"Rebellen sterben nicht" - bei einer Gedenkveranstaltung in der Akademie der Künste erinnern sich Freunde und Wegbegleiter an die Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley: Einfach frei leben
BERLIN. Auf der Kinoleinwand ist Bärbel Bohley ganz lebendig. Es ist der Herbst 1989, sie sitzt auf ihrem Sofa und gibt ein Fernseh-Interview. Als sie den letzten Satz zu Ende gebracht hat, prustet sie los, sie lacht ihr ansteckendes Lachen und sagt: "Aus mir wird nicht so ein Medientyp, nee." Der ZDF-Journalist Christhard Läpple hat einen kleinen Film mit Aufnahmen aus dem Leben der Bürgerrechtlerin zusammengestellt, die am 11. September gestorben ist. Für einen Moment ist es so, als wäre sie noch da. Ihre Freunde, ihre Mitstreiter, ihre Angehörigen, die am Sonnabend in die Berliner Akademie der Künste gekommen sind, um ihrer zu gedenken, kennen sie genau so.Einige der Weggefährten erinnern an die Zeit mit ihr, an die Künstlerin und Rebellin, die so "viele Menschen in ihrem persönlichen und politischen Leben inspiriert und ermutigt hat", wie der Akademiepräsident Klaus Staeck es formuliert. Jeder lässt eine andere Facette Bärbel Bohleys aufscheinen. Ulrike Poppe hat sie als starke, feinfühlige Frau mit einer unbedingten Wahrhaftigkeit erlebt. Die Kunstwissenschaftlerin Hannelore Offner spricht über die Anfänge der begabten Malerin, die in der DDR nicht mehr ausstellen durfte, als sie politisch immer aufmüpfiger wurde, sie spricht über das Motiv der Engel mit den geknickten Flügeln in ihrem Werk und erzählt, wie sie Protestaktionen anstiftete. "Unsere Bedenken konnte Bärbel mit einem Lächeln hinwegfegen", sagt sie. Irena Kukutz von der Havemann-Gesellschaft blickt zurück auf die Siebzigerjahre, als sie im Prenzlauer Berg gegen den Verfall der Häuser vorgingen, die Behörden nervten und schließlich auf eigene Faust einen Hinterhof zum Spielplatz begrünten. "Bärbel hatte eine Badewanne, wir hatten ein Telefon", sagt Irena Kukutz - in der Mangelwirtschaft beste Voraussetzungen für eine wunderbare Freundschaft.Zwischen den Wortbeiträgen und Musikdarbietungen liest die Schauspielerin Katrin Sass Zitate Bärbel Bohleys aus ihrem letzten Lebensjahr. Sie offenbaren ihr unabhängiges Denken jenseits aller Muster. Auf eine Journalistenfrage, ob sie denn nun nach zwanzig Jahren im Westen angekommen sei, antwortet sie: "Darüber habe ich noch nie nachgedacht. Ich wollte in keinem System ankommen. Ich wollte einfach frei leben.""Wie wir mit Mut und Lust in Bärbels Küche die Veränderung der Welt geplant haben", berichtet Peter Grimm, Mitstreiter in der Initiative Frieden und Menschenrechte. Niemand habe wie sie eine so ansteckende Lust am Aufbegehren selbst in düsterster Zeit gelebt. Einmal habe sie im DDR-Innenministerium für Aufregung gesorgt. Als selbst Reisen nach Polen oder in die CSSR verboten waren und ihr eine Reise nach Prag versagt wurde, war sie morgens mit einem Picknickkorb im Ministerium angerückt. Sie gehe hier nicht weg ohne eine vernünftige Begründung, und da dies wohl dauern werde, sei sie vorbereitet. Sie fing dann an, vor den Genossen zu frühstücken.Jens Reich, ein Mitstreiter von 1989, sagt: "Sie war bei ihrem unglaublichen Arbeitspensum absolut heiter, von einer unbefangenen Leidenschaft und völlig angstfrei. Ich bewunderte ihre Gabe, Wahrheit blitzschnell und spontan in solche Aphorismen zu passen wie ,Wir wollten Gerechtigkeit und bekamen den Rechtsstaat'." Sie sei ein "großes Talent der Antipolitik" gewesen, spontan und chaotisch. Und sie begeisterte gerade damit die Menschen. Lilo Fuchs, die Witwe des 1999 an Krebs verstorbenen Dichters Jürgen Fuchs, fragt, warum ausgerechnet so viele DDR-Oppositionelle - Rudolf Bahro, Gerulf Pannach, ihr eigener Mann - so früh an Krebs starben. Sie wiederholt den Verdacht, sie könnten vom SED-Regime radioaktiv geschädigt worden sein. Sie alle waren in Stasi-Haft. Jürgen Fuchs hatte kurz vor seinem Tod vermutet, dieser sei möglicherweise menschengemacht. Er zitierte aus Stasi-Papieren von 1987, in denen die Hochwirksamkeit des Beibringens von radioaktiven Stoffen gepriesen wurde, die bei den Betroffenen die Krankheit schnell manifestierten, ohne gleich erkennbar zu sein und somit über ein "hohes Verschleierungspotenzial" verfügten. Vielen der Anwesenden geht dieser Gedanke durch den Kopf.Auch Freunde Bärbel Bohleys aus dem früheren Jugoslawien sind gekommen. Der Jesuitenpater Mirko Najdandzic aus Sarajewo erzählt, wie sie 1996 in die zerstörte Stadt kam und seine Armenküche besuchte. In ihrem ersten Hilfsprojekt sorgte sie für Dächer für die zerstörten Häuser. "Wer ein Dach über dem Kopf hat, hat auch wieder Mut zum Leben", das war ihr Motto. "Bärbel, für jedes dieser Dächer danken wir dir", sagt der Pater. Und Jovan Divijak von der Organisation "Bildung baut Bosnien-Herzegowina" berichtet, Bärbel Bohley werde in seiner Heimat nur Jeanne d'Arc genannt. "Wir haben von ihr gelernt: Der einzelne kann sehr viel bewirken."Dieser Gedanke bestimmt auch den sonntäglichen Trauergottesdienst in der Gethsemane-Kirche, zu der Hunderte Berliner kommen. Pfarrer Gisbert Mangliers spricht über die Bergpredigt und die Aufforderung, die Gerechtigkeit Gottes zu suchen. Bärbel Bohley habe dies einfach gelebt.Im Kondolenzbuch für sie steht ein tröstlicher Eintrag: "Rebellen sterben nicht, sie ruhen sich nur ganz kurz aus."------------------------------Foto: Ein Foto erinnert in der Berliner Gethsemanekirche an die Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley, die am 11. September gestorben ist.