Robert Harris erzählt in "Imperium" den Aufstieg Ciceros als politischen Spannungsroman: Der 11. September der römischen Republik

Marcus Tullius Cicero ist ein gerissener, mit allen Wassern gewaschener Anwalt und geborener Machtpolitiker", mit diesen Worten wirbt der Heyne-Verlag für seinen Roman "Imperium": "Er wittert seine Chance für eine rasante Karriere - und ahnt noch nicht, dass er damit über Aufstieg und Fall Roms entscheiden soll."Da hat wohl ein Verlag auch seine Chance für einen rasanten Verkauf gewittert - und beschlossen, das Buch, "ein topaktueller Roman im historischen Gewand", auch jenen Lesern schmackhaft zu machen, die Cicero bisher für eine Schrifttype gehalten haben. Sie könnten von dem Hinweis, hier werde eine komplexe historische Figur in ihrer Zeit geschildert, abgeschreckt werden. Diesen Lesern, natürlich aber auch anderen, ist der Roman sehr zu empfehlen. Denn sein Autor ist Robert Harris, seit "Vaterland" der Meister des historischen Spannungsromans.Zuletzt wandte sich Harris in "Pompeji" dem Vesuvausbruch 79 nach Christus zu und entwarf eine Kriminalgeschichte, die neueste historische, archäologische und vulkanische Erkenntnisse aufs Gewissenhafteste einbezog. Für "Imperium" ist Harris nochmals 150 Jahre zurückgegangen und hat noch weniger erfunden. Das Buch mag sich spannend lesen, ein "Thriller-Ereignis" (Heyne) mit einem Rätsel und einer Auflösung ist er nicht. Es ist eine romanhafte Biografie Ciceros, geschrieben aus der Perspektive seines Sklaven und engen Mitarbeiters Tiro. Das Buch schildert den Aufstieg des Juristen Marcus Tullius Cicero vom unbedeutenden Newcomer - lateinisch gesprochen: einem homo novus - aus der Provinz bis zu seinem großen politischen Triumph, der Wahl zum Konsul. Den hat sich Cicero mit seinem Prozess gegen Verres, den mörderischen und kunsträuberischen Statthalter auf Sizilien und mit seinem Aufdecken der Catilinarischen Verschwörung erworben. Harris hat versprochen, in zwei weiteren Bänden die Lebensgeschichte Ciceros zu Ende zu erzählen, bis zur Ermordung durch die Schergen des Marcus Antonius.Den Berichterstatter, Ciceros Sklaven Marcus Tullius Tiro, hat es wirklich gegeben, und er hat tatsächlich, wie im Roman berichtet, ein Kurzschriftsystem zur Aufzeichnung der Reden seines Herren entwickelt - im Englischen spricht man immer noch von tironic notes. Im Buch nutzt er es auch zur Spionage für seinen Herrn. Tiro hat auch wirklich eine (nicht erhaltene) Biografie Ciceros geschrieben, die allerdings etwas anders ausgefallen sein dürfte als Harris' Buch. Um historische Patina, um die Nachahmung lateinischer Rhetorik oder Syntax kümmert sich Harris nicht im geringsten, obwohl er nicht selten in freier Übertragung aus Ciceros Reden oder Briefen zitiert.Ansonsten ist dieses Buch sicherlich der historisch korrekteste unter Harris' Romanen. Das ist durchaus nicht mehr selbstverständlich in einer Zeit, in der die Unterhaltungsindustrie mit historischen Fakten Schlitten fährt - wenn etwa die Besucher von Ridley Scotts "Gladiator" glauben gemacht werden, Marcus Aurelius wäre von seinem Sohn Commodus ermordet worden und dieser in der Arena im Gladiatorenkampf getötet worden. Harris hingegen vertraut mit Recht darauf, dass die wahre Geschichte spannender ist.Harris verklärt Cicero nicht, ihn interessiert gerade der Wetterfahnenaspekt des Mannes im Geschäft der Politik mit ihren wechselnden Allianzen und ihren komplizierten Zugberechnungen. Nichts wird vereinfacht an der Verwobenheit der politischen, militärischen, juristischen Zusammenhänge und Intrigen, in denen Cicero sich bewegte, aber alles wird anschaulich dadurch, dass die Instrumente der Macht in ihrem Gebrauch gezeigt werden. Denn für Cicero gibt es immer etwas zu tun.Der Kampf gegen den einflussreichen Verres ist brandgefährlich, Cicero muss nach Sizilien reisen und dort sein Beweismaterial zusammenklauben. Catilina ist auch nicht von Pappe. Nur mit aufrechtem Heldentum geht da gar nichts, und Cicero ist gar kein aufrechter Held. Der moralische Aspekt interessiert ihn im Grunde nicht, das streicht Harris sehr schön heraus, wenn Cicero später bei einem ganz ähnlichen Gauner wie Verres die Verteidigung übernimmt, weil es ihm gerade politisch nützt.Aber das Thema ist größer als bloß die Biografie eines rhetorisch hochbegabten Machtmenschen, auch wenn der erste Band dies vorerst nur erahnen lässt. Es geht um nichts Geringeres als den Untergang der römischen Republik, die Usurpation der Macht durch das Kaisertum, ein schillernder, aber unaufhaltsamer Prozess. Christian Meier hat in seiner Caesar-Biografie eindringlich geschildert, wie sich das scheinbar ausgewogene politische System der Republik mit seinen Senatoren, Konsulen, Volkstribunen von innen heraus aushöhlte. Diese Vogelschau kann Harris' Buch nicht bieten, Tiro hat zwar die Weisheit der Rückschau - er wurde, das ist belegt, fast 100 Jahre alt - ein politischer Analytiker ist er nicht.Das übernimmt der Autor. In Interviews hat Robert Harris erklärt, er habe in der Schilderung des allmählichen Untergangs der Republik durchaus auf Analogien zur Gegenwart hinweisen wollen. Tatsächlich wird der Überfall von Mittelmeerpiraten auf Roms Hafen Ostia (67 v. Chr.) so inszeniert, dass kaum einem Leser die Parallele zum 11. September verborgen bleibt:"Als wir einige Tage später nach Rom zurückkehrten, kamen wir in eine nervöse, von Gerüchten brodelnde Stadt. Das Feuer von Ostia war in ganz Rom als rotes Leuchten am westlichen Nachthimmel deutlich sichtbar gewesen. Eine derartige Attacke auf die Hauptstadt war ohne Beispiel, und als Gabinius und Cornelius am zehnten Dezember ihr Volkstribunat antraten, hatten sie nichts Eiligeres zu tun, als die Nervosität zur Panik aufzustacheln." Der Feldherr Pompeius nutzt diese Gelegenheit, um sich eine militärische Sondervollmacht zu verschaffen (und zitiert dabei George W. Bush: "Wer nicht für uns ist, ist gegen uns"). Da das nicht ohne Schwierigkeiten durchzusetzen ist, braucht es eine raffinierte Inszenierung für das Volk - und das Drehbuch dafür schreibt (nicht ahnend, dass er damit den Untergang der Republik vorantreibt) Cicero selbst. Dieses Detail hat Harris erfunden, unmöglich ist es aber nicht, auch wenn Cicero später gegen Caesar so ausdrücklich am republikanischen Ideal festhielt. Gerade dieses Bewusstsein für moralische Grauwerte macht das Buch zu einem scharfsinnigen Kommentar auch heutiger Zeitläufte.------------------------------Foto: Robert Harris: Imperium. Aus dem Englischen von Wolfgang Müller. Heyne, München 2006. 480 S., 19,95 Euro.------------------------------Foto: Auf diesem Fresco von Vincenzo Foppa (um 1460) bereitet sich Jung-Cicero in aller Ruhe aufs politische Geschäft vor.