Sie wollten eine Bank ausrauben. Mehr als ein Jahr lang buddelten sie deshalb einen Tunnel. Dann gelang ihnen ein richtiger Coup KRIMINELLES AUS BERLIN SERIE TEIL 16: Die Schatzgräber

Ob man als Kommissar den Verbrechern gegenüber so etwas wie eine Erwartungshaltung entwickelt? Und manchmal hofft, sie mögen einen ganz tollkühnen Coup wagen? Schließlich sind die Fälle, die man zu lösen hat, immer nur so groß wie der Einfallsreichtum und die Dreistigkeit der Gangster sie werden lassen. Detlev Büttner würde das mit der Erwartungshaltung gewiss abstreiten. Würde lieber darauf verweisen, dass von Bank- und ähnlichen Überfällen generell abzuraten sei, "weil wir die Täter früher oder später doch kriegen". Was anderes darf sich ein Dezernatsleiter des Landeskriminalamtes wahrscheinlich nicht erlauben. Andererseits: Hätte es nicht diese vier Männer gegeben, die an einem Junimorgen 1995 eine Bank in Zehlendorf überfielen, 16 Menschen 17 Stunden lang als Geiseln hielten und mit - nach Schätzungen der Staatsanwaltschaft - mindestens 16,3 Millionen Mark Beute durch einen selbst gegrabenen, 170 Meter langen Tunnel flohen - Detlev Büttner wäre um seinen wichtigsten Fall gekommen.Die Aufklärung des Tunnelraubs war sein größter Erfolg. Weil das Verbrechen so spektakulär war, aber vor allem, "weil wir allein auf Grund eigener Ermittlungen auf die Täter gekommen sind, sagt Büttner. Seine 62-köpfige Soko Coba (Coba stand für Commerzbank) hatte nichts in der Hand - außer den Fehlern, die die Bankräuber gemacht hatten, gemacht haben mussten. "Wir wussten, bei einem so großen Coup gibt es Schwachpunkte", sagt Büttner.Am 27. Juni, einem Dienstag, betreten um 10.25 Uhr vier bewaffnete Männer die Commerzbank an der Breisgauer Straße im feinen Zehlendorf. Sie tragen Overalls, Wollmasken, Basecaps und Handschuhe, sie befehlen Bankkunden und Angestellten, sich hinzulegen und fesseln sie mit Handschellen. Sie lassen die Jalousien herunter, entfernen die Kassetten der Überwachungskameras, legen Handgranaten vor die Tür. Eine Frau wird mit einem Brief nach draußen geschickt, wo die Polizei schon wenige Minuten nach dem Überfall Stellung bezogen hat. "Ein Menschenleben bedeutet uns gar nichts" steht in dem Brief, "Vorderungen" werden aufgezählt: Verlangt werden 17 Millionen Mark bis 17 Uhr, ein Auto und freie Strecke für die Flucht.Drinnen wird der Filialleiter gezwungen, die Tresortür zu den Schließfächern im Keller zu öffnen. 207 der etwa 400 Fächer werden sie in den folgenden Stunden aufbrechen, die Polizei wird den Wert des gestohlenen Inhalts später auf zehn Millionen Mark schätzen. Die Geiseln hören das Hämmern der Werkzeuge, stundenlang. Sie wissen nicht, dass im Untergeschoss noch zwei Männer arbeiten, die von unten in die Bank gekommen sind. Ein Bankkunde muss sich ins Fenster der Bank setzen, der Polizei draußen wird mitgeteilt, man werde ihm ins Bein schießen, wenn das Geld nicht kommt. Das Geld kommt, in blauen Mülltüten. Darin sind 5,6 Millionen Mark, gefordert waren aber 17 Millionen. Mehr Telefonate, mehr Verhandlungen. Gegen Mitternacht verschwinden die sechs Männer durch den Tunnel. Um 3.43 Uhr stürmen Polizisten die Bank. Und entdecken den Tunnel.Der Tunnel. Wegen ihm wird die Beschreibung des Überfalls durch die Staatsanwaltschaft bei der Gerichtsverhandlung ein paar Monate später fast bewundernd klingen: Bei der Tat habe es sich um eine "originelle Kombination" aus Einbruch und Geiselnahme gehandelt, steht in der Akte, bei dem Tunnel selbst handele es sich um eine "handwerkliche Meisterleistung": Die schmale Röhre ist durch Holzbohlen stabil gemacht, es gibt Ventilatoren, Strom, Lampen. Über ein Jahr lang hat die Bande an dem Tunnel gear-beitet. Das aber werden die Beamten erst später erfahren, bei der Vernehmung der Bankräuber. Am Tag nach dem Überfall ist der Tunnel zunächst einmal der wichtigste Anhaltspunkt für Detlev Büttner und seine Sonderkommission. Weil das Rohr in einer Garage auf einer Brache an der nahe gelegenen Matterhornstraße endet. Und weil es einen Mieter dieser Garage geben muss. Der heißt Yusuf Gül* und erzählt den Beamten, er habe die Garage an einen Mann weitervermietet, über den er nichts wisse. Die Soko-Beamten glauben ihm nicht. Im Melderegister stoßen sie auf Güls älteren Bruder Abdullah*, arbeitsloser Röntgenassistent, vorbestraft. Und auf Recep*, einen weiteren Bruder. Büttner lässt die Brüder beobachten. Er hofft, dass sie dorthin gehen, wo die Millionen versteckt sind. Das tun sie zwar nicht. Aber sie sprechen am Telefon davon, dass sie Berlin verlassen wollen. Die Beamten erfahren, dass zwei der Brüder am 20. Juli nach Syrien fliegen wollen. An diesem Tag schlägt die Soko Coba zu. Außer den Brüdern wird Ferhat Sayan* festgenommen, der als Autolackierer in der Garage gearbeitet hat. Bei der Vernehmung gesteht er den Bankraub und er sagt, dass da noch ein Deutscher gewesen sei. Wenige Stunden später klingeln die Polizisten an der Wohnung von Matthias Glump*, 23, Einzelhandels-Kaufmann, arbeitslos.Drei Wochen nach der Tat sitzen schon fünf Leute in Untersuchungshaft. Drei von ihnen legen Geständnisse ab. Im August stellt sich der Libanese Sami Issa*, ein weiterer Drahtzieher, auf dem Frankfurter Flughafen der Polizei. Langsam setzt sich aus den Aussagen eine Geschichte zusammen. Die Idee zu dem Raub hatten Sami Issa und Abdullah Gül. Der Polizistensohn Matthias Glump kam im März 1994 dazu, da war der Tunnel schon im Bau. Wahrscheinlich wurde er mit ins Boot geholt, weil er die Verhandlungen mit der Polizei führen sollte, in fließendem Deutsch. Als Glump zum ersten Mal in der Garage an der Matterhornstraße steht, weiß er nur von einem Job auf einer Baustelle, den ihm sein Bekannter Mahmud Issa*, der 20-jährige Bruder von Sami, versprochen hat. Dann zieht jemand den Teppich weg, hebt die Holzbohlen hoch. Glump steht vor dem Einstieg zu einem Tunnel. Drei Meter geht es hinunter, dann beginnt ein waagerechter Stollen. Nach 50 Metern endet der Tunnel in einem Regenwasserrohr, das die Bande zufällig entdeckt hat, und das ihr nun etwa 100 Meter Wühlarbeit erspart. Es fehlt noch das letzte Stück, die Verbindung vom Rohr zur Bank. Dafür brauchen sie vier Monate - mehr als ein Meter pro Tag ist nicht zu schaffen. Zwei buddeln, einer füllt den Sand in Säcke, einer zieht die Säcke auf Skateboards durch das 60 Zentimeter schmale Regenrohr und den zweiten, nur wenig breiteren Tunnel. Die Säcke fahren sie mit dem Auto zu Baustellen. Anfang Juni treiben sie ein schmales Rohr durch die Decke des Tunnels. Es bricht direkt vor der Bank durch die Pflastersteine. Sie haben es geschafft. Der Tag für den Einbruch wird festgelegt: gut zwei Wochen später.All das erfahren die die Mitar- beiter der Soko Coba von den Inhaftierten. Aber wo ist das Geld, wo sind die Wertsachen? Das verrät keiner. Dann noch eine Festnahme: In Beirut. Mahmoud Ossa*. Er nennt bei der Vernehmung einen "Geldverwalter", der einen Teil der Beute in Wedding versteckt habe. Dieser ist gerade dabei, sich nach Syrien abzusetzen und wird von Interpol am Flughafen von Damaskus gefasst. Er habe die Koffer mit der Beute an einen befreundeten Zahnarzt weitergegeben, sagt der Syrer. Tatsächlich finden Büttners Leute im Haus des Zahnarztes in einem brandenburgischen Dorf 3,6 Millionen Mark. Zweimal noch taucht Geld auf, einmal 600 000 Mark in Polen, einmal 800 000 Mark in Damaskus. Dann kommt nichts mehr. Beute im Wert von schätzungsweise mehr als zehn Millionen Mark bleibt verschwunden - bis heute. Fast zwei Jahre nach dem Raub werden die Gangster verurteilt, zu Strafen zwischen zweieinhalb und 13 Jahren. Inzwischen sind manche schon wieder frei. Detlev Büttner wird Anfang 2005 pensioniert. Die Akte über seinen größten Fall wird er wohl mitnehmen.(Namen mit * sind geändert.)In der nächsten Folge lesen Sie über einen mordenden Klavierlehrer.------------------------------Die Serie // Alle 55,9 Sekunden wird in Berlin eine Straftat begangen. Täglich werden - statistisch gesehen - zwei Frauen vergewaltigt Alle sechs Tage ein Mensch in Berlin getötet. Jeden dritten Tag wird versucht, in der Hauptstadt jemanden umzubringen. Die spektakulärsten Verbrechen in Berlin der vergangenen Jahre haben Reporter der Berliner Zeitung nachrecherchiert.Die Artikel dieser Serie sind stark gekürzte Fassungen von Reportagen, die im Buch "Verbrecher, Opfer, Tatorte" (Jaron Verlag, 10 Euro) erschienen sind.Bei einem Leserforum am Mittwoch, 8. Dezember im Berliner Verlag an der Karl-Liebknecht-Straße 29 werden um 18 Uhr der Rechtsmedizin-Professor Volkmar Schneider, der Chefarzt des Maßregelvollzugs Buch, Karl Kreutzberg und André Rauhut, Chef der Mordkommissionen für Fragen zur Verfügung stehen. Der Eintritt ist frei.Das Buch "Verbrecher, Opfer, Tatorte" gibt es im Kundencenter des Ber- liner Verlags (Karl-Liebknecht- Straße 29) und in allen Buchhandlungen.------------------------------Foto: Das Tor zum Glück: Der Beginn eines 170 Meter langen Tunnels, der direkt in die Bank führte. Die Szene ist nachgestellt.