Schweden-Hype (2): Der Saxofonist Mats Gustafsson versöhnt Punkrock und Free Jazz: Großer böser Blasewolf
Der große böse Wolf ist wieder da. Er arbeitet jetzt als Baritonsaxofonist. Aus seinen blutgeröteten Backen bläst er den kräftigsten Nordwind, den je ein Baritonsaxofon aushalten musste; nicht nur kleine Schweinchen bekommen es mit der Angst, wenn der böse Wolf für sie bläst. Sein Baritonsaxofon hat er sich in einer ehernen Esse schmieden lassen, von dienstbaren Zwergen mit riesigen Bärten; es ist breit wie ein Ofenrohr, aus daumendickem Titan ausgeformt; und dennoch beult es sich und glüht und beginnt zu dampfen, wenn der große böse Wolf darauf zu spielen beginnt.Der große böse Saxofonwolf heißt Mats Gustafsson, er ist 40 Jahre alt und kommt aus Schweden. Seine Karriere als Musiker begann er im Alter von 15 Jahren als flötespielender Punkrocker. Weil man Flötenspiel im Punkrock allerdings leicht überhört, rammte er kurzerhand ein Saxofonmundstück in sein Instrument - in dem neu erschaffenen "Fluteophon" war die Öffnung endlich groß genug für den Sturm aus Gustafssons Lunge: ein infernalischer Lärm, den man als Free Jazz begreifen konnte oder als Punkrock. Oder eben einfach auch nur als Lärm.Lange Zeit hat der böse Wolf große Mühe gehabt, richtige Freundschaften zu schließen. Immer hat er den Lärm als Lärm darbieten wollen, aber für den Rest der Welt war Lärm eben noch lange nicht Lärm. Zwar waren der Free Jazz und der Punkrock, die er beide verehrte, in wesentlichen Aspekten miteinander verschwistert: in der Freude am Krach, im Niederringen des Hörers und dem Willen zur Selbstverschwendung. Doch hielt das beiderlei Anhänger nicht davon ab, sich feindlich gegenüberzutreten: Als der Punkrock Ende der Siebzigerjahre zum bevorzugten musikalischen Rebellionsmedium wurde, war der ganze Jazz gerade zum Medium allzu kluger Cordhosenträger verkommen; das Saxofon als bevorzugtes Improvisationsinstrument galt unter jungen Pop- und Punk-Hörern sachangemessen als unausstehlich überaltert, verstaubt und verschmockt.So blieb der Punksaxofonwolf die ganzen Achtzigerjahre hindurch ein ziemlich einsamer Wolf; zwar spielte er in diversen schwedischen Free-Jazz-Projekten, doch blieben seine Wirkungskraft und sein Ruhm auf deren marginale Szene begrenzt. Das änderte sich erst, als er nach Amerika kam - in die wundersamerweise alles mit allem vermischende Musikwelt Chicagos, in der Rock'n'Roller, Jazz-Saxofonisten und Laptop-Frickler sich dutzendweise zu gemeinsamen Projekten einfanden. Hier lernte der Wolf Wölfe kennen, die ihn verstanden: mit dem Schlagzeuger Hamid Drake und dem Saxofonisten Ken Vandermark drosch er energische Sun-Ra-Adaptionen zusammen; mit Jim O'Rourke und der Band Sonic Youth spielte er ein lautes Improvisationsprojekt ein: In "Hidros 3", im letzten Herbst auch auf LP erschienen, streiten sich Sonic Youths subsonisches Bassfeedbackbrummen und Gustafssons keuchender Saxofonlärm forsch um den kieferknochenerschütterndsten Sound.Der Wolf hätte zufrieden sein können. Doch er wollte weiter. Den meisten Erben des Rock, die sich in Chicago zum Jazz-Spielen trafen, ging es letztlich ja um den Abschied vom Rock, um seine Emanzipation durch Entsinnlichung und Abstraktion; nicht umsonst wurde "Postrock" zum Sammelbegriff dieser Schule. Gustafsson aber liebte den Lärm zu sehr, um sich mit Entsinnlichung zu begnügen: Aus dem Anything Goes der Abstraktion spielte er sich stattdessen wieder zu den rigiden Schemata des Drei-Akkord-Riffs zurück. Mit dem schwedischen Trio The Thing, dessen neue LP "Garage" in dieser Woche erschienen ist, hat er eine Art Punk-Variante des Jazzrock entworfen; so werden auf "Garage" einige der beliebtesten Neopunkriffs der vergangenen Jahre mit Jazz-Mitteln neu interpretiert.Zum Beispiel "Art Star" von den Yeah Yeah Yeahs: was als ruckartig schwingende Bebop-Melodie beginnt, etwas unheimlich unterdräut, aber noch im harmonischen Einklang von Saxofon, Schlagzeug und Bass - um nach wenigen Sekunden im Refrain regelrecht zu explodieren. Oder "Aluminium" nach dem gleichnamigen Stück der White Stripes: wo der Hörer mit langen zitternden Saxofonlinien erst White-Stripes-haft in erotisch-unruhiger Ruhe verharrt - bis Gustafssons Kompagnon Paal Nilssen-Love so erbarmungslos und kalkuliert neben dem Beat auf sein Schlagzeug zu dreschen beginnt, als müsse er Trommeln und Snares am Weglaufen hindern.So ist es durchweg. Alles ist ungeheuer einfach und doch auch wieder nicht; Rohheit und Komplexität schließen sich in dieser Musik nicht mehr aus. Ingebrigt Håker Flaten erzeugt auf seinem Doppelbass ein Gewitter, das immer wieder in einzelne Töne zerfällt und sich immer wieder zu reinen Lärmflächen verdickt; Nilssen-Love rührt in einem unfassbaren Tempo in seinem Schlagzeug herum, klopft in Millisekundenintervallen aus den entlegensten Stellen noch ein Synköpchen heraus - und hält doch immer den elementaren Vierviertel-Takt, den Gustafsson für seine Interpretationen braucht.Für die erblühende skandinavische Improvisationsszene könnte dieses Trio werden, was Tortoise für die amerikanische war - nur spannungsvoller, lauter und dringlicher. Wo der Chicagoer Postrock auf Sublimation setzte, setzen The Thing auf Körperlichkeit, Kraft und Intensität, auf geschwollene Halsmuskeladern, rot angelaufene Gesichter und im rotesten Rot leuchtende Mischpultdisplays. Drei brutale Drei-Akkord-Wölfe erobern die Welt: Von Tieren wie diesen lassen wir uns gerne durchblasen.The Thing: Garage / Mats Gustafsson with Sonic Youth & Friends: Hidros 3 (beide: Smalltown Supersound)------------------------------Foto: Guckt in diesem Fall noch ganz freundlich: Mats Gustafsson.