Sie nerven! Wie man mit Chefs, Kolleginnen und Mitarbeitern Klartext spricht
Im Arbeitsalltag kann sich schnell mal Wut anstauen. Wie wird man sie konstruktiv los? Worauf sollte man achten, wenn man Lösungen vorschlägt? Eine Typologie.

Kritik zu üben ist ein Drahtseilakt. So notwendig es an vielen Stellen ist, ein Problem anzusprechen, so schwierig kann es sein – für die Person, die etwas anspricht, aber eben auch für den, der adressiert wird. Klar ist aber: Wenn man nichts sagt, wird es auch nicht besser.
Vor allem im Job muss man oftmals mit viel Diplomatie vorgehen, um die Sache nicht schlimmer zu machen. Denn anders als im Privatleben können wir am Arbeitsplatz nicht davon ausgehen, dass unser Gegenüber uns mit Liebe zugetan ist und unserer Kritik daher empathisch begegnet.
Der Karriere-Coach und Buchautor Attila Albert hat ein Buch über Nervensägen im Arbeitsalltag geschrieben und erklärt, welche Personengruppen man wie am besten kritisiert und wie man zu einer vernünftigen Lösung kommt. Grundsätzlich müsse man „Kritik immer so formulieren, dass sie nicht wie ein Vorwurf klingt“, sagt der Experte. „Sonst fällt es dem Gegenüber schwer, sie zu verstehen und anzunehmen.“
Wenn Sie also wollen, dass sich etwas ändert, „sollten Sie möglichst wertfrei kommunizieren, um keine Verletzungen und somit Trotzreaktionen zu provozieren“, so Albert, der früher Journalist war und heute selbstständiger Unternehmer ist. Als Kolumnist ist er ein gefragter Fachmann rund um Job- und Zufriedenheitsthemen.
Seiner Erfahrung nach gibt es sieben verschiedene Typen von Nervensägen in der Arbeitswelt. Ihnen kann und sollte man mit unterschiedlichen Kritik-Strategien begegnen. Wie das funktioniert, erklärt der Coach hier.
1. Ewige Opfer: Behutsam ansprechen und ermutigen
Es gibt im Job immer Menschen, für die gefühlt alles ein Problem ist, die ständig überlastet sind und das auch zum Ausdruck bringen. „Solchen Menschen sollte man besonders feinfühlig begegnen, etwa indem man ihnen zunächst signalisiert, dass man sie versteht“, rät Albert.
Beginnen Sie also erst einmal, indem Sie sich in Ihr Gegenüber hineinversetzen und Ihre Beobachtung schildern: „Ich sehe, dass du viel zu tun hast und dass das ganz schön anstrengend für dich ist …“ Dann fühlt sich die Person verstanden. Vergessen Sie nicht, dass jeder von uns Stress anders empfindet und anders verarbeitet. Vermeiden Sie jedwede Verbalattacke à la „Hör doch mal auf, die ganze Zeit nur zu jammern!“.
Nachdem Sie den empathischen Einstieg geschafft haben, man Ihnen zuhört, sollten Sie die Person positiv motivieren: „Schau mal, was du alles schon geschafft hast, was wir alle gemeinsam meistern. Ich weiß, dass diese Aufgabe jetzt eine zusätzliche Belastung ist, aber wer wenn nicht du könnte das hinkriegen?“ Wenn Sie also den Blick darauf lenken, was gut klappt und wie Sie als Team funktionieren, kann das ein schöner Ansporn sein.
2. Verbissene Rechthaber: Grenzen setzen, dann versöhnlich werden
Es gibt im Job aber auch solche Menschen, die immer recht haben müssen, die keine Konfrontation scheuen und mitunter ein ziemlich aggressives Auftreten haben. Hier gilt es, sich nicht in Streitereien verwickeln zu lassen, sondern ganz konsequent eine Grenze zu ziehen. Denn wenn Sie von der Art dieser Person genervt sind, ist es Ihr gutes Recht, das auch zu sagen: „Ich mag es nicht, wie du mit mir sprichst.“
Senden Sie Ich-Botschaften, benennen Sie Ihre Gefühle. Wenn Sie stattdessen sagen: „Du hast einen unmöglichen Ton am Leib“, klingt das für Ihr Gegenüber wie eine Kampfansage; er oder sie wird sich wehren – und schon gibt es Stress.
Menschen, die permanent pöbeln, haben meistens ganz andere Sorgen und brauchen ein Ventil. Das bekommen Sie vielleicht gerade zu spüren. Okay ist das nicht. Um den Druck rauszunehmen, könnten Sie diesen Nervensägen-Typ überraschen und sagen: „Kann ich dir irgendwie helfen? Irgendetwas scheint dich ja tierisch zu nerven. Erzähl doch mal.“ Das wirkt entwaffnend und offen. Ideal, um ihm oder ihr erst einmal den Wind aus den Segeln zu nehmen und ruhig von vorn zu beginnen.
3. Schlaffe Zögerer: Einfach bleiben und mit Vorteilen locken
Gibt es bei Ihnen in der Arbeit auch Kollegen oder Kolleginnen, die sich stets mit durchmogeln? Die immer ein bisschen langsamer sind als alle anderen und denen das zugleich auch irgendwie egal ist? „Solche Menschen sind schwer zu kriegen“, so Albert. „Sie lassen sich kaum mit Kritik ändern, weil sie träge und wenig ambitioniert sind.“
Was jedoch helfen kann: Weisen Sie auf die Vorteile hin, die die Person hat, wenn sie doch mitzieht. Sie könnten sagen: „Leider kommt deine Zuarbeit häufig zu spät. Das führt bei uns dazu, dass wir auch regelmäßig verspätet abliefern. Lass uns doch schauen, dass wir pünktlich sind. Dann haben wir weniger Stress mit dem Chef und gefährden unsere Prämie am Jahresende nicht.“
Machen Sie ganz klar, inwiefern das Verhalten welche Konsequenzen nach sich zieht. Keine komplizierten Herleitungen, keine langen Sätze. „Ein Zögerer vergleicht“, sagt Attila Albert. „Überwiegen seine Vorteile, stimmt er zu und hält sich auch daran.“
4. Fürsorgliche Helferseelen: Bemühungen würdigen, Wunsch ausdrücken
Und dann gibt es im Job auch immer solche Menschen, die quasi alles an sich reißen und sich aufopfern. Fürs Team. Fürs Projekt. Für das Unternehmen. Einer Mrs. Perfect oder einem Herrn Kannallesbesser zu sagen, dass der Umgang mit ihm oder ihr schwierig ist, wird relativ sicher zu der Aussage führen: „Aber ich meine es doch nur gut ...“
Hier wäre es sinnvoll, die Bemühungen der Nervensäge zunächst anzuerkennen und zu würdigen. Etwa so: „Ich finde es wirklich toll, was du alles leistest und wie sehr du alles im Blick hast.“ Sollten Sie dann bemerken, dass die Person nickt oder lächelt, ist der Zeitpunkt ideal, die eigentliche Kritik in Form eines Wunsches zu platzieren, zum Beispiel: „Ich fände es schön, wenn du erst die eine Aufgabe beendest, damit wir einen Haken dahinter machen können und sich die Projekte nicht so stauen.“
Oder aber Sie weisen vorsichtig darauf hin, wer für was zuständig ist: „Ich glaube, diese Aufgabe hat die Chefin mir zugeteilt. Ich weiß es sehr zu schätzen, dass du mich da entlasten willst, aber ich würde gern selbst versuchen, das hinzukriegen.“
Auch für den Fall, dass das fürsorgliche Helferlein gerne plaudert und Sie von der Arbeit abhält, können Sie das nach dem entsprechenden Intro vortragen: „Ich würde mich freuen, wenn wir jetzt schnell die To-dos abarbeiten, dann können wir nachher eine Pause machen und weiter darüber quatschen.“
5. Übermotivierte Problemlöser: Sachlich und konkret bleiben
„Diese Nervensäge nimmt wenig persönlich und ist offen für konstruktive Kritik“, sagt Attila Albert. „Vermeiden Sie aber emotionale Geständnisse und konzentrieren Sie sich ganz sachlich auf das, was Sie stört.“ Erklären Sie ohne Umschweife, warum genau Sie genervt sind. Das gilt vor allem für Vorgesetzte. Die denken in der Regel zielorientiert.
Sagen Sie nicht, was Sie verletzt und tief getroffen hat, sondern weshalb ein bestimmtes Verhalten für das Klima im Arbeitsalltag oder das Erledigen der Aufgaben unangemessen war. Mutmaßlich war es der Person gar nicht bewusst, weshalb ein Lösungsansatz auf offene Ohren treffen wird.
Zum Beispiel: „Wenn wir über ein Problem sprechen, fühlen sich manche im Team nicht mitgenommen, weil sie mehr Zeit brauchen und sich ausdrücken wollen. Wenn du ihnen das erlaubst, haben wir alle an Bord und holen die Zeit schnell wieder auf.“
6. Selbstgerechte Weltverbesserer: Auf eigene Ideale verpflichten
Es geht immer ums große Ganze. Und dagegen etwas zu sagen, ist schwer, denn gegen Gerechtigkeit kann man nichts haben. „Sonst stehen Sie schnell als Zyniker oder Egoist da“, warnt Attila Albert. „Stimmen Sie der Nervensäge also erst einmal zu: ‚Stimmt, da hast du recht …‘“
Greifen Sie dann das Signalwort in Ihrer Kritik auf, in diesem Beispiel: Gerechtigkeit. Weisen Sie darauf hin, dass Überstunden gerecht abgegolten werden müssen. Oder dass Aufgaben gerecht verteilt werden sollten. Dass das nicht nur fair, sondern auch effizienter oder nachhaltiger ist.
Ein Lieblingssatz von Vorgesetzten ist in dem Zusammenhang häufig, dass das Budget ausgereizt, für zusätzliche Ausgaben kein Geld da ist, erst recht nicht für Gehaltserhöhungen. Bleiben Sie cool, empfiehlt der Job-Coach: „Schlagen Sie vor, einen Freizeitausgleich einzuführen, wenn Überstunden nicht finanziell abgegolten werden können. Das erhöhe die Motivation im Team, weil alle sich gerecht behandelt fühlen.“
7. Abgehobene Welterklärer: Mit Lösungsvorschlag interessieren
In jeder Branche gibt es Menschen, die immer alles besser wissen. Das dürfen sie auch, weil es ihnen ein gutes Gefühl gibt. Überzeugen können Sie diesen Nervensägen-Typus am besten mit einem möglichst konkreten Lösungsansatz. Umreißen Sie zuerst das Problem, skizzieren Sie dann die in Ihren Augen richtige Lösung.
Als Beispiel nennt Attila Albert, dass ein Unternehmen häufig Beschwerden bekommt, weil zu spät auf Kundenanfragen reagiert wird. Das ist einleuchtenderweise ein Problem. Ihre Antwort: „Lösen könnten wir das, indem wir an den Tagesrandzeiten freie Mitarbeiter beschäftigen, die zeitnah reagieren können.“
Oder ein anderes Beispiel: Ihr Chef erklärt Ihnen, wie Ihr Job am besten funktioniert, wie Sie was zu erledigen haben. Er weiß es ja, denn er ist der Chef. Denkt er. Sie wissen es besser, weil Sie jeden Tag an der Basis sind. Also könnten Sie sagen: „Grundsätzlich stimme ich Ihnen zu. Ich habe aber die Erfahrung gemacht, dass es mir schneller von der Hand geht, wenn ich das soundso erledige. So schaffe ich viel mehr in der gleichen Zeit.“
Der Welterklärer wird Ihre Idee vielleicht nicht 1:1 umsetzen, aber er wird sehr wahrscheinlich interessiert sein, sie aufnehmen und mit eigenen Vorschlägen kommen. So gelangen Sie bestimmt zu einer Lösung, die für alle passt.
Attila Albert: Sorry, ihr nervt mich jetzt alle! Redline Verlag, 240 Seiten, 16 Euro.