Rotterdams Bürgermeister Aboutaleb über Integration: "Wir erwarten, dass alle ihre Chance nutzen"
Ahmed Aboutaleb, 47, ist seit Januar Bürgermeister der holländischen Stadt Rotterdam. Der in Marokko geborene Sozialdemokrat ist der erste Migrant, der zum Rathauschef einer europäischen Großstadt aufstieg. Heute kommt er nach Berlin und informiert sich unter anderem an der Rütli-Schule in Neukölln.Herr Aboutaleb, hat Sie die internationale Aufmerksamkeit auf Ihre Berufung überrascht?Ich hatte wohl erwartet, dass meine Berufung viel Staub aufwirbelt. Ich bin immerhin der erste Bürgermeister einer niederländischen und europäischen Großstadt, der in Marokko geboren ist und überdies Muslim. Aber ich erwarte, dass ich binnen nicht allzu langer Zeit nicht allein bleiben werde. Nicht in Holland und nicht in Europa. Die Zahl der - wie Sie sagen - Menschen mit Migrationshintergrund in wichtigen Funktionen in Firmen, Parteien und Verbänden liegt zwar noch hinter der Zahl der Autochtonen. Aber sie steigt. In Rotterdam sehen wir, dass viele neue Niederländer ein Studium aufnehmen. Ich hoffe, dass es diesen Studierenden gelingt, ihre Träume zu verwirklichen und ich in ein paar Jahren keine Besonderheit mehr bin.Welche Vorbildrolle kann ein Politiker wie Sie einnehmen?Ich bin durch meine Berufung als Bürgermeister für viele neue Niederländer eine Art Role Model geworden. Ich betone meine Biografie gerne bei öffentlichen Auftritten in Schulen und Unternehmen - auch um zu verdeutlichen, wie wichtig es ist, die neue Sprache gut zu lernen, ebenso wie die Geschichte und Kultur des Landes, in dem man lebt und seine Schulabschlüsse machen will.Sie betonen stets die Bedeutung der Bildung. Warum?Schulerfolg ist die Voraussetzung für einen erfolgreichen Lebensweg. Für eine Stadt ist es wichtig, dass möglichst viele Jugendliche die Schule erfolgreich abschließen. Das verringert die Chance, dass sie in die Kriminalität abrutschen.Rotterdam hat eine eigene Stadtbürgerschaft für die alten und die neuen Einwohner initiiert. Was bedeutet dieses Modell "Wir sind Rotterdam"?Rotterdam gewährt mit der Stadtbürgerschaft bewusst Freiheiten, setzt aber auch Grenzen. Wir wollen, dass jeder mitmacht. Die Stadt bietet dafür die Möglichkeiten. Wir erwarten aber auch, dass neue Rotterdamer die gebotenen Chancen nutzen und eine aktive Haltung annehmen, etwa wenn es darum geht, die neue Sprache zu lernen oder sich an das Leben ihrer neuen Stadt anzupassen.Woran sollen sich die Leute anpassen? Oder anders gefragt: Was ist das verbindende Element aller Rotterdamer? Und wie kann eine Stadt dieses integrierende Leitmotiv fördern?Die leitende Idee für Rotterdam ist Stolz auf die Stadt, Stolz auf die Vielfalt. Dabei sehen wir Vielfalt nicht als Problem, sondern als Kraft für die soziale, wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung unser Stadt.Und darüber hinaus?Vertrauen. Die Menschen in Rotterdam vollbringen einen gewaltigen Brückenschlag. Aber die Verwaltung muss diesen Brückenschlag auch fördern. Das ist keine softe Politik. Arbeiten am Vertrauen braucht auch in Rotterdam eine stetige Debatte über die Grundlagen unseres demokratischen Rechtsstaates: Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit, Gleichheit von Mann und Frau, Homosexuellen und Heterosexuellen und Kampf gegen Diskriminierung. Vertrauen ist das bindende Element von sozialer Kohäsion, also von Zusammenhalt, aber auch das Schmieröl für unsere Ökonomie.Das Gespräch führte Peter Riesbeck.------------------------------Foto: A. Aboutaleb, Rotterdams Bürgermeister