ROT-ROTES KABINETT - Die Regierung ist komplett. Linke bekennt sich zu kritischem Umgang mit der DDR-Vergangenheit. Die SPD-Führung will zweifelnde Parteimitglieder von der Koalition überzeugen.: Die Angst vor der Basis

POTSDAM. Die Situation ist etwas skurril: Die Landtagswahlen am 27. September hat die SPD dank Matthias Platzeck gegen den Bundestrend klar gewonnen. Im mit der Linken ausgehandelten Koalitionsvertrag finden sich weite Teile des SPD-Wahlprogramms wieder - das ohnehin viele Gemeinsamkeiten mit dem des künftigen Koalitionspartners aufweist. Und an heiklen Stellen - wie bei der Braunkohle und beim Stellenabbau - hat sich die Führungstruppe um Platzeck durchgesetzt. Noch nie wurde in einem Brandenburger Koalitionsvertrag so ausgiebig auf die Bedeutung der ostdeutschen Bürgerbewegung und der wiedergegründeten SPD eingegangen. Und doch: Noch nie hatte die SPD-Spitze eine so große Furcht vor dem Unmut der eigenen Basis.Selbst als der streng geheim gehaltene Koalitionsvertrag gestern längst in Umlauf war, gab es keinerlei offizielle Einordnung der Details. Auch die erst im Laufe des Tages bei der SPD komplettierte Kabinettliste wagte niemand zu bestätigten, bevor der Landesvorstand bei einer Enthaltung gestern Abend Rot-Rot absegnete. "Das gebietet die Achtung vor den Parteigremien", sagte Platzeck. Der Landesausschuss, ein sogenannter kleiner Parteitag, ist nicht abstimmungsberechtigt.Inhaltlich gibt es zwar von niemandem in der SPD ernsthafte Einwände gegen den mit der Linken ausgehandelten Regierungskurs. "Der Vertrag ist in Ordnung", sagte gestern Abend Landesausschussmitglied Wolfgang Ilte, Ortsvorsitzender in Hohen Neuendorf. "Aber nicht die Partei, mit der er ausgehandelt wurde. Mit der Linken verlieren wir die Mitte." Hinter verschlossenen Türen gehörte auch Dagmar Ziegler zu den Kritikern von Rot-Rot. Die bisherige Potsdamer Gesundheitsministerin ist gerade zur Vize-Fraktionschefin im Bundestag aufgestiegen. Zwar gilt eine Ablehnung des Vertrages durch den entscheidenden SPD-Parteitag am 4. November als undenkbar. Doch schon beim Besuch von örtlichen Parteiversammlungen schlägt den Genossen an der Spitze derzeit miese Stimmung entgegen. "Da wird nicht über Politik geredet sondern nur über die Vergangenheit", sagt einer. Bislang, so Generalsekretär Klaus Ness, hielten sich Ein- und Austritte aber die Waage. Im Oktober gab es sogar ein leichtes Plus: 25 SPD-Genossen haben ihre Partei verlassen, aber 39 sind neu eingetreten.Viele Gründungsmitglieder können ihre Abneigung gegen die SED-Nachfolger auch 20 Jahre nach dem Mauerfall nicht überwinden. Außerdem hat man sich in den zehn Regierungsjahren mit der CDU auch in Kreisen und Gemeinden mit rot-schwarzen Bündnissen eingerichtet. Für viele Sozialdemokraten kam die kurz nach den Landtagswahlen von Platzeck eingeleitete Neuorientierung einfach zu überraschend.Da hat es die Linke leichter. Schon seit Jahren haben die wechselnden Vorsitzenden bis hin zum jetzigen Parteichef Thomas Nord und der Spitzenkandidatin Kerstin Kaiser ihre Partei auf das Ziel vorbereitet, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Zuletzt teilten sogar 90 Prozent der Linken-Wähler diesen Anspruch. Deswegen wirkte Kaiser in den vergangenen Tagen auch deutlich entspannter als ihr Ko-Verhandlungsführer Platzeck. Sie musste sich gestern Abend vor ihrem Parteivorstand und Landesausschuss für Zugeständnisse an die SPD insbesondere bei der Braunkohle rechtfertigen. Nach heftiger Debatte einigte man sich, einen Beschluss erst in den kommenden Tagen nachzuholen - nach gründlicherer Lektüre des Vertrages. Die Linken-Spitze weiß, dass das ihr weitere Debatten um die Glaubwürdigkeit ihrer Partei bevorstehen. Aber sie hat ihrer Basis auch etwas anzubieten: Nach 20 Jahren in der Opposition kann sie erstmals mit gestalten.------------------------------"Keine Verklärung""Die ostdeutsche Friedensbewegung und die ostdeutschen Bürgerbewegungen sowie die Arbeit der 1989 wiedergegründeten, zuvor von der SED seit 1946 unterdrückten und verfolgten Sozialdemokratie haben zur positiven Entwicklung unseres Landes entscheidend beigetragen. Und erst die Volksbewegung des Herbstes 1989 in der DDR machte es möglich, dass aus der SED heraus der Aufbruch zu einer demokratischen Partei im Wettstreit mit anderen Parteien erfolgen konnte. Eine Verklärung der SED-Diktatur wird es mit dieser Koalition nicht geben."Aus der Präambel des Koalitionsvertrages zwischen SPD und Linke------------------------------Das KabinettFoto: Rainer Speer (SPD) wird Innenminister. Der gebürtige Berliner (50) ist zweifacher Vater, gelernter Betriebsschlosser, war in der DDR Offiziersschüler, Möbelrestaurator und Jugendclubchef. Er baute die Landes-SPD auf, gilt als der "Strippenzieher" im Hintergrund. Der Freund von Platzeck war seit 2004 Finanzminister.Foto: Helmuth Markov (Linke) wird Finanzminister. Der gebürtige Leipziger (57) ist dreifacher Vater und gelernter Buchhändler. Der Elektroingenieur studierte in Kiew, leitete zeitweilig eine Firma. Ab 1990 saß er im Landtag, ab 1999 im EU-Parlament (Schatzmeister der Fraktion). Er gilt als Haushalts- und Finanzexperte.Foto: Jutta Lieske (SPD) wird Sozialministerin. Die dreifache Mutter (48) ist studierte Medizinerin, Krippenpädagogin und Verwaltungsfachwirtin. Seit 1990 ist sie in der SPD und arbeitete bis 2004 als Bürgermeisterin oder Amtschefin in Letschin, seit 2004 im Landtag.Foto: Ralf Christoffers (Linke) wird Wirtschaftsminister. Der gebürtige Rostocker (53) ist fünffacher Vater, gelernter Schiffbauer, studierter Gesellschaftswissenschaftler an der SED-Parteihochschule. Er stand von 2001 bis 2005 der Landes-PDS vor, ist seit 1994 im Landtag und Haushaltsexperte.Foto: Martina Münch (SPD) wird Wissenschaftsministerin. Als gebürtige Heidelbergerin stammt sie als Einzige im Kabinett nicht aus dem Osten. Die siebenfache Mutter (47) ist studierte Ärztin für Neurologie, war ab 1998 Stadtverordnete in Cottbus und wurde 2004 und 2009 direkt in den Landtag gewählt.Foto: Volkmar Schöneburg (Linke) wird Justizminister. Der Potsdamer ist Anwalt (Vater war DDR-Staatsrechtler, Bruder ist Strafverteidiger). Der 51-Jährige war bislang kein Politiker, ist seit 2007 Brandenburger Verfassungsrichter und Vizepräsident des Judoverbandes.Foto: Günter Baaske (SPD) wird Infrastrukturminister. Der gebürtige Belziger (52) hat drei Kinder, war Gehörlosenlehrer, gründete vor Ort das Neue Forum mit, war Manager der Band "Keimzeit", Sozialdezernent im Kreis. Der Platzeck-Freund war erst Sozialminister, dann ab 2004 im Landtag SPD-Fraktionschef.Foto: Anita Tack (Linke) wird Umweltministerin. Die gebürtige Dresdnerin (58) hat zwei erwachsene Kinder. Die studierte Städtebauerin ist seit 1994 im Landtag, kritisierte als Verkehrsexpertin den Flughafenausbau in Schönefeld, saß auch im Umweltausschuss.Foto: Holger Rupprecht (SPD) bleibt Bildungsminister. Der gebürtige Mecklenburger (56) aus Gadebusch hat zwei Kinder, war Lehrer für Geografie, Leiter eines Gymnasiums und ist seit 2004 Minister. (bla.)------------------------------Foto: Schneller Abschluss: Nach zwei Wochen führten Matthias Platzeck (SPD) und Kerstin Kaiser (Linke) die Koalitionsverhandlungen zum Erfolg.