Weniger Chemotherapie: Wie moderne Medizin mehr Brustkrebs-Patientinnen rettet

Serie zum Weltkrebstag: Teil 2, Brustkrebs. Ein Experte erklärt, welche Risiken man kennen sollte, wie heutzutage therapiert wird, was man selbst tun kann.

Die Brustkrebs-Früherkennung mittels Mammografie wird ab dem 50. Lebensjahr angeboten.
Die Brustkrebs-Früherkennung mittels Mammografie wird ab dem 50. Lebensjahr angeboten.dpa

Die meisten Menschen, die eine Krebs-Diagnose bekommen, denken als Erstes an den vermeintlich nahen Tod und danach an die bevorstehende Chemotherapie. Die Angst vor beidem ist groß. Bei Frauen mit Brustkrebs kommt die Sorge hinzu, dass eine Brust amputiert werden muss – der Verlust der Weiblichkeit steht auf dem Spiel. All das sind nachvollziehbare Gedanken, aber vor allem in Bezug auf den Brustkrebs fast schon unnötig. Denn nie waren die Heilungschancen für Frauen besser, nie die Therapien schonender und effizienter. Hinzu kommt, dass die Medizin immer mehr über das Entstehen und Fortschreiten des Brustkrebses versteht, weshalb jede Frau aktiv etwas dafür tun kann, ihr persönliches Brustkrebs-Risiko zu senken.

Prof. Dr. Jens-Uwe Blohmer ist gynäkologischer Onkologe und Klinikdirektor an der Charité in Mitte. Er leitet dort die Klinik für Gynäkologie mit Brustzentrum. Der Mediziner ist stellvertretender Vorsitzender der Berliner Krebsgesellschaft, die Betroffene und Angehörige umfassend informiert und fachkundig begleitet. Der gemeinnützige Verein wird unter anderem durch Spenden finanziert und hat die Berliner Zeitung beim Erstellen dieser sechsteiligen Serie anlässlich des Weltkrebstages am 4. Februar unterstützt.

Jedes Jahr erhalten rund 70.000 Frauen in Deutschland die Schock-Diagnose Brustkrebs, medizinisch: Mammakarzinom. Zugleich sterben pro Jahr etwa 18.500 Frauen daran. Das ist, verglichen mit anderen Krebsarten, relativ wenig. Die Fünf- und Zehn-Jahres-Überlebensraten liegen laut Robert-Koch-Institut (RKI) bei 88 beziehungsweise 83 Prozent. Das Mammakarzinom ist die häufigste Krebsart bei Frauen: Etwa eine von acht Frauen erkrankt im Laufe ihres Lebens daran. Fast drei von zehn Frauen sind bei Diagnose­stellung jünger als 55 Jahre alt, schreibt das RKI.

Aber auch Männer sind davon betroffen: Etwa ein Prozent aller Brustkrebserkrankungen trifft Männer; das sind circa 700 Neuerkrankungen pro Jahr. Der anatomische Aufbau der Brust ist beim Mann ähnlich wie bei der Frau, wenngleich er auch keine ausgeformten Brüste hat. Aber die Anlagen der Brustdrüsen und des Fettgewebes sind vergleichbar mit denen einer Frau. Bis zur Pubertät sind die Oberkörper bei Jungen und Mädchen identisch; erst durch die hormonellen Veränderungen beginnt auch die Brust, sich auszudifferenzieren. Und weil Brustkrebs eine Erkrankung des Drüsengewebes ist, können auch Männer daran leiden.

Welche Risikofaktoren sind bekannt?

Als ein Hauptrisiko gilt, wie bei so ziemlich allen Krebsarten, die genetische Vorbelastung. Wenn Eltern, Geschwister, Großeltern oder Tanten und Onkel Brustkrebs hatten, ist das eigene Risiko erhöht. „Je häufiger der Krebs familiär gehäuft auftritt und je jünger die Betroffenen jeweils waren, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, selbst daran zu erkranken“, erklärt Prof. Dr. Jens-Uwe Blohmer.

Die Charité in Mitte bietet am Zentrum für familiären Brust- und Eierstockkrebs (FBREK) Unterstützung an. „Bei bis zu 10 Prozent aller an Brust- oder Eierstockkrebs erkrankten Frauen beruht die Erkrankung auf angeborenen Veränderungen, also Mutationen bestimmter Gene“, heißt es auf der Website. Diese Gene kann man bestimmen und sein individuelles Risiko berechnen lassen. Das erfolgt  nach ausführlicher Aufklärung und Beratung komplett IT-basiert: Anhand eines standardisierten Fragenkataloges (Brustdichte, Alter, Vorerkrankungen, Familiengeschichte etc.) kann ein Statistikprogramm errechnen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, zu einem bestimmten Zeitpunkt beziehungsweise in einem bestimmten Alter an Brust- oder Eierstockkrebs zu erkranken. Im Anschluss kann ein Gentest aus den Blutzellen durchgeführt werden, um zu überprüfen, ob die fraglichen Genmutationen BRCA1 oder BRCA2 tatsächlich vorliegen. Viele Krankenkassen übernehmen die Kosten, aber nicht alle. Klären Sie vorher ab, wie Ihre Kasse das handhabt.

„Je nach genetischem Befund und errechnetem Erkrankungsrisiko ist eine risikoreduzierende Operation möglich“, erklärt Prof. Dr. Jens-Uwe Blohmer. „Dabei wird dann das Drüsengewebe entfernt, nicht die ganze Brust. Haut, Fettgewebe sowie Brustwarzen bleiben erhalten. Gegebenenfalls kann man während der OP auch eine Sofortrekonstruktion vornehmen, die Brust also wiederaufbauen, sofern das gewünscht ist.“

Ebenso wie das genetische Risiko lässt sich das reproduktive Risiko nicht beeinflussen, ist aber wichtig. „Wenn eine Frau Kinder bekommt und diese stillt, ist ihr individuelles Risiko geringer als bei kinderlosen Frauen“, sagt der gynäkologische Onkologe. Nicht jede Frau möchte Kinder, manche versuchen es vergeblich und bei anderen klappt das Stillen nicht oder sie wollen es nicht. Gleichwohl hat sich gezeigt, dass das Kinderkriegen und Stillen einen positiven Effekt haben – was jedoch nicht heißen soll, dass man möglichst viele Kinder gebären und diese möglichst lange stillen sollte, um keinen Brustkrebs zu bekommen. So einfach ist es nämlich nicht.

„Schon in der Schwangerschaft verändern sich die Brustdrüsen, und beim Stillen differenzieren sich die Zellen in den Milchgängen der Brust derart, dass die eben Milch produzieren. Und dieser Vorgang steht in direktem Zusammenhang mit dem Schutz vor einer Brustkrebserkrankung“, so der Mediziner. „Es ist aber kein hundertprozentiger Schutz.“ Es gibt noch weitere Faktoren, die die Entstehung eines Mammakarzinoms wahrscheinlicher machen, darunter eine späte Menopause (spätes Einsetzen der Wechseljahre), höheres Lebensalter sowie eine hohe Brustdichte. Allerdings sind das Punkte, die man als gegeben hinnehmen muss – wir können nichts daran ändern.

Wirklichen Einfluss auf sein Risiko kann man nur durch seinen Lebenswandel nehmen. Die sogenannten Lifestyle-Faktoren haben zwar keine so große Macht wie die Genetik, aber sie sind auch nicht unerheblich. Als Risikofaktoren, die auf die Lebensumstände zurückzuführen sind, gelten etwa Übergewicht, regelmäßiger Alkoholkonsum (beispielsweise mehr als ein kleines Glas Wein pro Tag), Bewegungsmangel.

Wie wird Brustkrebs diagnostiziert?

Der wichtigste Diagnostiker sind Sie selbst. Einmal im Monat sollte jede Frau ihre Brüste auf Veränderungen hin untersuchen. Am besten zum Ende der Periode, weil dann die Brust am weichsten ist, sich etwaige Knoten leichter tasten lassen. „Wenn der Krebs sehr tief sitzt oder klein ist, kann man ihn nicht ertasten, aber viele lassen sich erspüren. Die Tastbarkeit beginnt bei etwa zwei Zentimetern, und das ist in der Regel auch ein Stadium, in dem sich der Brustkrebs gut behandeln lässt“, so der Experte. Ab dem 30. Lebensjahr übernehmen die Krankenkassen eine entsprechende jährliche Tastuntersuchung beim Frauenarzt oder der Frauenärztin.

Was viele nicht wissen: Auch das regelmäßige Betrachten der Brüste ist wichtig. „Dazu sollte man sich bei gutem Licht vor den Spiegel stellen und die Arme hinter dem Kopf verschränken“, erklärt Prof. Dr. Jens-Uwe Blohmer. „Dadurch wird die Brusthaut angespannt und krebsbedingte Einziehungen werden sichtbar. Tumoren sitzen häufig an den sogenannten Bindegewebsbändern und haben zur Folge, dass die Haut sich nach innen zieht, wenn sie gespannt ist. Manchmal wird auch die Brustwarze eingezogen.“ Ein weiteres Warnsignal ist Orangenhaut an den Brüsten. Wenn nämlich die Lymphbahnen der Brust durch Krebszellen blockiert sind, entstehen Ödeme. Darüber hinaus sind Schmerzen an den Lymphknoten in der Achselhöhle sowie blutige oder bräunliche Sekretabsonderungen aus der Brustwarze ein deutliches Warnzeichen, das man schnell ärztlich abklären lassen sollte.

Brustkrebs ist nicht gleich Brustkrebs. Es gibt im Wesentlichen drei Hauptformen. Zum einen wären da die hormonabhängigen Typen, die etwa 70 Prozent aller Brustkrebs-Erkrankungen ausmachen. Der größte Teil davon wird bei einer Mammografie entdeckt. Frauen zwischen 50 und 69 Jahren bekommen alle zwei Jahre eine entsprechende Einladung; bei genetischer Vorbelastung kann das Screening auch zu einem früheren Zeitpunkt und in engerer Taktung stattfinden. Die Hormone Östrogen und Progesteron können Einfluss auf das Wachstum von Brustkrebszellen haben. Mit speziellen Verfahren kann man testen, ob der Tumor in Abhängigkeit vom Hormonspiegel wächst. Weil in den Wechseljahren der Östrogenspiegel steigt, erhöht sich auch das Brustkrebs-Risiko.

Die zweite Form der Brustkrebserkrankung steht im Zusammenhang mit den Eiweißrezeptoren in der Brust. Diese heißen HER2-Rezeptoren und fungieren als Bindungsstellen, die Krebszellen zur Teilung anregen. Die dritte große Gruppe wird triple-negativ genannt, weil die drei zuvor genannten Rezeptoren (Eiweiß, Östrogen, Progesteron) keine Rolle spielen.

„Für jeden dieser Gewebetypen muss man eine spezielle Therapie finden“, sagt Prof. Dr. Jens-Uwe Blohmer. „Jede Brustkrebserkrankung ist anders, und deshalb ist keine Behandlung wie die andere. Wir haben heutzutage sehr gute Diagnosemöglichkeiten, sodass wir viel zielgenauer und nebenwirkungsärmer therapieren können als noch vor 30 Jahren.“

Das Gute ist, dass spezialisierte Fachärztinnen und Fachärzte die Krankheit als Ganzes im Blick haben. So gibt es zwischen Diagnostik und Therapie keine Reibungsverluste, weil gynäkologische Onkologen „durch ihre Expertise ein Gesamtverständnis der Erkrankung haben“, so Prof. Dr. Jens-Uwe Blohmer. Alles ist in einer Hand, die Patientin hat einen festen, entsprechend gut ausgebildeten Ansprechpartner oder Ansprechpartnerin. Sofern bei einer Mammografie etwas entdeckt wird, das auf einen Tumor hindeutet, wird ein Ultraschall der Brüste durchgeführt. Bestätigt sich der Verdacht, wird minimalinvasiv eine Gewebeprobe des fraglichen Areals entnommen und pathologisch untersucht. Alle Untersuchungen werden von den Kassen übernommen.

Welche Therapieformen gibt es?

Früher hat man meistens zuerst operiert und dann eine Chemotherapie verordnet. Heute gibt es eine Vielzahl an Therapiemöglichkeiten, die nicht nur schonender, sondern auch effizienter sind und je nach Erkrankungsbild miteinander kombiniert werden können. „Grundsätzlich ist das erste Ziel, den Tumor kleiner zu bekommen, bevor man operiert“, sagt Prof. Dr. Jens-Uwe Blohmer. „Man gibt, je nach Krebsart, Antikörper oder Antihormone, um das Tumorwachstum zu bremsen beziehungsweise ihn zu schrumpfen. Je kleiner ein Karzinom, desto besser operabel. Man schaut sich auch die Reaktion der Karzinomzellen auf die Therapie erst genau an, bevor man das weitere Vorgehen festlegt. Teilweise ist eine Operation gar nicht mehr nötig.“

Dass eine Brust in Gänze entfernt werden muss, ist heutzutage selten. Das könnte beispielsweise der Fall sein, wenn der Tumor direkt unter der Brustwarze sitzt. Abhängig davon ist auch der Wiederaufbau der Brust. Man kann sich Silikonimplantate einsetzen oder mit Eigenfett eine Brust modellieren lassen. Hierfür wird Fettgewebe entnommen, zum Beispiel aus den Oberschenkeln oder dem Po, dann aufbereitet und in die Brust gespritzt. Möglich ist auch, Fettgewebe mit den versorgenden Blutgefäßen von einer Körperregion, zum Beispiel dem Unterbauch, zu entnehmen und an Stelle der entfernten Brust dieses Gewebe zu transplantieren.

Mitunter kommt auch eine Immuntherapie zum Einsatz, bei der das körpereigene Abwehrsystem derart gestärkt wird, dass es sich zur Wehr setzen kann. Denn die Krebszellen haben das Immunsystem, das Fremdkörper bekämpft, sozusagen ausgetrickst und leben unerkannt im Körper. Wenn man den Organismus nun aber in die Lage versetzt, die Tumorzellen als solche zu erkennen, kann das Immunsystem seinen Dienst tun.

Wird bei der Mammografie ein niedrigaggressiver Brustkrebs entdeckt, kann es auch sein, dass zuerst operiert und danach mit Medikamenten weiter behandelt wird. Um auszuschließen, dass der Tumor gestreut hat und sich Metastasen gebildet haben, werden bei einigen Patientinnen Computertomographien und spezielle Knochenuntersuchungen durchgeführt.

Eine weitere Therapieoption ist die Bestrahlung. „Das macht man vor allem dann, wenn die Brust erhalten werden kann. Das gelingt in etwa 80 Prozent der Fälle“, so der Mediziner. Mittlerweile ist die Technik (z.B. durch atemgetriggerte Bestrahlungen) auch so ausgereift, dass umliegendes Gewebe (Lunge, Herz, Speiseröhre) nur noch sehr selten und in der Regel auch nicht schwer geschädigt werden. Hierfür legt man sich mit freiem Oberkörper auf eine Liege und das Strahlengerät gibt Strahlen auf das zu behandelnde Gewebe ab und vermeidet die Bestrahlung benachbarter Körperregionen. Diese Bestrahlung wird von Spezialprogrammen exakt berechnet. Normalerweise dauert eine Strahlentherapie drei Wochen und findet mit Ausnahme vom Wochenende täglich statt.

Und natürlich gibt es auch noch die Chemotherapie, die aufgrund besserer Alternativen immer seltener zum Einsatz kommt. Prof. Dr. Jens-Uwe Blohmer schätzt, dass nur noch etwa 20 bis 25 Prozent der Patientinnen eine Chemo bekommen. „Den Einsatz muss man gut abwägen. Aber es gibt verschiedene Chemotherapien, die sowohl in der Wirkung als auch in den Nebenwirkungen verschieden sind.“ Häufig werden diese Chemotherapien mit Immuntherapien (Antikörpern) kombiniert.

Habe ich nach der Therapie noch ein Gefühl in der Brust?

Meistens ja. Es kommt auf die Form der Behandlung an. Bei der OP und der Bestrahlung kann es sein, dass die Berührungsempfindlichkeit der Brust eingeschränkt ist. Sie kann im Laufe der Zeit wiederkommen, wird aber nicht zwangsläufig so, wie sie zuvor war. Die Medizin ist diesbezüglich sensibilisiert. Beim Operieren achtet man darauf, Nerven und Blutgefäße möglichst nicht zu durchtrennen.