Sicherheitsexperte Jan Techau im Interview: „Europa braucht die USA als Schutzmacht“
Herr Techau, ist im Umfeld der Krim-Krise ein Durchbruch bei der atomaren Abrüstung zu erwarten?
Ich rechne nicht mit massiven Fortschritten. Die Abrüstungsgespräche zwischen Russland und den USA waren schon vorher schwierig. Das Plädoyer von US-Präsident Obama in seiner Prager Rede 2009 hat keine besondere Dynamik entwickelt.
Nordkorea vertraut auf Atomwaffen als Sicherheitsgarantie. Die Ukraine hat sie 1994 abgegeben. Kernwaffenverzicht wird nicht honoriert?
Wenn man auf die Zusage der USA, Großbritanniens und Russlands schaut, die Souveränität des Landes zu achten, zeigt das Beispiel Ukraine, dass sich nukleare Abrüstung nicht lohnt. Ein förderlicher Anreiz sind die Vorgänge auf der Krim also nicht. Die Länder, die in der Lage wären, eigene Atomwaffen zu bauen, werden diese Entwicklung genau beobachten. Wenn die Atommächte die territoriale Integrität anderer Staaten nicht schützen, verliert die Abrüstung von Kernwaffen sicherlich an Attraktivität.
Nun tagt in Haag auch erstmals die G7 ohne Russland. Was können Sanktionen in einem Konflikt generell bewirken?
Im kurzfristigen Krisenmanagement eher wenig, langfristig strategisch schon mehr. Das generelle Problem ist: Sanktionen müssen auf eine Verhaltensänderung zielen. Hat der Sanktionierte das Gefühl, die Restriktionen zielen auf einen Machtwechsel, dann wird sich seine Haltung eher noch bestärken.
Der EU-Gipfel hat jetzt die Sanktionen leicht verschärft…
Aber immer noch nicht die letzte Stufe eines Handelsembargos beschlossen. Da ist also noch Spielraum. Das Problem ist nur: Putin hat ein anderes Kosten-Nutzen-Kalkül als die EU. Putin denkt in Machtkategorien, die EU aber zielt auf wirtschaftliche Schwächung. Die wirtschaftliche Entwicklung Russlands ist für Putin – zumindest derzeit – aber eher nachrangig.
US-Präsident Obama reist weiter nach Brüssel zum EU-USA-Gipfel am Mittwoch. Wie wird sich die Krim-Krise auf das transatlantische Verhältnis ausüben? Die USA hatten zuletzt strategisch Richtung Pazifik geblickt.
Für meine Begriffe war das eher eine Ankündigungsrhetorik. Richtig ist, die USA haben die strategische Aufgabe in Europa als erledigt betrachtet. Das wird sich nun ändern. Die Ukraine-Krise zeigt: Europa braucht die USA als Schutzmacht und die USA braucht Europa als strategisches Hinterland.
Die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU verlaufen schleppend. Bringt die Ukraine-Krise die beiden näher?
Was sich in der konkreten Krise beobachten lässt, zeigt, dass andere Streitthemen wie die NSA-Affäre in die zweite Reihe rücken. Ich kann mir auch vorstellen, dass die Freihandelsgespräche an Fahrt aufnehmen. Ein wichtiges Thema ist zum Beispiel die europäische Energieabhängigkeit von Russland. Es gibt mit Blick auf das US-Schiefergas Überlegungen, das Thema Energie im Rahmen der Freihandelsverhandlungen separat zu behandeln. Die Ukraine-Krise lässt die USA und die EU wieder näher zusammenrücken.
Das Interview führte Peter Riesbeck.