Ralf Schenk über Richard Cohn-Vossen und seine "Arbeiterfamilie in Ilmenau": Das verbotene Porzellan
Richard Cohn-Vossen kommt nach Berlin, und es ist zu erwarten, dass ihm seine Freunde einen warmen Empfang bereiten werden. Einst zählte er zu den bekanntesten Dokumentaristen der DEFA, doch dann unterschrieb er die Resolution gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns und wurde unter Druck gesetzt, seine Unterschrift zurückzuziehen. Er blieb standhaft. Einem Film, den er gerade montiert hatte, wurde die Zulassung verweigert; andere seiner Arbeiten wurden aus den Kinos zurückgezogen. Cohn-Vossen sah nach harten Monaten des Zweifels und der Zukunftsangst, des äußeren und inneren Drucks, der kaum spürbaren Solidarität keine andere Chance mehr, als das Land zu verlassen. 1979 übersiedelte er in die Bundesrepublik, ging zum Norddeutschen Rundfunk. Fürs Kino drehte er nie wieder. Und er äußerte sich auch nur selten öffentlich über die Vorgänge von damals; schon gar nicht in Berlin.Die Defa-Stiftung, die kommenden Montag zur Begegnung mit Cohn-Vossen einlädt, hat den letzten, den Verbotsfilm des Regisseurs behutsam restauriert. Es war ihm gelungen, heimlich eine Arbeitskopie aus dem Studio mitzunehmen; Freunde schmuggelten sie in den Westen; sie blieb bisher ungezeigt, bis auf eine Vorführung zur Dokumentarfilmwoche in Leipzig. "Arbeiterfamilie in Ilmenau" (1977) porträtiert ein Paar fast am Ende seines Arbeitslebens und beschreibt dessen Ethos, stets rastlos und redlich zu sein. Cohn-Vossen selbst sprach den Filmtext, meist sachlich-informativ, partiell auch verhalten pathetisch. Manchmal lässt er die Bilder (Kamera: Werner Kohlert) ganz unkommentiert: so wenn riesige Paletten mit Porzellan, wie von Geisterhand gelenkt, in den Brennofen geschoben werden. Oder wenn die Enkelin des Arbeiterpaares während einer Familienfeier in sich hineinblickt: ein Moment des Nachdenkens, der Sehnsucht, geheimnisvoll und schön zugleich.Was Cohn-Vossens DEFA-Kollege Heinz Müller dann aus dem Material machte, ist in "Porzelliner" (1977) zu beobachten. Die stillen Szenen sind weitgehend mit Kommentaren versehen; die kritische Erinnerung der Frau an ihre Tätigkeit in einem Privatbetrieb ist komplett geschnitten; ebenso der Witz über einen Pfarrer und eine Magd. Fürs DDR-offizielle Wunschbild der Arbeiterklasse war so etwas wohl zu derb. Überhaupt verzichtete "Porzelliner", der weder Vor- noch Nachspann hat, auf viele private Momente des Paares. Dafür ließ Heinz Müller anderes Personal des 1974 neu errichteten Ilmenauer Großbetriebs zu Wort kommen, etwa den Meister, der auf einer Art Kommandobrücke über der Werkhalle die Fäden in der Hand hält. Keine Sorge, sollte das wohl suggerieren: Der Sozialismus siegt.Neben diesem spannenden Filmvergleich ermöglicht der Abend die Bekanntschaft mit Meisterwerken des 1934 in Zürich geborenen Emigrantensohnes Cohn-Vossen: "Nachtarbeiter" (1974), ein Filmgedicht über Bäcker, Stahlschmelzer, Eisenbahner, die fürs Wohl der Allgemeinheit tätig sind; "In Sachen H. und acht anderer" (1972) über jugendliche Rowdys im Prenzlauer Berg. Mit "Paul Dessau" (1967) plädierte der Regisseur für das Unbequeme und den Widerspruch in der Kunst: "Bei meiner Musik", so der Komponist im Film, "soll man sich nicht zurücklehnen, die Augen schließen und einschlafen, sondern wach bleiben. Kunst stellt Anforderungen und fordert zum Denken auf." Eine Sentenz, der sich auch der DEFA-Regisseur Richard Cohn-Vossen zutiefst verpflichtet fühlte.Ebenfalls im Arsenal: Filme aus Marokko, darunter Yasmine Kassaris Studie "Das schlafende Kind" (2004) über Landfrauen zwischen Demut und Aufbegehren. Mit knappen Dialogen gelingt es der Regisseurin, eine Welt zu eröffnen, die aus religiösen Traditionen gespeist ist und nur wenig Raum für Selbstbestimmung lässt. Die Männer suchen in Europa nach Arbeit, doch sogar aus der Ferne üben sie Druck auf die Daheimgebliebenen aus. Ein subtiler Film, in dem das dürre Dasein metaphorisch für die Lage der Frauen steht.-----------------------Ein Abend mit Richard Cohn-Vossen Arsenal, Mo 19 Uhr Marokkanische Filmtage Arsenal, ab Do 19 Uhr------------------------------Foto: "Arbeiterfamilie in Ilmenau" (1977) porträtiert ein Paar fast am Ende seines Arbeitslebens.