Marzahn-Hellersdorf: Mühlenhochzeit, Eichhörnchen füttern, Gründerzeit-Charme

Wer Marzahn-Hellersdorf nur mit Plattenbauten in Verbindung bringt, war noch nie hier. Lernen Sie in unserer Wochenendserie den schönen Berliner Osten kennen.

Auch das ist der Bezirk Marzahn-Hellersdorf: Eine Seilbahn überquert die „Gärten der Welt“. Das Erholungsgebiet wurde 1987 angelegt.
Auch das ist der Bezirk Marzahn-Hellersdorf: Eine Seilbahn überquert die „Gärten der Welt“. Das Erholungsgebiet wurde 1987 angelegt.imago/Jürgen Ritter

Berlin ist ein Dorf. Sagt man so, und es stimmt auch, wenn man genauer hinguckt. Aber wer tut das schon? Wer fährt einfach mal in einen anderen Kiez, um zu gucken, was da so los ist? Das wollen wir ändern. In der Bezirke-Serie stellen wir alle zwölf Berliner Bezirke vor, lassen Einheimische zu Wort kommen, verraten Geheimtipps, tauchen ein in die Vielfalt der Möglichkeiten. Heute: Marzahn-Hellersdorf.

Als vor 45 Jahren, am 8. Juli 1977, damit begonnen wurde, rund um das Dörfchen Marzahn Plattenbauten zu errichten, verbanden viele Berlinerinnen und Berliner das mit einer großen Hoffnung: Endlich raus aus den schwer zu beheizenden Altbauten mit den zugigen Fenstern, aus denen der Kitt bröckelte. Schluss mit dem Klo auf halber Treppe. Kein Kohleschleppen mehr.

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Damals galten die Neubauwohnungen mit Fenster-Bad, Zentralheizung und gutem Schnitt als modern; nach der Wende gerieten sie in Verruf. Die olle Platte! Und der verächtliche Block färbte ab auf Marzahn, woran auch die Bezirksreform und die Fusion mit Hellersdorf nichts änderte. Schade, denn der tiefe Osten ist mehr als aufeinandergestapelte Dreiraumwohnungen. Und es gibt auch mehr zu entdecken als die – zu Recht – sehr beliebten Gärten der Welt mit ihrer gläsernen Seilbahn.

Haben Sie Lust, auch die anderen Bezirke kennenzulernen? Dann folgen Sie uns doch nach Pankow, Neukölln, Mitte, Spandau, Charlottenburg-Wilmersdorf, Reinickendorf, Friedrichshain-Kreuzberg, Treptow-Köpenick, Lichtenberg, Tempelhof-Schöneberg und Steglitz-Zehlendorf.

Was macht Marzahn-Hellersdorf so besonders?

Die Ur-Marzahnerin Brigitte Lemm ist die Mutter von Bezirksbürgermeister Gordon Lemm (SPD) und lebt zusammen mit ihrem Mann seit 1982 in derselben Wohnung. Sie sagt, Marzahn sei ihr „ungeschliffener Diamant im Osten Berlins“. Weil: „Der Einklang von Wohnen, viel Grün mit großzügigen Innenhöfen und der weite Himmel über allem. Eine Vielzahl von Parkanlagen, architektonische Kunstwerke laden zur Entspannung und Entdeckung ein.“

Aber nicht nur das. Marzahn sei eine Großstadtsiedlung am Rande der Stadt, findet Birgit Lemm: „Man trifft noch Hase, Fuchs und Rehe und eine der höchsten Erhebungen Berlins mit herrlicher Aussicht. Sollte man einmal das quirlige Berliner Leben vermissen: In 30 Minuten ist das Zentrum mit S-Bahn, U-Bahn oder Tram erreicht. Herz, was willst du mehr?!“

Marzahn-Tipps: In diesen grünen Oasen entspannen die Einheimischen

Die Ur-Berlinerin Regina Müller lebt seit 1983 in Marzahn, wo sie nach eigenem Bekunden „tiefe Wurzeln“ geschlagen hat. Und das merkt man auch, wenn sie von ihrem Bezirk berichtet. „Marzahn ist nicht die Betonwüste, nicht die Proletensiedlung, nicht die ausländerfeindliche Hochburg“, wie es häufig genug heiße, findet Regina Müller. Vielmehr sei Marzahn abwechslungsreich, grün und voller Facetten.

„Marzahn ist multikulturell und bunt. Vor allem aber ist Marzahn grün“, sagt die Berlinerin und zählt auf: „Der Biesdorfer Schlosspark, wo das Schloss zur Besichtigung, das inliegende Café zum Verweilen einlädt. Der Teich ist ein Paradies für Frösche. Wer Geduld und Glück hat, kann die Blindschleichen beobachten. Der Bürgerpark Marzahn ist ein Treffpunkt für Jung und Alt, ein Ort für Veranstaltungen.“

Biesdorf an sich mit seinem urigen, dörflichen Charme ist ja schon eine Reise wert. Und der dortige Schlosspark mit seinen mehr als 14 Hektar Fläche (so groß wie der Görlitzer Park) entstand bereits im 18. Jahrhundert als Gutspark. Das südländisch anmutende Schloss (Alt-Biesdorf 55), das eigentlich eine spätklassizistische Villa ist, präsentiert wechselnde Kunstausstellungen und informiert über die eigene Geschichte; der Eintritt ist frei.

Im Bürgerpark Marzahn (Jan-Petersen-Straße 26a) kann man rodeln und skaten, planschen und Rad fahren, mit dem Hund spazieren gehen oder die Kinder auf dem Spielplatz toben lassen. Oder aber man setzt sich auf eine Parkbank, genießt die frische Luft und die herrliche Natur, die vielen Stauden und Blumen, die beiden Teiche, bewundert die Skulpturen.

Wenn Sie mal für sich sein wollen und ungestört ein bisschen Ruhe brauchen, sollten Sie zum Marzahner Parkfriedhof (Wiesenburger Weg 10) fahren, empfiehlt Regina Müller: „Nehmen Sie ein paar Walnüsse oder Erdnüsse mit. Dann werden Sie Spaß mit den Eichhörnchen haben! Mein Favorit ist der kleine Naturteich. Auch hier gibt es Frösche, die auf den Seerosenblättern sitzen oder so aus dem Wasser schauen. Mit großem Glück sind hier Ringelnattern zu bewundern. Letztens habe ich minutenlang in das klare Wasser gestarrt und einer sich bewegenden Wasserschnecke zugesehen. Das hat man doch sonst bestenfalls im Aquarium.“

Besuchen Sie unbedingt die Paradiesgärten

Es ist eines der schönsten Integrations- und Nachbarschaftsprojekte der Stadt, doch außerhalb der Kieze weiß kaum jemand darüber Bescheid: In Marzahn und Hellersdorf gibt es drei sogenannte Paradiesgärten, alle in der Nähe von Gemeinschaftsunterkünften für Geflüchtete. Zusammen mit alteingesessenen haben die neuen Bewohnerinnen und Bewohner die Gärten gestaltet, sie gemeinsam geplant und angelegt, für alle zugänglich gemacht.

Im Naschgarten (Blumberger Damm, Schönagelstraße) finden Sie unter anderem Hochbeete, Kartoffelacker, Obst- und Gemüseanbau. Auch Wildblumenwiesen mit Picknickstellen gibt es. Viele Familien aus dem Kiez gärtnern hier, man trifft sich, genießt die Natur.

Der Panoramagarten (Albert-Kunz-Straße) hat hingegen einen anderen Schwerpunkt: „Parallel zum Fuß- und Radweg entlang des Hellersdorfer Grabens ist auf 600 Quadratmetern ein Garten mit Wildwiese, Tastpfad, Holzdecks, einer sportiven Bank mit Funktion zur Stromerzeugung (WeWattBench) und runden Hochbeeten mit Blumen und Kräutern entstanden“, teilt die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung mit.

Drittes Paradies im Bunde ist der Sonnengarten (Paul-Schwenk-Straße), vis-à-vis von Elfgeschossern. Staudenbeete in allen Farben, eine lange Tafel zum dran Sitzen, Picknick-Plateaus, kurzum: ein echtes Draußen-Wohnzimmer.

Heiraten in der alten Bockwindmühle

Die schon von Weitem sichtbare Bockwindmühle (Hinter der Mühle 4) ist der Nachbau einer baugleichen Mühle aus dem frühen 19. Jahrhundert, die seinerzeit im Dorfkern von Marzahn stand und – nach einer wechselvollen Geschichte – im Zuge von Umbauplänen im Ort abgerissen wurde. Erst 1994 entstand die neue Mühle im alten Look. An durchschnittlich 200 Tagen im Jahr mahlt die Windkraft-Mühle tatsächlich Mehl.

Man kann die Mühle besichtigen und in der Freiluftausstellung an einer 130 Jahre alten Schnupftabakmühle mit eigener Körperkraft mahlen. Besonders beliebt ist die Mühle aber bei Hochzeitspaaren: „Als Außenstelle des Standesamtes Berlin Marzahn-Hellersdorf bietet die Mühle allen Heiratswilligen ein einzigartiges Ambiente für eine ungewöhnliche Trauungszeremonie nach historischem Vorbild. Dabei bilden die festlich geschmückte Mühle und die malerische Hochzeitstreppe samt Hochzeitsportal den stimmungsvollen Rahmen“, heißt es auf der Mühlen-Homepage.

Auch Paare, die nicht in Berlin gemeldet sind, können hier heiraten, sofern sie sich zuvor anderswo haben standesamtlich trauen lassen. Und auch Hochzeitsjubiläen kann man in der Mühle feiern. Wer mag, kann im Anschluss noch zum Hochzeitspark (nah am S-Bahnhof Raoul-Wallenberg-Straße) fahren. Auf mittlerweile 20.000 Quadratmetern wachsen hier Bäume, die zu besonderen Festen (u. a. auch Geburten, Taufen) gepflanzt wurden: Kirschen, Ebereschen, Linden, Ulmen, Obstbäume.

Bis 2016 wurden zweimal im Jahr neue Bäumchen gesetzt, seither ist kein Platz mehr. Dennoch: Das Gelände ist gepflegt und einladend, ein tolles Fotomotiv für eine Hochzeitsgesellschaft. In einem Pavillon steht eine Tafel, an die man sich setzen und beispielsweise picknicken kann.

Berlin mit Kindern: Auf nach Marzahn-Hellersdorf

In den Sommermonaten ist das Kinderbad Platsch (Max-Herrmann-Straße 7) im Bürgerpark Marzahn eine der besten Adressen für kleine Menschen, um sich abzukühlen und mal so richtig auszutoben; Badebecken, Wasserfall, Grotte – und ringsum Liegewiesen, Bänke, Schattenplätze.

Bei weniger gutem Wetter oder Lust auf wasserfreien Spaß sollten Sie einen der größten Indoor-Spielplätze Berlins besuchen: Das Bim & Boom (Beilsteiner Str. 109) lockt mit Kleinkindbereich, Softball-Kanonenanlage, Fußballplatz, Trampolinen, Hindernisparcours, Hüftburgen, Rutschen, einem Labyrinth – und vielem mehr. 3300 Quadratmeter voller Abenteuer für Kinder bis zwölf Jahre.

Falls Sie über die Landsberger Allee nach Marzahn reinfahren, machen Sie doch kurz Halt am Tierhof (Alt-Marzahn 63) direkt hinter der Mühle. Unsere Leserin Regina Müller schwärmt: „Es gibt Schafe und Ziegen, in der Osterzeit mit niedlichen Lämmchen, Ponys, Esel, Alpakas, Gänse, Puten und Pfauen sowie uralte bäuerliche Gerätschaften zu bewundern.“

Einen richtig spannenden Naturspielplatz gibt es seit Anfang Juli an der Hönower Weiherkette (Gohliser Straße). Alles ist aus Naturmaterialien und fügt sich organisch ins Landschaftsschutz- und Naherholungsgebiet ein. Kletterbaum, Doppelschaukel mit Blick auf den Froschpfuhl, Kanthölzer und ein Tau-Netz zum Balancieren und Klettern. Für die Eltern gibt es ausreichend Sitzbänke, und auch an Mülleimer wurde gedacht.

Wo kann man in Marzahn gut essen gehen?

„Hinsichtlich gastronomischer Genüsse empfehle ich nachdrücklich das italienische Restaurant Paparazzi an der Bruno-Baum-Straße, Ecke Hänflingsteig. Nach mehreren Leerständen hat der Inhaber die Innenräume Ende 2019, Anfang 2020 sehr geschmackvoll gestaltet, hatte tolle Pläne für den schönen großen Biergarten, aber in die geplante Eröffnung platzte die Pandemie. Es ist so bewundernswert, wie man mit dem Außer-Haus-Verkauf, mit spärlichem Besuch getesteter Gäste, Maskenpflicht allen Widerwärtigkeiten getrotzt und durchgehalten hat“, so die Marzahnerin Regina Müller.

Tipp aus der Lokalzeitung: Das Sportmuseum

Seit 30 Jahren gibt es die kostenlose monatliche Lokalzeitung Die Hellersdorfer, die in Briefkästen verteilt wird, aber auch in einigen Geschäften liegt sowie online gelesen werden kann. Wer wissen will, was in Hellersdorf los ist, sollte einen Blick in das Blatt werfen. So wurde beispielsweise vor Kurzem über die Umgestaltung des Sportmuseums (Eisenacher Straße 121) berichtet, das sich hauptsächlich mit dem Sport in der DDR auseinandersetzt.

„Ab sofort können Interessierte durch die rundum erneuerten Räume schlendern und sich die neue interaktive Ausstellung ‚Auf die Plätze, fertig, los! Sport in Marzahn-Hellersdorf‘ ansehen. Sorgfältig ausgewählte Exponate und übersichtlich gestaltete Infotafeln rufen große Sportmomente in Erinnerung (…) und erzählen spannende Geschichte(n)“, heißt es in dem Artikel.

Und weiter: „Im großen Ausstellungsraum laufen Besucher:innen über eine auf den Boden gepinselte Marzahn-Hellersdorf-Karte. Mit Fähnchen sind wichtige Sportstätten und (Sport-)Geschichtsorte abgesteckt, darunter das einstige Zwangslager Marzahn. Es war 1936 im Vorfeld der ‚Olympischen Spiele unterm Hakenkreuz‘ von den Nazis errichtet worden, um Sinti und Roma aus dem Innenstadtbild zu verbannen. Neu ist auch die Sitztribüne. Ein Beamer wirft historische Fotos an die gegenüberliegende Wand.“

Nicht verpassen: Das Gründerzeitmuseum in Mahlsdorf

Sie war und ist eine der berühmtesten Transfrauen der Stadt: Charlotte von Mahlsdorf, 1928 als Lothar Berfelde im Hellersdorfer Ortsteil Mahlsdorf geboren, entdeckte früh die Behaglichkeit der Gründerzeit, war fasziniert von der Wohnkultur. Die Konsequenz dessen kann man heute im Gründerzeitmuseum im Gutshaus Mahlsdorf (Hultschiner Damm 333) besichtigen.

Schon mit 18 Jahren, kurz nach dem Krieg, hatte Charlotte von Mahlsdorf fünf Zimmereinrichtungen gesammelt. Sodann rettete sie die zu Beginn des 19. Jahrhunderts erbaute Gutsherrenvilla, die 1958 abgerissen werden sollte. Es folgten Sanierungsarbeiten, und nur zwei Jahre später eröffnete Charlotte von Mahlsdorf ihr Gründerzeitmuseum, das seit 1972 unter Denkmalschutz steht.

Das Mahlsdorfer Gründerzeitmuseum ist wahrlich unvergleichlich: 17 voll ausgestattete Räume können besichtigt werden. Es erwartet einen eine unglaubliche Fülle an Eindrücken und Assoziationen, Kronleuchter, gusseiserne Öfen, Waschgarnituren, furnierte Nussbaum-Möbel, fast wie eine Zeitreise. „Die Wohnräume sind in seltener Geschlossenheit ausgestattet mit Möbeln und Hausrat des einfachen und mittleren Bürgertums aus der Zeit zwischen 1870 und 1900“, steht auf der Museumshomepage.