"Satiesfactionen": Jürgen Flimms Satie-Abend in der Staatsoper: Der Baron mit dem Affen

Was hat Jürgen Flimm wohl dazu bewogen, ein Stück von Eric Satie zu inszenieren? Nun, der Staatsopern-Intendant sieht in dem französischen Eigenbrötler wohl einen Wahlverwandten, und das in bestimmter Hinsicht nicht ohne Recht. Von der Berliner Kulturpolitik erhielt Flimm schier unerfüllbare Vorgaben: einen herrschaftlich selbstbezogenen Generalmusikdirektor samt ebensolcher Staatskapelle konziliant ins Haus einbinden, das Stammpublikum und die Touristen weg von dem vertrauten Neobarock Unter den Linden in den neusachlichen Berliner Westen locken, dabei die finanziell leidende Deutsche Oper nebenan bitte nicht allzu deutlich überflügeln und natürlich: große Kunst für wenig Geld machen. Das so geschlossene wie unmögliche System "Oper in Berlin" scheint Flimm durch seine schelmische, bauernschlaue Interaktion mit diesem System für Momente aufzubohren. Nicht ohne Grund: Flimm bewegt sich in einem Umfeld, welches den knallharten Kulturmanager aufgrund seines Alters und seiner saloppen Art notorisch unterschätzt.Satie seinerseits verhielt sich so schelmisch wie intelligent zum System "bürgerliche Kunstmusik", die sich um 1900 durch maximale Verfeinerung ihrer Stile und Techniken selbst unentrinnbar eingeschnürt hatte. Mit seinen betont einfältigen Klavierstücken oder falsch gesetzten Chorälen ließ er sich gerne als Komponist und Künstler unterschätzen, doch die provokante Einfalt seiner Werke war in Wahrheit eine dialektische Brechung der komplexen Kunsttradition. Und das Komplexe ist in Saties Werken durchaus noch enthalten, es kommt im Gewand des Absurden durch die Hintertür herein. Wer hätte zum Beispiel die Antwort auf die Frage dieses orchesterlosen Staatsopern-Abends: "Wissen Sie, wie man Töne reinigt?"Dieses Satie-Zitat zum Titel zu erheben, führt allerdings den Zuschauer auf eine falsche Fährte und zu der Annahme, dass es sich hier dem Gehalt nach tatsächlich um einen "bunten Abend" handelt. Dabei ist bereits der Rahmen so klar wie komplex gesetzt: Es wird das absurde Theaterstück "Die Falle der Medusa" des Universalkünstlers Satie von 1913 gespielt. Da ist der reiche Baron Qualle. Der lässt sich von seinem Diener tyrannisieren. Außerdem besitzt er einen Affen und will seinen künftigen Schwiegersohn verführen.Mit Jan Josef Liefers als Qualle, Klaus Schreiber als Schwiegersohn Astolfo sowie Stefan Kurt als Tochter Frisette und Diener Polycarpe gleichzeitig hat Jürgen Flimm drei hochkarätige Schauspieler aus seiner Thalia-Zeit in Hamburg gewonnen, die mit ihrem engagierten Spiel durchaus überzeugen. Aus dem Theaterstück eine Physiognomie des Künstlers und Menschen Satie hervorzuholen, indem man es mit Satie-Musik und Satie-Textfragmenten anreichert, dieser Ehrgeiz ist jedoch nur teilweise von Erfolg gekrönt. In den besten Momenten kann tatsächlich Saties Kunst der insistierenden Sinnlosigkeit durch Musik stärker erfahrbar werden als durch das Stück allein: etwa, wenn die Schauspieler gemeinsam mit dem musikalischen Leiter Arno Waschk das Thema aus Saties eigentlich 19-stündigem Klavierstück "Vexations" ("Peinigungen") auf Xylophonen mit angemessener Penetranz wiederholen oder die berühmte erste Gymnopédie in immer neuer Anordnung auf Wassergläsern spielen. Jürgen Flimm als Regisseur allerdings lässt die Schauspieler auf die absurde Handlung und die musikalischen Anreicherungen noch einen surrealistischen Darstellungsstil setzen. Dieser Stil amüsiert die Zuschauer zwar punktuell, enthebt sie jedoch unberechtigterweise jeder Verantwortung, auch etwas zu verstehen.Saties Präzision im Absurden wird ersetzt durch Flimms Saloppheit im diskursiven Umgang mit diesem Absurden. Das ist lustig, aber nicht der beste Dienst, den man dem rätselhaften Kunstalchimisten Eric Satie erweisen kann.------------------------------Foto: Jan Josef Liefers als reicher Baron Qualle, der sich von seinem Diener tyrannisieren lässt. Jürgen Flimm inszenierte das Stück "Wissen Sie, wie man Töne reinigt?" in der Staatsoper.