Rücksicht: Wir haben uns viel vorgenommen

Stadtentwicklungssenator Michael Müller plant höhere Ausgaben für den Radverkehr. Er ärgert sich über Gehwegradler und Bierbikes

Sie werden immer mehr. Radfahrer gehören wie früher wieder zum Berliner Straßenbild. Das geht allerdings nicht immer ohne Konflikte ab. Fahrradfahrer kritisieren, dass der Senat nicht genug Geld für neue Wege und Fahrspuren ausgibt. Michael Müller (SPD), Berlins Senator für Stadtentwicklung und Umwelt, will zwischen den Verkehrsteilnehmern vermitteln. Doch an seinem Ziel hält er fest: Er will, dass in Berlin noch mehr Rad gefahren wird.

Herr Müller, wann waren sie zuletzt mit dem Fahrrad unterwegs?
Wegen des Winterwetters ist das schon etwas länger her. Ich bin ab und zu mit meiner Familie auf dem Tempelhofer Feld unterwegs. Im November sind wir mit dem Rad am Südkreuz, dem neuen Grünzug zwischen Schöneberg und Neukölln, über die Bahngleise hinweg auf einer neuen Brücke zur Schöneberger Insel gefahren. Ich hatte den Weg kurz zuvor mit Vertretern des Bezirkes eröffnet und war auf diese neue Verbindung neugierig.

Und? Empfehlenswert?
Ja, auf jeden Fall. Eine schnelle Verbindung, und man ist nicht im Autoverkehr. Der Weg führt durch Viertel, die man als Autofahrer normalerweise nicht so wahrnimmt.

Würden Sie anderen empfehlen, in Berlin Fahrrad zu fahren?
Ja klar! Gerade für die vielen kurzen Wege, die man am Tag so zurücklegt, bietet sich das an. Man kann in Berlin gut und sicher Rad fahren.

Viele Radfahrer sagen allerdings, dass Berlin vom Prädikat „Fahrradstadt“ noch weit entfernt sei.
Wir sind in den letzten Jahren vorangekommen, aber es ist auch noch einiges zu tun. Wir haben uns viel vorgenommen. Weitere Fahrradstreifen werden auf den Fahrbahnen markiert, um Radfahrer zu gleichberechtigten Verkehrsteilnehmern zu machen. Die Parksituation muss verbessert werden, vor allem an Bahnhöfen. Und wir bemühen uns darum, dass in Berlin ein Fahrradparkhaus gebaut wird.

Für neue Wege und Radverkehrsanlagen stehen in Berlin in diesem Jahr 3,5 Millionen Euro zur Verfügung, für die Sanierung bestehender Radwege sind zwei Millionen Euro eingeplant. Reicht das aus für eine der größten Städte Europas?
Wir streben an, den Betrag, den wir pro Jahr und Einwohner für Radverkehrsanlagen ausgeben, von derzeit rund zwei Euro in den nächsten Jahren schrittweise auf fünf Euro zu erhöhen. So, wie es auf nationaler Ebene vorgesehen ist. Aber das ist ein harter Verteilungskampf.

Werden Sie bei den in diesem Jahr anstehenden Haushaltsberatungen des Senats mehr Geld für den Fahrradverkehr beantragen?
Ja. Für 2013 stehen uns für den Bau neuer Radverkehrsanlagen, für die Sanierung bestehender Radwege und für das Leihfahrradsystem StadtRad 6,5 Millionen Euro zur Verfügung. Für 2014/2015 wollen wir 7,5 Millionen Euro pro Jahr beantragen – jeweils 0,5 Millionen mehr für Neubau und Sanierung.

Bis wann wollen Sie die Ausgaben pro Jahr und Berliner Einwohner auf fünf Euro erhöht haben?
Schrittweise in den nächsten zwei bis drei Haushaltsberatungen. Wichtig ist aber auch, dass das Geld, das zur Verfügung steht, auch verbaut wird.

Das hieße: Wenn Sie tatsächlich fünf Euro pro Jahr und Berliner zur Verfügung hätten, könnten Sie das Geld nicht ausgeben, weil die Bezirksverwaltungen nicht genug Personal haben?
Entsprechende Kapazitäten für die Umsetzung gehören dazu. Von heute auf morgen geht das nicht, auch darum sollen die Ausgaben schrittweise erhöht werden.

Radfahrer haben allerdings nicht nur Freunde.
In der Tat. Gerade ältere Menschen sehen Radfahrer, die mit hoher Geschwindigkeit über Gehwege fahren, als Risiko. Manch einer fühlt sich dadurch belästigt und gefährdet. Das kann ich verstehen und nachvollziehen. Deshalb gibt es ja unsere Kampagne für mehr Rücksicht im Straßenverkehr: Jeder muss auf jeden achten. Jeder ist auch mal zu Fuß unterwegs, auch Radfahrer laufen gelegentlich. Wir sind alle Bürger dieser Stadt. Wie wir zusammenleben, ist unser aller Thema und unsere Aufgabe.

Sind die Berliner Radfahrer Rüpelradler?
Nein, das glaube ich nicht, und ich teile solche Pauschalurteile nicht. Ich habe mich schon im vergangenen Jahr dagegen gewehrt, als Bundesverkehrsminister Ramsauer diese Begriffe benutzte. Es gibt immer schwarze Schafe, auch bei den Auto- und Motorradfahrern. Aber die meisten Verkehrsteilnehmer verhalten sich richtig und rücksichtsvoll. Manchmal wundere ich mich allerdings darüber, dass einige Radfahrer nicht die einfachsten Verkehrsregeln zu kennen scheinen – zum Beispiel rechts vor links auf gleichrangigen Straßen.

Immer mehr ausländische Touristen bewegen sich in Gruppen auf zwei Rädern durch Berlin, meist ziemlich unbeholfen und wackelig. Ist das ein Problem?
Nein, so etwas muss der Hauptstadtverkehr verkraften können, das gehört dazu. Natürlich führt das auch mal zu Unmut, zum Beispiel wenn solche Gruppen auf einer Busspur unterwegs sind. Aber wir freuen uns über die Menschen, die in unsere Stadt kommen und sich nicht mit dem Auto bewegen, sondern Berlin anders erleben wollen. Außer, wenn sie auf einem Bierbike unterwegs sind und grölend unsere Straßen blockieren. Das empfinde nicht nur ich als Belästigung, und darum wollen wir restriktiver als bisher damit umgehen.

Radfahrer entgegnen, dass sie von den Autofahrern ignoriert, übersehen, schlecht behandelt werden.
Das liegt nicht selten an der baulichen Situation. Darum ist es so wichtig, dass wir weiter daran arbeiten, mehr Fahrradstreifen auf den Fahrbahnen anzulegen. Damit die Radfahrer zu gleichberechtigten Verkehrsteilnehmern werden, die von den Autofahrern besser gesehen werden als auf Radwegen, die auf Gehwegen verlaufen. Auf klassischen Radwegen ist es oft so beengt, dass Radfahrer keine Chance haben auszuweichen, wenn plötzlich eine Autotür aufgeht.

Was meinen Sie, wird Berlin einmal eine Fahrradstadt wie Amsterdam oder Kopenhagen werden?
Die sind deutlich weiter als wir. In Kopenhagen werden jetzt schon rund 30 Prozent aller innerstädtischen Wege mit dem Fahrrad zurückgelegt. In Berlin sind es derzeit knapp 15, wir streben 20, perspektivisch 25 Prozent an. Der Radverkehr wird auch bei uns immer wichtiger.