühem Auftritt in Berlin begleiten ihn seine jungen Fans Tropical Ooze.-----------------------R. Stevie Moore: So. (31.7.), 17 Uhr, West Germany.------------------------------"Perfektion ist mir egal. Ich mag schlechte Musik." R. Stevie MooreFoto: Sehr unscharf umrissen, aber stimmig und originell: R. Stevie Moore im Kreise seiner Bandjünger