Nach der Krebs-Diagnose: Wo finden Angehörige Unterstützung?

Serie zum Weltkrebstag: Teil 6. Wie finden Angehörige von Krebskranken Hilfe? Was gibt Kraft und Hoffnung? Wie übersteht man das als Paar?

Beratungsgespräche der Berliner Krebsgesellschaft können vis-a-vis, aber auch virtuell stattfinden (Symbolfoto).
Beratungsgespräche der Berliner Krebsgesellschaft können vis-a-vis, aber auch virtuell stattfinden (Symbolfoto).Svea Pietschmann

Wenn ein Mensch erfährt, dass er Krebs hat, reißt das nicht nur ihm den Boden unter den Füßen weg, sondern auch den Angehörigen: dem Partner oder der Partnerin, den Kindern, Geschwistern und vielleicht auch Eltern oder Freunden. Sie sind eigentlich nur Zuschauende, zugleich aber eben auch betroffen. Auch sie sorgen sich, wollen stark sein, hegen Hoffnung, suchen nach Lösungen. Die Berliner Krebsgesellschaft, die die Berliner Zeitung bei der Erstellung dieser sechsteiligen Serie unterstützt hat, bietet Hilfe für an Krebs erkrankte Menschen und auch ihnen nahe stehende Personen an.

„Angehörige sind genau so aus dem Alltag herausgerissen wie die Patientinnen und Patienten selbst, viele Planungen und Vorhaben müssen verworfen werden, es gibt Verlustängste, auf einmal ist nichts mehr wie es war. Das ist eine große Belastung“, weiß Psycho-Onkologin Christina Demmerle von der Berliner Krebsgesellschaft. Der gemeinnützige Verein hat vier Beratungsstellen in der Stadt: je eine in Mitte, Spandau und Treptow sowie eine türkischsprachige in Kreuzberg. Man kann sich dorthin wenden, wenn man Hilfe braucht oder auch einfach nur reden möchte. „Wir bieten auch telefonische Beratungen oder Video-Gespräche an“, sagt Christina Demmerle.

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Die Pandemie hat alles verschärft. Angehörige dürfen bei ärztlichen Gesprächen nur noch in Ausnahmefällen dabei sein, fühlen sich daher von Informationen abgeschnitten. Das direkte Gespräch im therapeutischen Kontext bei Vereinen und Organisationen fällt häufig weg, weil man sich – ganz besonders im Angesicht einer Krebserkrankung – vor unnötigen Kontakten und einer etwaigen Infektion schützen möchte. „Hinzu kommen oft finanzielle Sorgen, wenn der oder die Erkrankte nicht mehr arbeiten kann, aber die Lebenshaltungskosten hoch sind“, so die Diplom-Psychologin.

Ratschlag der Expertin: Bitten Sie um Hilfe

Viele Angehörige fühlen sich allein gelassen. Freundinnen und Freunde ziehen sich oft zurück, weil sie nicht wissen, wie sie mit der Situation umgehen sollen. Und wenn sie Fragen haben, sprechen sie meistens nicht die erkrankte Person an, sondern den Partner oder die Partnerin. „Diese werden dann zum Sprachrohr, was sehr belastend sein kann. Dabei würde es helfen, wenn sich auch mal jemand nach seinem oder ihren Befinden erkundigen würde“, weiß Christina Demmerle. „Zugleich sollten Angehörige sich aber nicht scheuen, selbst um Unterstützung zu bitten. Viele Bekannte sind froh, wenn sie helfen können. Darum rate ich: Lassen Sie sich zum Beispiel Einkäufe bringen. Oder verabreden Sie sich zu einem Spaziergang, damit Sie mal Zeit für sich haben. Erzählen Sie von sich, was Sie bewegt. Signalisieren Sie Redebedarf.“

Sollten Sie sich niemandem aus Ihrem persönlichen Umfeld anvertrauen wollen, können Sie professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Allein oder mit Ihrem erkrankten Partner beziehungsweise Ihrer erkrankten Partnerin. Auch minderjährige Kinder können in Beratungsangebote eingebunden werden. Neben der Berliner Krebsgesellschaft gibt es eine Reihe anderer Vereine, die kostenlos und auf Wunsch auch anonym Hilfe anbieten, darunter die Krebsberatung Berlin und OnkoRat. Aber auch die Kirchen und großen Kliniken bieten entsprechende psychosoziale Unterstützung an.

Beratungstermine dauern in der Regel 30 bis 50 Minuten. Manche Menschen kommen nur ein oder zwei Mal, andere immer wieder, auch über einen längeren Zeitraum. „Eine Krebserkrankung ist dynamisch, mitunter braucht man Zeit, allein damit klarzukommen, und dann wieder benötigt man Zuspruch und Hilfe“, fasst Christina Demmerle zusammen. „Zudem sind es teilweise ganz pragmatische Dinge, bei denen Hilfe benötigt wird, etwa die Beantragung eines Schwerbehindertenausweises oder einer Haushaltshilfe. Oder die Frage, wie man an gute Ärzte kommt. An vielen Punkten können Beratungsstellen Hilfestellungen geben.“

Eine weitere Möglichkeit der Unterstützung sind Ärzte und Ärztinnen. Das Problem: Viele glauben, die Angehörigen würden von sich aus fragen oder erzählen, wenn sie etwas bräuchten. Diese jedoch warten darauf, angesprochen zu werden. „Dieses Missverständnis beobachten wir häufig in der Praxis“, so Christina Demmerle. „Angehörige denken dann oft: Wenn das Fachpersonal nicht fragt, wie es mir geht, ist das nicht wichtig.“ Aber so sei das nicht gemeint. Vielmehr stünde eben die Erkrankung sowie die Therapie im Fokus. „Dabei ist es aber von elementarer Bedeutung, dass es Ihnen gut geht. Insofern: Scheuen Sie sich nicht, auf sich aufmerksam zu machen“, empfiehlt die Psycho-Onkologin. „Fragen Sie, was Sie wissen wollen und machen Sie sich Notizen. Wenn Sie später bemerken, dass doch nicht alles geklärt ist, notieren Sie sich Ihre Frage für das nächste Mal oder kontaktieren Sie die Praxis per Mail.“ Darüber hinaus können Sie ansprechen, falls Sie weitere Unterstützung brauchen. Medizinerinnen und Mediziner sind normalerweise sehr gut vernetzt und wissen, wo Sie welche Hilfe bekommen können.

Ganz wichtig: Selbstfürsorge

Man kann nur stark und belastbar sein, wenn man gut für sich selbst sorgt. Und auch im Angesicht einer Krebserkrankung eines lieben Menschen ist es notwendig, auf sich selbst zu achten – so schwer dieser Gedanke auch scheinen mag. „Ich rate, dass Angehörige auch mal allein etwas unternehmen und sich ganz bewusst eine Auszeit gönnen, etwas ganz anderes machen“, so Christina Demmerle. „Das gibt neue Kraft und Energie, die man ja braucht, denn eine Krebserkrankung kann ein echter Marathon sein, da sollte man seine Kräfte einteilen.“

Sofern Sie Ihre Ängste und Ihren Kummer nicht im Freundes- oder Bekanntenkreis los werden, gibt es auch Angehörigen-Gruppen. Dort sind Sie unter Ihresgleichen: Man versteht Sie auch ohne Worte. Teilweise werden solche Gruppen auch professionell angeleitet, so wie im Fall der Angehörigengruppe der Berliner Krebsgesellschaft e.V.. Pro Jahr starten zwei Gruppen, die als solche geschlossen sind und mehrere Sitzungen miteinander absolvieren, momentan ausschließlich virtuell. Moderiert werden die Gespräche von der Psycho-Onkologin Elisa May. „Es ist ein Ort, um über sich selbst zu sprechen und auch zu benennen, wie schlecht es einem vielleicht geht, was im Alltag häufig zu kurz kommt“, sagt Christina Demmerle.

Versuchen Sie, achtsam mit sich zu sein, Überlastung zu spüren und dagegen vorzugehen. Mit bewussten Entspannungsübungen, die auch in Angehörigengruppen vermittelt werden, können Sie lernen, Stress abzubauen. Alternativ könnten Sie überlegen, entsprechende Kurse zu besuchen oder diese online zu absolvieren. „Schämen Sie sich nicht, weil Sie Zeit für sich brauchen. Das ist wichtig und hat in jeder Lebenslage seine Berechtigung“, sagt Christina Demmerle.

Wie geht man mit dem Tod um?

Aussprechen will es kaum jemand, aber daran denken müssen doch alle: Was, wenn der Krebs tödlich ist? Was wäre dann? „Das führt nicht nur zu einer existenziellen Angst bei Angehörigen, sondern auch zu teils massiven Schuldgefühlen“, sagt Christina Demmerle. „Denn natürlich möchte man sich nicht ausmalen, wie es wäre, wenn der geliebte Mensch stirbt. Es geschieht aber unweigerlich und ist nicht schlimm. Im Gegenteil, es gehört zum Verarbeitungsprozess der schockierenden Krebs-Diagnose dazu.“

Tatsächlich denken auch Betroffene selbst über ihren eigenen möglichen Tod nach. Doch allzu selten wird das dann auch kommuniziert, weder von der erkrankten Person noch von den Angehörigen. „Jede und jeder leidet dann für sich selbst und versucht, für den oder die andere stark zu sein“, erklärt die Expertin. „Und das hat dann zur Folge, dass man von beiden Menschen unabhängig voneinander angesprochen wird: ‚Ich weiß, wie es steht, aber bitte sagen Sie meinem Partner oder meiner Partnerin nichts.‘ Sie wollen einander schützen, und dabei ist es für viele wohltuend, Ängste auch miteinander zu teilen. Das gibt Kraft, weil man eben nicht alleine ist.“

Dabei sei es auch völlig in Ordnung, sich einzugestehen, dass man überfordert ist. Auch das führe zu Schuldgefühlen. „Deshalb sollten Betroffene und Angehörige die Erkrankung als gemeinsame Herausforderung definieren und anerkennen, dass sie sich in einer extremen Ausnahmesituation befinden“, so Christina Demmerle. „Überlegen Sie gemeinsam, was Sie in Ihrer Beziehung – egal, ob als Paar oder in der Eltern-Kind-Situation – brauchen und was Sie leisten können. Sie müssen nicht perfekt funktionieren, dürfen auch mal wütend sein.“