Darf man seinem Kind sagen, dass es den Osterhasen nicht gibt?

Wenn das Kind zweifelt, wissen Eltern oft nicht, wie sie reagieren sollen. Wie wichtig ist es für die Kleinen überhaupt, an den Osterhasen zu glauben?

Zwei Osterhäsinnen spazieren mitten durch Berlin.
Zwei Osterhäsinnen spazieren mitten durch Berlin.Imago

Es ist eine schöne, wenngleich ziemlich abwegige Geschichte: Der Osterhase kommt, versteckt bemalte Eier und bringt Geschenke. Kinder lieben solche Mythen, aber irgendwann, spätestens in der Grundschule dämmert es ihnen: So ganz kann das nicht stimmen. Müsste man als Eltern dann ehrlich sagen, dass es den Osterhasen nicht gibt, oder sollte man dem Kind die Illusion noch ein bisschen erhalten, zur Not mit einer kleinen Behelfslüge? Der Kindertherapeut Dr. Christian Lüdke gibt Tipps.

Grundsätzlich ist es schön, wenn man an etwas glauben kann. Egal, ob es der Osterhase ist, der Weihnachtsmann, das Schicksal, ein Lottogewinn oder der liebe Gott. Es hilft uns durch den Alltag, wenn wir unsere Wünsche an jemanden oder auf etwas richten können. Der Glaube gibt uns Kraft, er trägt.

Für Kinder gilt das umso mehr, weil sie eine riesige Fantasie haben, in der sie sich verlieren können, die sie genießen und ausleben. Grundsätzlich sollte man das unterstützen. „Wenn Ihr Kind aber ernste Zweifel hat und sie direkt fragt, ob es den Osterhasen tatsächlich gibt, geben Sie ihm eine augenzwinkernde Antwort: ‚Nein, einen hoppelnden Hasen, der Geschenke bringt und Ostereier versteckt, gibt es nicht. Aber nur, weil wir ihn nicht sehen, heißt es nicht, dass es ihn nicht gibt‘“, rät Dr. Christian Lüdke.

Holen Sie Ihr Kind also ins Vertrauen. Das ist für Ihr Kind ein spannender Prozess, in dem es ein wenig Erwachsenenwelt-Luft schnuppert: Wow, so ist das also! Sie können die Chance nutzen, mit Ihrem Kind in einen Austausch auf Augenhöhe zu gehen. Sofern es bezweifelt, dass einen Osterhasen gibt, den man nicht sehen kann, könnten Sie antworten: „Aber deine Gedanken kann man doch auch nicht sehen. Und trotzdem sind sie da, oder?“ Oder: „Haben deine Gedanken eigentlich eine Farbe?“ Sprechen Sie gemeinsam über das, was es gibt, was möglich ist und wie die Welt tickt, aber seien Sie dabei kreativ.

Es gibt dazu einen Witz: Unterhalten sich ein Astronaut und ein Gehirnchirurg. Der Astronaut sagt, er sei so oft im All gewesen, er habe die Welt aus allen Winkeln betrachten können. Aber einen Engel oder Gott habe er nicht gesehen, weshalb er sich ganz sicher sei, dass es sie nicht gibt. Darauf antwortet der Gehirnchirurg, er habe unzählige Hirn-OPs durchgeführt, stundenlang, seit Jahren, aber er habe noch keinen einzigen Gedanken gesehen …

„Das Anerkennen, dass der Osterhase eine Erfindung ist, ist auch ein Prozess, den man ruhig schrittweise begleiten kann“, so der Kindertherapeut. „Im Grunde geht es ja nur um einen schönen Glauben, und den kann man durchaus aufrecht erhalten. Der Osterhase, aber auch das Christkind oder der Weihnachtsmann sind letztlich Gestalt gewordene Sehnsucht, sie symbolisieren die Macht des Wünschens. Kinder identifizieren sich mit diesen Figuren. Auf diese Art begreifen sie die Welt besser.“

Aber wer bringt denn dann die Geschenke?

Auf diese Frage können Sie auf unterschiedliche Weise reagieren. Was zu Ihnen und Ihrem Kind passt, wissen Sie am besten. Sie könnten sagen: „So genau weiß ich das auch nicht. Was glaubst du?“ Und dann schauen Sie doch mal, was Ihr Kind für Ideen hat. Nehmen Sie das auf und bleiben Sie im Kontakt.

Oder aber Sie erzählen, dass Sie einen Wunschzettel an die Adresse des Osterhasen schicken. Vielleicht erklären Sie auch, dass Sie Geld dazu legen, weil der Osterhase ja nicht alles selbst bezahlen kann. Je nachdem, wie alt Ihr Kind ist, wird es diese kleinen, liebevollen Eltern-Lügen akzeptieren oder weiter nachfragen.

Sie können jedoch auch ganz ehrlich sein und zugeben, dass Sie die Geschenke besorgen. Dann machen Sie sozusagen reinen Tisch und zeigen Ihrem Kind, dass Sie seine Bedenken ernst nehmen und weihen es in die Erwachsenen-Geheimnisse ein. Das ist ebenso in Ordnung, wie den modifizierten Glauben zu bestärken. Wenn Sie sich von den Fragen Ihres Kindes überrumpelt fühlen und unsicher sind, wie viel Wahrheit jetzt sein muss, sagen Sie, dass Sie kurz darüber nachdenken müssen.

Sollte ich meinem Kind verbieten, es anderen Kindern zu sagen?

Nein. Verbote funktionieren in der Regel nicht, vielmehr könnten diese Ihr Kind in Konflikte stürzen. Besser ist es, Ihr Kind zu einer Art Komplize zu machen: „Schatz, du weißt jetzt etwas, was nur wir Großen wissen, aber nicht jedes Kind. Du gehörst jetzt zu den großen Kindern. Mach den Kleinen ihren Glauben an den Osterhasen nicht kaputt.“ So bleibt es Ihrem Kind selbst überlassen, ob es seine Freundinnen und Freunde desillusionieren möchte oder ob es den heimlichen Moment des Herrschaftswissens genießen will. Beides ist okay.

Wenn ein anderes Kind Ihrem Kind verraten hat, dass es den Osterhasen nicht gibt, sollten sie besonnen reagieren. Es gehört zum Großwerden dazu, dass man Dinge infrage stellt und auch den Eltern nicht mehr alles glaubt.

Bevor Sie aber alles erzählen und quasi gestehen, fragen Sie Ihr Kind zuerst, was es gehört hat, was es weiß und was es glaubt. Hören Sie eher zu, anstatt sofort alles zu erzählen. So nähern Sie sich der Wahrheit schrittweise. Und das ist auch für Eltern manchmal ganz hilfreich, denn für uns Große kann es durchaus schwer sein, diesen Mythos, den wir über Jahre aufgebaut haben, von jetzt auf gleich zu verabschieden.